Aus der Praxis. Wilhelm Walloth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Walloth
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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haben Sie recht,« entgegnete Fräulein Emma Pöhn, erfreut darüber, dass ihr Gegenüber die Sachlage ernstzunehmen begann. »Wie oft liest man von wunderlichen Testamenten; ich habe dergleichen Wunderlichkeiten stets für Erfindungen mäßiger Zeitungsschreiber gehalten und nun komme ich selbst in die Lage, in einer derartigen Komödie zu figurieren, die für mich freilich eher tragischer Natur ist. Es scheint für den Sterbenden ein gewisser Reiz darin zu liegen, die Lebenden durch irgendeine Absonderlichkeit zu verblüffen, als wenn hierdurch das Gedächtnis an den Geschiedenen länger erhalten bliebe.«

      »Sie wollen nicht vergessen, dass der Reichtum gar manche Grille ausbrütet,« warf der Arzt ein, »doch in Ihrem Falle hat der Verstorbene so ganz unrecht nicht. Eine Ehe könnte eine ganz günstige Wirkung auf ihr Geistesleben ausüben.«

      »Und das sagen Sie? Ein Arzt?« fiel sie ihm heftig ins Wort, »Sie, der doch wissen muss, wie leicht,—« sie brach ab und fuhr mit zitternder Stimme fort, »wie leicht sich Geisteskrankheiten vererben?«

      Sie errötete, erblasste dann sehr tief und sah mit dem Ausdruck eines großen unauslöschlichen Seelenleids vor sich nieder, sodass Dr. Kahler, erschrocken einlenkend, von Mitgefühl erfasst, ihr Mut, einzuflößen suchte.

      »Es ist unbedingt notwendig, dass Sie sich zerstreuen,« sagte er mit weicher Stimme, »das Leben, das Sie führen, muss Sie in kurzer Zeit aufreiben, denn nichts ist gefährlicher, als tagelanges Alleinbleiben und Grübeln über Unabwendbares; Sie müssen Gesellschaft aufsuchen und zwar heitere Gesellschaft, damit Sie das traurige Bild gewaltsam vergessen lernen, das Sie täglich vor Augen haben. – Am besten wäre es – wenn Sie dem düstern Anblick für immer entfliehen könnten, das würde Ihre angegriffenen Nerven wiederherstellen, würde Ihnen die Welt wieder in schönerem Lichte zeigen. Könnten Sie die Kranke nicht in einer Irrenanstalt unterbringen?«

      Fräulein Pöhn erklärte mit einfachen, festen Worten, dass sie dies letztere nie tun werde, sie halte eine derartige Erleichterung ihrer Lebensaufgabe für ein Verbrechen, sie wolle ihre Mutter bis ans Ende pflegen und würde sie niemals fremden Händen anvertrauen. Sie sagte dies mit so schlichten, starken Worten, dass der Arzt, fast beschämt, nicht das Herz hatte, etwas Weiteres dagegen einzuwenden. Er neigte ergriffen das Haupt und sah dem Mädchen alsdann mit einem Blick innigster Hochachtung in das klare große Auge. Nach einiger Zeit begann er mit unsicherer Stimme:

      »Ich glaube, nach dem, was sie mir erzählt haben, nicht, dass sich die Geisteskrankheit Ihrer Mutter in Ihrer Familie forterbt, da nicht angeborene Anlagen, sondern traurige Gemütszustände, fortgesetzte schlechte Behandlung die Krankheit Ihrer Mutter herbeigeführt. Etwas anderes ist es, wenn das Leiden ohne jede äußere Veranlassung ausbricht.«

      »Einerlei!« entgegnete sie rasch, »man soll das Schicksal nicht auf die Probe stellen. Vielleicht ist der Widerwille, den ich der Ehe entgegenbringe, ein Fingerzeig der Natur; ich hatte mir vorgenommen, auf die Ehe völlig zu verzichten; ein Wesen, wie ich es bin, sagte ich mir, eine vom Schicksal Gezeichnete, begeht ein Verbrechen, wenn sie heiratet! Nun kommt diese Erbschaft, die uns auf einmal allen Nahrungssorgen entreißen würde, die so viel dazu beitragen könnte, das unselige Los meiner Mutter zu verbessern, ihre letzten Lebenstage zu verschönen. Ich würde in das prächtig ausgestattete Haus des Onkels ziehen, die Mutter erhielte ein größeres luftiges Zimmer, ihr Bett würde, da sie sich oft wund liegt, mit Luftkissen versehen werden, ich könnte ihr beständig ihre Lieblingsspeisen kochen; sehen Sie, das Essen blieb ihr einziger Genuss – ich könnte ihr einen Fahrstuhl machen lassen – kurzum, ich könnte ihr jede nur irgend mögliche Bequemlichkeit verschaffen. Mit dem Tode meines Vaters erlosch unsre kleine Pension; ich selbst könnte mir ja durchhelfen, aber nun dieses Elend, ohne genügende Mittel es zu lindern! Ich darf nicht daran denken.«

      Wiederum hielt sie einen Augenblick inne, sah starr vor sich nieder, schüttelte sich dann ein wenig und begann fortzufahren:

      »So bin ich denn nach langem, schwerem Kampfe zu einem Entschluss gekommen, zu dem Entschluss, mich um die Meinung der Welt möglichst wenig zu kümmern, dem Wohl meiner Mutter ein Opfer zu bringen. Mögen die Leute dazu sagen, was sie wollen, sie kennen die Verhältnisse nicht, haben keinen Überblick über meine Lage und dann bin ich ja auch, wenn ich die Erbschaft antrete, zum Glück so gestellt, dass ich das Gerede der Welt kühn verachten darf.«

      »Sie folgen also dem Willen Ihres Onkels?« frug Dr. Kahler gespannt, »ah – jetzt begreife ich – warum Sie—« er brach ab, zündete seine Zigarre an und begann eine auffallende Unruhe zu zeigen.

      »Ja, Herr Doktor,« sagte sie ruhig, »ich heirate, wie es sein letzter Wille ist – nur gehe ich ein wenig jesuitisch dabei zu Werk.«

      Ihr schönes Gesicht nahm einen naiv-trotzigen Ausdruck an, der des Doktors Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselte, als sie nach einer Pause mit leiserer Stimme fortfuhr:

      »Ich werde heiraten! Aber, um möglichst bald wieder selbstständig dazustehen – einen todkranken Mann! Auf diesen Ausweg verfiel ich gestern Nacht, als mich das Nachdenken über diese ganze peinliche Angelegenheit nicht schlafen ließ. Ich war kaum ein wenig eingeschlafen, als ich plötzlich wieder emporfuhr, und da ging es wie eine Offenbarung in mir auf. Wenn du einen Sterbenden heiratest, sagte ich mir mit der Sophistik des Unglücks, tust du ja noch an dem Armen ein gutes Werk, dessen letzte Stunden du mittelst deines Reichtums verschönern kannst. Ich weiß sehr wohl, dass dies egoistisch gedacht ist, was aber bleibt mir, wenn ich meiner Mutter traurige Tage verschönen will, wenn ich uns dem drückendsten Elend entreißen will, andres übrig? Stellen Sie es sich nur vor! Eine Wahnsinnige, die Mangel leidet…?«

      Der Arzt blies heftige Rauchwolken vor sich hin und frug dann ein wenig ärgerlich:

      »Und ich soll Ihnen jenen todkranken Mann unter meinen Patienten auswählen, den Sie zu beglücken gedenken?«

      »Wenn Sie nicht wollen, wird sich ein anderer finden,« meinte sie mit erzwungener Ruhe.

      »Ich bewundere Ihre Energie,« sagte er dann herb.

      »Die braucht man im Leben,« erwiderte sie ebenso kalt.

      Es entstand eine peinliche Pause. Der Arzt schien unschlüssig. Sein Auge irrte im Gemach umher, er begann die Zigarre unruhig zwischen den Lippen zu drehen.

      »Ich muss Ihnen gestehen,« sagte er rau, »dass mir diese Art, Ihnen zu einem Manne zu verhelfen, ebenso sonderbar wie widerwärtig vorkommt. Ich glaube, ich kann mich nicht entschließen, Ihrer Bitte entgegenzukommen.«

      »Und warum nicht?« frug sie aufstehend, die schönen Lippen aufeinander pressend, »indes, wie Sie wollen.«

      Sie trat einen Schritt dem Ausgang entgegen, während er, die Zigarre im Mund, am Schreibtisch sitzen blieb.

      »Sind Sie fest entschlossen,« frug er noch einmal, »eine solche abenteuerliche Ehe einzugehen?«

      »Was ist abenteuerlich?« gab sie zurück, »es kommt nur darauf an, von welcher Seite man die Sachlage betrachtet. Uns modernen Europäern kommt vieles abenteuerlich vor, was einem Beduinen oder einem Menschen vergangener Zeiten als etwas durchaus Gewöhnliches erschienen wäre. Sie verblüfft dieser Fall, weil er Ihnen zum ersten Mal mit seiner vollen Neuheit und Seltsamkeit vor Augen tritt; hätten Sie so lang darüber nachgedacht wie ich, er würde alles Ungewöhnliche für Sie verloren haben, wie er es für mich verloren hat. Ich habe mich an das Abenteuer so sehr gewöhnt, dass es keines mehr für mich ist.«

      Sie hatte die Türklinke erfasst, ließ diese jetzt los und trat auf den noch immer nachdenklich Dasitzenden zu.

      »Können Sie mir,« sagte sie ernst, »meinen Egoismus wirklich nicht verzeihen? Und ist meine Handlungsweise denn völlig egoistisch? Handle ich nicht unter dem Zwang der Notwendigkeit?«

      »Ich muss Ihnen das zugestehen,« sagte er langsam, als prüfe er seine eigene Entscheidung, »doch —« er schwieg und setzte dann ganz rasch hinzu, ohne recht zu wissen, was er sagte: »warum wollen Sie es nicht einmal mit einem Gesunden probieren?«

      Er runzelte darauf die gesenkte Stirne ein wenig; sie bemerkte das, sah ihn erstaunt an und entgegnete nach einer Pause: »Sie wissen es ja, warum nicht!« .

      »Ach so!« sagte er errötend und sich