Dann folgten Versicherungen der Ergebenheit und die Unterschrift: »Dein Dorfschulze, Dein ergebener Sclave Prokofij Witjaguschkin hat eigenhändig unterschrieben.« Da der Betreffende des Schreibens nicht kundig war, hatte er ein Kreuz hingemalt. »Nach dem Dictat des obigen Dorfschulzen von seinem Schwager Djomka dem Krummen geschrieben.«
Oblomow sah sich den Schluß des Briefes an. – Es ist weder der Monat, noch das Jahr angegeben, – sagte er, – der Brief liegt gewiß seit vorigem Jahr beim Dorfschulzen; es steht von Johanni und der Dürre drin! Es ist ihm erst jetzt eingefallen, ihn fortzuschicken; – er vertiefte sich in seine Gedanken.
– Nun? – fragte er dann, – was sagen Sie dazu? Er bietet mir »um zwei Tausend weniger« an! Wie viel bleibt denn da? Wieviel habe ich voriges Jahr bekommen? – fragte er Alexejew anblickend. – Habe ichʼs Ihnen damals nicht gesagt? . .
Alexejew wandte seine Augen der Zimmerdecke zu und dachte nach.
– Ich muß Stolz fragen, wenn er kommt, – fuhr Oblomow fort, – ich glaube, sieben oder acht Tausend . . . es ist schlecht, wenn das nicht aufgeschrieben wird! Er theilt mir jetzt also nur sechs zu! Ich werde ja verhungern! Wie soll ich damit auskommen?
– Warum regen Sie sich so auf, Ilja Iljitsch? – sagte Alexejew, – man darf niemals verzweifeln; wenn etwas gemahlen ist, wird Mehl daraus.
– Hören Sie denn nicht, was er schreibt? Anstatt mir Geld zu schicken, mich irgendwie schadlos zu halten, bereitet er mir, wie um sich über mich lustig zu machen, lauter Unannehmlichkeiten! Und so ist es jedes Jahr! Ich bin jetzt ganz außer mir! »Um zwei Tausend weniger!«
– Ja, das ist ein großer Schaden, sagte Alexejew, – zwei Tausend, das ist kein Spaß mehr! Alexej Loginitsch soll in diesem Jahr auch um zwölf Tausend statt siebzehn bekommen haben.
– Also doch zwölf und nicht sechs, – unterbrach ihn Oblomow – Der Dorfschulze hat mich ganz verstimmt! Und wenn es auch thatsächlich so ist, daß Mißernte und Dürre herrschen, warum muß er mich da im vorhinein kränken?
– Ja . . wirklich, – begann Alexejew, – das sollte er nicht thun; aber wie kann man denn von einem Bauern Feinfühligkeit erwarten? Dieses Volk versteht gar nichts.
– Was würden Sie an meiner Stelle thun? fragte Oblomow und blickte Alexejew mit der schwachen Hoffnung an, dieser würde sich zu seiner Beruhigung etwas ausdenken.
– Man muß sich die Sache überlegen, Ilja Iljitsch, das kann man nicht auf einmal abthun, – sagte Alexejew.
– Soll ich vielleicht dem Gouverneur schreiben? – sagte Ilja Iljitsch nachdenklich.
– Wer ist denn dort Gouverneur?
Ilja Iljitsch antwortete nicht und sann nach. Alexejew schwieg und vertiefte sich auch in seine Gedanken.
Oblomow zerknitterte den Brief, stützte seinen Kopf auf die Hände, stemmte seine Ellbogen gegen die Knie und saß einige Zeit so da, vom Ansturm beunruhigender Gedanken gepeinigt.
– Wenn wenigstens Stolz bald käme! – sagte er, – er schreibt, daß er bald hier sein wird und treibt sich dabei Gott weiß wo herum! Er hätte mir alles geordnet.
Er wurde wieder traurig. Lange Zeit schwiegen beide. Endlich kam Oblomow als erster zur Besinnung.
– Man muß Folgendes thun! – sagte er entschlossen und wäre fast aufgestanden, – und das muß möglichst bald geschehen, man darf nicht zögern . . . Erstens . .
Jetzt ertönte ein verzweifeltes Läuten im Vorzimmer, so daß Oblomow und Alexejew zusammenfuhren und Sachar augenblicklich von der Ofenbank herabsprang.
III
– Zu Hause? – fragte jemand im Vorzimmer laut und grob.
– Wohin soll man um diese Zeit gehen? antwortete Sachar noch gröber.
Es kam ein etwa vierzigjähriger Mann herein, der einer stämmigen Race anzugehören schien, groß, in den Schultern und im ganzen Körper breit war, ausgeprägte Gesichtszüge, einen großen Kopf, einen stämmigen kurzen Nacken, große Glotzaugen und dicke Lippen besaß. Ein flüchtiger Blick auf diesen Menschen erzeugte die Vorstellung von etwas Grobem und Unsauberem. Man sah, daß er sich nicht um die Eleganz seines Anzuges kümmerte. Man kam selten dazu, ihn ordentlich rasiert zu sehen. Doch das war ihm offenbar gleichgiltig; seine Kleidung brachte ihn nicht in Verlegenheit und wurde von ihm mit einer cynischen Würde getragen. Das war Michej Andrejitsch Tarantjew, Oblomows Landsmann.
Tarantjew blickte alles düster an, mit halber Verachtung und offenkundiger Feindseligkeit seiner Umgebung gegenüber, er war bereit über alle und alles auf der Welt zu schimpfen, als wäre er ungerecht gekränkt oder in irgendeiner seiner Eigenschaften verkannt worden, wie ein selbständiger, vom Schicksal verfolgter Charakter, der sich nur unfreiwillig und protestierend fügt. Seine Bewegungen waren selbstbewußt und schwungvoll; er sprach laut, dreist und fast immer zornig; wenn man ihm aus der Ferne zuhörte, schien es, drei leere Fuhren rasselten über eine Brücke. Er ließ sich durch niemands Anwesenheit einschüchtern, suchte nicht lange nach Ausdrücken und war überhaupt immer und mit allen grob, ohne seine Freunde auszuschließen, als wollte er einen jeden fühlen lassen, daß er ihm durch sein Sprechen, selbst durch sein Theilnehmen am Mittagessen oder Abendbrot eine große Ehre erwies.
Tarantjew war schlagfertig und schlau; niemand konnte besser als er eine Frage des alltäglichen Lebens oder eine verwickelte juridische Angelegenheit klarlegen: er stellte sogleich eine Theorie auf, wie in dem einen oder dem andern Fall zu handeln war, führte sehr treffende Beweise an und wurde zum Schluß fast immer mit demjenigen, der seinen Rath begehrt hatte, grob.
Dabei bekleidete er selbst, trotz seiner grauen Haare, noch dasselbe Schreiberamt in irgendeiner Kanzlei, das er vor fünfundzwanzig Jahren angenommen hatte. Es fiel weder ihm, noch irgendjemand anderem ein, daß er avancieren könnte. Die Sache war die, daß Tarantjew nur gut zu sprechen verstand; in der Theorie entschied er alles, besonders das, was andere angieng, klar und leicht. Sowie er aber nur einen Finger bewegen, sich erheben oder überhaupt den von ihm selbst erdachten Plan anwenden, der Sache eine praktische Richtung geben und sie schnell in Gang bringen sollte, wurde er ein ganz anderer Mensch: dazu reichte es bei ihm nicht aus, es wurde ihm plötzlich zu viel, bald war er unwohl, bald schickte es sich nicht oder es kam ihm etwas Neues unter, das er auch nicht in Angriff nahm, oder aus dem, wenn er es that, Gott weiß was herauskam. Dann war er wie ein Kind: bei dem einen paßte er nicht genug auf, bei dem andern wußte er irgendeine Kleinigkeit nicht, oder er kam zu spät und ließ die Sache zum Schluß halbvollendet, oder er packte sie beim verkehrten Ende an und verhunzte alles in einer solchen Weise, daß man es gar nicht wieder gut machen konnte, und dabei war er noch imstande zu schimpfen.
Sein Vater, der ein altmodischer Gerichtsschreiber in der Provinz war, wollte seinem Sohn seine Kunst und Erfahrung,