– Das ist unmöglich, – sagte Oblomow, – er gibt sogar die Antwort des Kreisrichters so natürlich wieder. . .
– Ach, Du verstehst gar nichts. Alle Schwindler schreiben natürlich – das kannst Du mir glauben! Da sitzt zum Beispiel – fuhr er auf Alexejew hinweisend fort – eine ehrliche Seele, das reinste Schaf, wird er so natürlich schreiben? – Niemals. Aber sein Verwandter, der ein Schwein und eine Bestie ist, der bringt es fertig. Und auch Du kannst es nicht. Ja, Dein Dorfschulze ist also schon darum eine Bestie, weil er so natürlich und geschickt schreibt. Schau mal, wie er sich die Worte ausgesucht hat: »in ihren früheren Wohnort wieder einsetzen.«
– Was soll ich denn mit ihm thun? – fragte Oblomow.
– Setze ihn sofort ab.
– Wen soll ich denn an seine Stelle setzen? Ich kenne ja die Bauern nicht. Ein anderer wird vielleicht noch schlimmer sein. Ich war schon zwölf Jahre nicht mehr dort.
– Du mußt selbst ins Dorf fahren – das geht nicht anders; verbringe dort den Sommer und komme im Herbst direct in die neue Wohnung. Ich werde schon anordnen, daß sie bis dahin fertig ist.
– Eine neue Wohnung! Allein aufs Gut fahren! Was für übertriebene Maßregeln Du vorschlägst! – sagte Oblomow unzufrieden. – Nein, um nicht zum Äußersten zu greifen und einen Mittelweg einzuschlagen. . .
– Nun, Bruder Ilja Iljitsch, Du wirst ganz zugrunde gehen. Ich würde an Deiner Stelle das Gut längst verpfändet haben und mir dafür ein anderes oder hier ein Haus an einem guten Platze kaufen; das ist Dein Gut wert. Und dann würde ich auch das Haus verpfänden und mir ein anderes kaufen. . . Wenn ich Dein Gut hätte, würde man schon von mir hören.
– Höre auf zu prahlen und denke Dir etwas aus, wie ich alles erledigen kann, ohne auszuziehen und ohne aufs Gut zu fahren. . . – bemerkte Oblomow.
– Wirst Du Dich denn einmal vom Ort rühren? – fragte Tarantjew, – schau dich nur einmal an: wozu taugst Du? Was hat das Vaterland von Dir für einen Nutzen? Du kannst nicht einmal aufs Gut fahren!
– Es ist jetzt noch zu früh hinzufahren, laß mich erst meinen Plan zu Ende bringen. . . Weißt Du, Michej Andreitsch, – sagte Oblomow, – fahre Du hinüber. Du bist mit der Sache vertraut, kennst auch die Gegend; und ich würde mit dem Reisegeld nicht geizen.
– Bin ich denn Dein Verwalter? – entgegnete Tarantjew stolz, – ich bin es auch gar nicht mehr gewohnt, mit Bauern umzugehen.
– Was soll ich denn thun! – sagte Oblomow nachdenklich, – ich weiß wirklich nicht. . .
– Schreibe doch dem Kreisrichter: fragʼ ihn, ob ihm der Dorfschulze von den flüchtigen Bauern erzählt hat? – rieth Tarantjew, – und bitte ihn, bei Gelegenheit auf Dein Gut zu kommen; schreibe auch dem Gouverneur, er soll dem Kreisrichter auftragen, ihm mitzutheilen, wie sich der Dorfschulze benimmt. »Ich bitte Euer Wohlgeboren um väterliche Theilnahme, schauen Sie mit barmherzigem Auge auf das mir drohende, unabwendbare Unglück herab, das durch die eigenmächtige Handlungsweise des Dorfschulzen verursacht wurde, auf den endgiltigen Ruin, dem ich mit meiner Frau und meinen unmündigen, ohne jede Aufsicht und ohne ein Stück Brot zurückbleibenden zwölf Kindern rettungslos verfalle. . .
Oblomow lachte.
– Woher werde ich soviel Kinder hernehmen, wenn man verlangt, daß ich sie zeigen soll? – fragte er.
– Schreibe nur: mit meinen zwölf Kindern; man wird das hingehen lassen und wird keine Erkundigungen einziehen, das wird »natürlich« klingen. . . . Der Gouverneur wird den Brief seinem Secretär übergeben, und Du schreibst zu gleicher Zeit auch ihm, natürlich mit einer entsprechenden Einlage – er wird dann die nöthigen Anordnungen treffen. Und bitte auch Deine Nachbarn darum, wen hast Du dort?
– Dobrinin ist dort in der Nähe, – sagte Oblomow, – ich habe ihn hier oft gesehen; er ist jetzt dort.
– Schreibe auch ihm, bitte ihn recht schön darum: »Sie werden mir dadurch einen unschätzbaren Dienst erweisen und werden mich, wenn Sie als Christ, als Freund und als Nachbar handeln, sehr verpflichten;« und lege diesem Brief irgendein Petersburger Geschenk . . . vielleicht Cigarren bei. So mußt Du handeln, wenn Du etwas verstehen willst. Du bist ein verlorener Mensch! Ich würde meinen Dorfschulzen schon tanzen lassen, ich würde es ihm zeigen! Wann geht die Post dorthin?
– Übermorgen.
– Setzʼ Dich also hin und schreibe sofort.
– Die Post geht ja erst übermorgen, warum soll ich denn gleich schreiben? – bemerkte Oblomow, – das kann ich ja auch morgen thun. Und höre einmal, Michej Andreitsch, – fügte er hinzu, – führe Deine »Wohlthaten« zu Ende; ich werde noch irgendeinen Fisch oder Geflügel zum Mittagessen bestellen.
– Was denn noch?
– Setzʼ Dich hin und schreibe. Wie viel Zeit brauchst Du denn, um drei Briefe zu verfassen? Du erzählst das so »natürlich« . . . – fügte er, ein Lächeln verbergend, hinzu, – und Iwan Alexeitsch würde es abschreiben. . .
– He! Was sind das für Einfälle? antwortete Tarantjew, – ich soll schreiben! Ich schreibe sogar im Amt schon seit drei Tagen nicht; so wie ich mich hinsetze, fängt mein linkes Auge zu thränen an; ich bin wohl in den Zug gekommen, und auch der Nacken wird mir steif, wenn ich mich bücke. . . . Ach, Du Faulpelz! Du gehst zu Grunde, Bruder Ilja Iljitsch, und das für nichts und wieder nichts!
– Ach, wenn doch Andrej bald kommen würde! sagte Oblomow, – er würde alles in Ordnung bringen.
– Was Du Dir für einen Wohlthäter ausgesucht hast! – unterbrach ihn Tarantjew, – einen verfluchten Deutschen, einen durchtriebenen Schwindler!. . . .
Tarantjew hatte den Ausländern gegenüber einen instinctiven Widerwillen; in seinen Augen war ein Franzose, ein Deutscher, ein Engländer gleichbedeutend mit Schuft, Betrüger, Übervortheiler oder Räuber. Er machte nicht einmal einen Unterschied zwischen den Nationen, sie waren in seinen Augen alle gleich.
– Hörʼ einmal, Michej Andreitsch, – sagte Oblomow strenge, – ich möchte Dich bitten, in Deinen Ausdrücken vorsichtiger zu sein, besonders wenn Du von einem mir nahestehenden Menschen sprichst. . . .
– Von einem nahestehenden Menschen! – entgegnete Tarantjew haßerfüllt, – ist er denn mit Dir verwandt? Er ist doch ein Deutscher.
– Er steht mir näher als alle Verwandten; ich bin mit ihm zusammen aufgewachsen, habe mit ihm gelernt und werde solche Schimpfworte nicht erlauben. . . .
Tarantjew wurde purpurroth vor Zorn.
– Ah! Wenn Du mich durch einen Deutschen ersetzest, – sagte er, – kommt mein Fuß nie mehr über Deine Schwelle.
Er setzte den Hut auf und wandte sich der Thür zu. Oblomow besänftigte sich sofort.
– Du solltest in ihm meinen Freund ehren und Dich über ihn vorsichtiger ausdrücken – das ist alles, was ich verlange; ich glaube, das ist kein so großer Dienst! – sagte er.
– Einen Deutschen ehren? – sagte Tarantjew mit der größten Verachtung, – wofür denn?
– Ich habe Dir schon gesagt, wenigstens dafür, daß er mit mir zusammen aufgewachsen ist und mit mir zusammen gelernt hat.
– Das will viel heißen! Man hat mit vielen zusammen gelernt!
– Wenn er hier wäre, hätte er mich schon längst von allen Scherereien befreit, ohne dafür Porter oder Champagner zu verlangen. . . – sagte Oblomow.
– So! Du machst mir Vorwürfe! So mag der Teufel Dich zugleich mit Deinem Porter und Champagner holen! Da hast Du das Geld. . . . Wo habʼ ich es hingelegt? Ich habe ganz vergessen, wohin ich diese verfluchten Scheine hingesteckt habe.
Er zog irgendein fettiges, beschriebenes Papier hervor.
– Nein, das sind sie nicht! . . . . – sagte er – Wo hab ich sie hingelegt?. . . .
Er