»Indiana,« sagte er, »entferne dich. Es ist spät und du bist nicht wohl; Noun wird bei dem Herrn bleiben, um ihn diese Nacht zu pflegen, und wenn er morgen besser ist, werden wir ihn in seine Wohnung bringen lassen.«
Frau Delmare, welche dem Ungestüm ihres Gatten mutig zu widerstehen wußte, gab stets seiner Sanftmut nach. Sie bat Sir Ralph, noch ein wenig bei dem Kranken zu bleiben, und zog sich in ihr Zimmer zurück.
Nicht ohne Absicht hatte der Oberst diese Anordnung getroffen. Als alles zur Ruhe und das Haus still war, schlich er sich leise in den Saal, wo Herr von Ramière lag. Hinter einem Vorhang verborgen, belauschte er das Gespräch des jungen Mannes mit dem Kammermädchen und bald stellte sich heraus, daß zwischen beiden ein Liebesverhältnis bestand. Die un gewöhnliche Schönheit der jungen Kreolin hatte in der Umgegend Aufsehen gemacht. Mehr als ein hübscher Offizier von den in Melun liegenden Lanciers hatte sich um sie bemüht, aber nur Herr von Ramière hatte Erhörung gefunden.
Der Oberst Delmare trug so wenig Verlangen, in das Liebesgeheimnis tiefer einzudringen, daß er sich zurückzog, sobald er sich von der Schuldlosigkeit seiner Gattin versichert hatte.
Als Frau Delmare erwachte, sah sie Noun verwirrt und traurig an der Seite ihres Bettes, doch schrieb sie dies der Aufregung und Anstrengung der Nacht zu. Noun gewann völlig ihre Unbefangenheit wieder, als sie den Oberst ruhig in das Zimmer seiner Frau eintreten und von dem Vorfall sprechen hörte, wie von einer ganz harmlosen Sache.
Am frühen Morgen hatte sich Sir Ralph nach dem Befinden des Kranken erkundigt. Der Sturz von der Mauer hatte keine gefährliche Folge, die Wunde an der Hand war bereits zugeheilt. Herr von Ramière hatte gewünscht, sogleich nach Melun gebracht zu werden, und seine Börse unter die Dienerschaft verteilt, um sich deren Schweigen zu erkaufen, damit seine Mutter, die nur einige Stunden von hier wohnte, wie er sagte, nicht erschreckt werde. Der Oberst und Sir Ralph hatten das Zartgefühl, Nouns Geheimnis zu bewahren und sie nicht einmal ahnen zu lassen, daß sie es wüßten. Bald war in der Familie Delmare von diesem Vorfall nicht mehr die Rede.
Viertes Kapitel
Es dürfte vielleicht zweifelhaft erscheinen, daß Herr Raymon von Ramière, ein junger Mann von glänzenden Eigenschaften, an die Erfolge im Salon und an vornehme Abenteuer gewöhnt, zu dem Kammermädchen auf einem kleinen Gute eine dauernde Neigung gefaßt habe. Herr von Ramière schätzte die Vorteile der Geburt nach ihrem wahren Werte. Er hatte sogar Grundsätze, wenn er seiner besseren Einsicht folgte, aber er war ein Mann mit ungezähmten Leidenschaften, und wenn diese die Oberhand über ihn gewannen, war er keiner ruhigen Überlegung mehr fähig.
Herr von Ramière war in die junge Kreolin mit den großen, schwarzen Augen, welche bei dem Feste von Rubelles die Bewunderung der ganzen Umgegend auf sich gezogen hatte, verliebt; nichts weiter. An dem Tage, wo er über dieses leicht besiegte Herz triumphierte, kehrte er voll Schrecken über seinen Sieg in seine Wohnung zurück und sagte, sich vor die Stirn schlagend:
»Wenn sie mich nur nicht ernstlich liebt!«
Also erst, nachdem er alle Beweise ihrer Liebe angenommen hatte, fing er an, diese Liebe zu ahnen. Dann fühlte er Reue; aber er ließ sich lieben nach wie vor, er liebte selbst aus Dankbarkeit, er überstieg die Mauern im Park des Herrn Delmare aus Liebe zur Gefahr; aus Ungeschicklichkeit tat er einen furchtbaren Sturz und war vom Schmerz seiner jungen und schönen Geliebten so gerührt, daß er sich in seinen eigenen Augen gerechtfertigt fand, wenn er fortfuhr, den Abgrund zu erweitern, in den sie versinken mußte.
Sobald er wieder hergestellt war, hatte der Winter kein Eis, die Nacht keine Gefahren, das Gewissen keine Stacheln, um ihn abzuhalten, die Kreolin zu besuchen und ihr zu schwören, daß er nie eine andere als sie geliebt hätte, daß er sie allen Königinnen der Welt vorzöge und was der überschwenglichen Beteuerungen mehr waren, die bei jungen, armen und leichtgläubigen Mädchen stets ein williges Ohr finden werden. Im Januar reiste Frau Delmare mit ihrem Gatten nach Paris; Sir Ralph Brown zog sich auf sein Gut zurück und Noun, welche zur Aufsicht des Landhauses ihrer Gebieter zurückblieb, konnte ungehindert ihre Freiheit genießen. Das war ein Unglück für sie. Der Wald mit seiner Poesie, die im Rauhreif geschmückten Bäume und ihre magische Wirkung im Mondlicht, das Geheimnis der kleinen Pforte, all dieses Beiwerk einer Liebesidylle hielt Herrn von Ramière in seinem Rausche gefangen. Im weißen Nachtgewande glich Noun, mit ihrem langen schwarzen Haar, einer Königin, einer Fee. Wenn er sie aus dieser Burg von rotem Backstein heraustreten sah, glaubte er, eine Burgfrau des Mittelalters zu erblicken, und in dem mit exotischen Blumen geschmückten Kiosk, wo sie ihn mit den Reizen der Jugend und Leidenschaft berauschte, vergaß er gern alles, dessen er sich später mit schwerem Herzen erinnern mußte. Aber dennoch war Noun nichts weiter als das Kammermädchen einer hübschen Frau. Der Mut, mit welchem sie ihren Ruf ihm zum Opfer brachte und der wohl verdient hätte, seine Liebe für sie noch zu erhöhen, hatte für ihn keinen Wert. Die Gattin eines Pairs von Frankreich, die sich auf solche Weise aufgeopfert hätte, wäre eine köstliche Eroberung gewesen; aber ein Kammermädchen! Was bei der einen Heroismus war, ward bei der anderen Frechheit, Gemeinheit.
Raymon liebte elegante Sitten, Poesie in der Liebe. Für ihn galt ein Mädchen von Nouns niederem Stande nicht als Frau. Man hatte ihn für die Welt erzogen, alle seine Gedanken auf ein hohes Ziel gelenkt, alle seine Fähigkeiten für ein fürstliches Glück entwickelt, und nur wider seinen Willen hatte ihn die Glut seines Blutes in eine bürgerliche Liebeständelei verstrickt. An den Tagen, wo seine Leidenschaft für die Geliebte am heftigsten war, hatte er wohl daran gedacht, sie zu sich zu erheben, ihre Verbindung gesetzmäßig zu machen … Ja, daran hatte er gedacht; aber die Liebe verschwand mit den Gefahren des Abenteuers und dem reizenden Zauber des Geheimnisses. Wenn er sie wahrhaft geliebt hätte, so hätte er, selbst wenn er ihr seine Zukunft, seine Familie und seinen Ruf zum Opfer brachte, immer noch glücklich mit ihr sein können. Aber sein Gefühl war erkaltet, sollte er das Mädchen heiraten, um sie bei seiner Familie verhaßt, bei ihresgleichen verächtlich, bei ihren Domestiken lächerlich zu machen, um sie in eine Gesellschaft zu führen, wo sie nicht an ihrem Platze war und den tiefsten Demütigungen ausgesetzt sein würde?
Nein, man wird ihm recht geben müssen, daß das nicht möglich, daß es nicht edel gewesen wäre, daß er einen solchen Kampf gegen die Gesellschaft nicht aufnehmen konnte.
Als Herr von Ramière alles dies erwogen hatte, sah er ein, daß es besser sei, dieses unglückliche Band zu lösen. Seiner Mutter, die nach Paris zurückgekehrt war, um den Winter dort zuzubringen, konnte dieser kleine Skandal nicht lange verborgen bleiben. Schon wunderte sie sich über seine häufigen Reisen nach Cercy, ihrem Landhause, und es fiel ihr auf, daß er ganze Wochen daselbst zubrachte. Unmöglich konnte er eine so gute Mutter noch länger täuschen und seiner Gegenwart berauben. Er verließ Cercy und kam nicht mehr zurück.
Noun weinte, wartete, und wagte endlich, an ihn zu schreiben. Armes Mädchen! Das war der letzte Todesstoß. Der Brief eines Kammermädchens! Die Zeilen diktierte ihr Herz … aber die Ausdrucksweise, die Orthographie! Ach, das arme, halb wild aufgewachsene Kind der Insel Bourbon wußte nicht einmal, daß es Sprachregeln gebe.
Raymon konnte es nicht über sich gewinnen, den Brief bis zu Ende zu lesen. Er warf ihn schnell ins Feuer, um nicht über sich selbst erröten zu müssen.
In der vornehmen Gesellschaft hatte man die Abwesenheit des Herrn von Ramière bemerkt; das will in jenen Kreisen, wo sich alle gleichen, sehr viel sagen. Raymon war hier gesucht, für ihn hatte diese Menge von gleichgültigen oder spöttischen Larven aufmerksame Blicke und teilnehmendes Lächeln. Er war dankbar für die geringsten Zeichen der Anhänglichkeit, begierig nach der Achtung aller, stolz auf eine große Menge von Freundschaften.
In dieser Welt, deren Vorurteile so unerbittlich sind, hatte ihm alles, selbst seine Fehler, zum Glück gereicht, und wenn er nach der Ursache dieser allgemeinen Veliebtheit forschte, so fand er sie in sich selbst. Er verdankte sie aber auch seiner Mutter, deren ausgezeichneter Geist und fleckenloser Wandel ihr eine große Bedeutung gaben. Von ihr hatte er die trefflichen Grundsätze ererbt, welche ihn stets zum Guten zurückführten und ihn trotz