Bei einem Ball des spanischen Gesandten erschien Raymon zuerst wieder in der Pariser Welt.
»Herr von Ramière, wenn ich nicht irre?« sagte eine hübsche junge Frau zu ihrer Nachbarin.
»Es ist ein Komet, der in ungleichen Zwischenräumen erscheint. Schon lange hat man von diesem jungen Manne nichts gehört.«
Die Dame, welche so sprach, war eine bejahrte Sizilianerin.
»Eine sehr liebenswürdige Erscheinung,« sagte die andere, »nicht wahr, gnädige Frau?«
»Reizend, auf Ehre,« stimmte die alte Sizilianerin bei.
»Ich wette,« bemerkte ein schneidiger Gardeoberst, »Sie sprechen von dem Liebling der auserlesenen Salons, dem braunen Raymon?«
»Es ist ein schöner Studienkopf,« erwiderte die junge Frau.
»Und was Ihnen noch angenehmer sein wird, ein unruhiger Kopf,« erwiderte der Oberst.
Die junge Frau war seine Gattin.
»Warum ein unruhiger Kopf?« fragte die Sizilianerin.
»Ganz südliche Leidenschaften, der schönen Sonne von Palermo würdig, gnädige Frau.«
Zwei oder drei junge Damen bogen ihre liebreizenden, mit Blumen geschmückten Köpfe vor, um die Worte des Oberst zu hören.
»In der Garnison hat er dieses Jahr eine wahrhafte Verheerung angerichtet,« fuhr dieser fort. »Wir werden gezwungen sein, mit ihm Streit zu suchen, um ihn los zu werden.«
»Wenn er den Frauen so gefährlich ist, um so schlimmer,« sagte ein junges Mädchen, dem man die Spottlust ansah, »ich kann die Menschen nicht leiden, die alle Welt liebt.«
»Sprechen Sie nicht so,« erwiderte die Sizilianerin, indem sie dem Fräulein von Nangy mit ihrem Fächer einen leichten Schlag auf die Hand gab. »Sie wissen nicht, was ein Mann, welcher geliebt sein will, hier zu bedeuten hat.«
»Sie glauben also, daß es nur auf das Wollen ankommt?« entgegnete das junge Mädchen mit den großen spöttisch blickenden Augen.
»Mein Fräulein,« sagte der Oberst, der sich ihr näherte, um sie zum Tanz aufzufordern, »sehen Sie sich vor, daß der schöne Raymon Sie nicht hört.«
Fräulein von Nangy lachte; aber den ganzen Abend wagte die liebliche Mädchengruppe, der sie angehörte, nicht mehr von Herrn von Ramière zu sprechen.
Fünftes Kapitel
Herr von Ramière irrte in dem wogenden Gedränge der geschmückten Menge herum.
Beim Wiedereintritt in diese ihm heimische Welt schämte er sich fast über die tolle unziemliche Leidenschaft, die ihn diesen Kreisen so lange entfremdet hatte. Er sah auf die im Glanz der Lichter so reizenden Damen, und alle diese wundervollen Schönheiten, diese fast königlichen Toiletten, diese zierlichen Tournüren schienen ihm über die Herabwürdigung, durch die er sich erniedrigt hatte, stumme Vorwürfe zu machen. Doch wie verhärtet er auch war, die Tränen eines armen betrogenen Mädchens schmerzten ihn.
Die Ehre dieses Abends gehörte einer jungen Dame, deren Namen niemand kannte und die durch die Neuheit ihrer Erscheinung in der großen Welt das Vorrecht genoß, die allgemeine Aufmerksamkeit zu fesseln. Schon die Einfachheit ihres Anzuges hätte hingereicht, sie inmitten der Diamanten, Federn und Blumen, welche die anderen Damen schmückten, hervorzuheben. Perlenreihen in ihr schwarzes Haar geflochten, machten ihren ganzen Schmuck aus. Das matte Weiß ihres Halsbandes, ihr weißes Kreppkleid und ihre bloßen Schultern schienen, von fern gesehen, völlig ineinander zu verschmelzen und kaum hatte die Wärme der Gemächer auf ihre Wangen jenen zarten Hauch von Rot hervorzubringen vermocht, den die mitten im Schnee erblühte bengalische Rose trägt. Sie war sehr klein, sehr zierlich und schlank. Beim Tanz war sie so leicht, daß man glaubte, ein Luftzug müsse hinreichen, sie emporzuheben. Wenn sie saß, sank sie in sich zusammen, als fehle ihrem allzu biegsamen Körper die Kraft, sich aufrechtzuerhalten; und wenn sie sprach, lächelte sie, aber mit einem schwermütigen Blick. Man verglich diese junge Frau mit einem durch Zauberkraft hervorgerufenen entzückenden Phantom, welches mit dem Licht des jungen Morgens wie ein Traumbild zerrinnen müsse.
Während man sie umdrängte, um sie zum Tanz aufzufordern, bemerkte eine Dame, welche in den Gesellschaften die Rolle eines Almanachs spielte: »Diese junge Frau ist die Tochter jenes alten Narrn Carvajal, der in Spanien der Partei Josephs anhing und später auf der Insel Bourbon in zerrütteten Vermögensumständen gestorben ist. Diese schöne exotische Blume ist sehr unglücklich verheiratet worden, aber ihre Tante steht bei Hofe gut angeschrieben.«
Raymon hatte sich der schönen Indierin genähert. Eine seltsame Bewegung bemächtigte sich seiner bei ihrem Anblick; dieses bleiche, schwermütige Antlitz hatte er schon irgendwo gesehen, vielleicht in einem seiner Träume; seine Blicke hefteten sich mit der süßen Wonne auf sie, die man beim Wiedererscheinen eines schmeichelnden Traumgesichtes empfindet, welches man für immer verloren zu haben fürchtete. Er erfuhr endlich, daß diese Dame sich Frau Delmare nannte, und nahte sich ihr, sie zum Tanz aufzufordern.
»Sie erinnern sich meiner nicht,« sagte er, »aber ich, Madame, ich habe Sie nicht vergessen können. Und doch sah ich Sie nur einen Augenblick wie im Traume, aber dieser Augenblick zeigte Sie mir so gut, so mitleidsvoll …«
Frau Delmare erbebte.
»Ach ja, mein Herr,« sagte sie lebhaft, »ich erkenne Sie wieder.«
Dann errötete sie und schien zu fürchten, gegen die Schicklichkeit verstoßen zu haben. Sie blickte sich um, ob jemand sie gehört habe. Ihre Schüchternheit erhöhte ihre natürliche Anmut, und Raymon fühlte sich von dem Ton dieser Stimme, die ein wenig verschleiert und so sanft war, daß es schien, sie sei nur zum Gebet geschaffen, aufs innigste gerührt.
»Ich fürchtete schon,« sagte er, »niemals Gelegenheit zu finden, Ihnen zu danken. Wie glücklich bin ich, daß mir dieser Augenblick erlaubt, die Schuld meines Herzens abzutragen! …«
»Es wäre mir noch angenehmer,« entgegnete sie, »wenn Herr Delmare seinen Anteil daran haben könnte; wenn Sie ihn näher kennen lernten, würden Sie finden, daß er ebenso gut wie heftig ist. Sie würden ihm verzeihen, daß er Sie unabsichtlich verletzt hat, denn sein Herz hat gewiß mehr geblutet als Ihre Wunde.«
»Sprechen wir nicht von Herrn Delmare, gnädige Frau. Ich war im Unrecht gegen ihn und er nahm sich selbst sein Recht; ich kann es nur vergessen, aber Ihnen, Madame, die Sie mir Ihre zarte Sorge zu teil werden ließen, werde ich diesen Edelmut Zeit meines Lebens nie vergessen, und noch weniger werden Ihre engelreinen Züge, Ihre himmlische Sanftmut und diese barmherzigen Hände, welche Balsam auf meine Wunde träufelten und die ich nicht küssen konnte, aus meiner Erinnerung weichen.«
Während Raymond dies sagte, hatte er Indianas Hand erfaßt, um mit ihr zum Kontretanz anzutreten. Er drückte diese Hand sanft in der seinigen und alles Blut der jungen Frau strömte nach ihrem Herzen.
Als er sie zu ihrem Sitz zurückführte, begann sich die Ballgesellschaft zu lichten. Raymon setzte sich neben sie. Er besaß jene Unbefangenheit des Benehmens, welche eine gewisse Erfahrung des Herzens gibt. Doch bei dieser einfachen Frau fühlte er sich befangener, als er es je gewesen war. Trotzdem gab die erlangte Übung seinen Worten jene überzeugende Kraft, welcher sich die unerfahrene Indiana hingab, ohne zu wissen, daß das alles nicht erst für sie erfunden worden war.
Im allgemeinen, und die Frauen wissen das recht gut, ist ein Mann, welcher geistreich von Liebe spricht, nur sehr wenig verliebt. Raymon machte in diesem Falle eine Ausnahme; er drückte seine Leidenschaft mit Kunst aus und fühlte sie warm, nur war es nicht Leidenschaft, welche ihn beredt machte, sondern die Beredtsamkeit machte ihn leidenschaftlich. Er kannte Frauen, die scharfblickend genug waren, um solchen heftigen Ergüssen zu mißtrauen; aber Raymon hatte aus Liebe sogenannte Torheiten begangen; er hatte ein junges, wohlerzogenes Mädchen entführt, sehr hochgestellte Frauen kompromittiert und drei aufsehenerregende Duelle gehabt. Ein Mann, der das alles wagen darf, ohne lächerlich oder verabscheut zu werden, steht über jeden Angriff erhaben und ist in der vornehmen