Die toten Seelen. Nikolai Gogol. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nikolai Gogol
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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langen Küssen und Geburtstagsüberraschungen auch noch andere Aufgaben gibt; man könnte überhaupt viele Einwendungen machen. Warum bei ihnen z.B. so dumm und sinnlos gekocht wurde? Warum die Vorratskammern leer waren? Warum die Haushälterin stahl? Warum die Diener schmutzig und versoffen waren? Warum das ganze Hausgesinde die eine Hälfte des Tages schlief und die übrige Zeit nichts tat? Aber das sind lauter gemeine Themen, während Frau Manilowa eine gute Erziehung genossen hatte. Die gute Erziehung erwirbt man sich bekanntlich in Pensionen; in den Pensionen bilden aber bekanntlich drei Hauptgegenstände die Grundlage der menschlichen Tugenden: die französische Sprache, die für das glückliche Familienleben unumgänglich ist; das Klavierspiel, um dem Gatten angenehme Augenblicke zu bereiten, und schließlich die eigentliche Hauswirtschaft: das Häkeln von Geldbeuteln und sonstigen Überraschungen. Es gibt übrigens manche Vervollkommnungen und Veränderungen in den Methoden, insbesondere in der allerletzten Zeit: alles hängt von der Verständigkeit und den Fähigkeiten der Pensionsbesitzerinnen ab. In manchen Pensionen steht an erster Stelle das Klavierspiel, dann kommt die französische Sprache und zuletzt die Hauswirtschaft. Es kommt aber auch vor, daß der wirtschaftliche Teil, d.h. das Häkeln von Überraschungen, an erster Stelle steht und dann erst die französische Sprache und zuletzt das Klavierspiel folgt. Es gibt eben verschiedene Methoden. Es wäre nicht überflüssig, hier zu bemerken, daß Frau Manilowa … ich muß aber gestehen, daß ich einige Scheu habe, über die Dame zu sprechen; außerdem ist es längst Zeit, daß ich zu unseren Helden zurückkehre, die schon seit einigen Minuten vor der Türe des Gastzimmers stehen und um den Vortritt streiten.

      »Tun Sie mir den Gefallen, machen Sie sich meinetwegen keine Umstände, ich komme nach Ihnen«, sagte Tschitschikow.

      »Nein, Pawel Iwanowitsch, nein, Sie sind der Gast«, sagte Manilow, mit der Hand auf die Tür weisend.

      »Bemühen Sie sich nicht, ich bitte Sie, bemühen Sie sich nicht; gehen Sie bitte voran«, sagte Tschitschikow.

      »Nein, Sie müssen schon entschuldigen, ich kann es nicht zulassen, daß ein so angenehmer und gebildeter Gast nach mir über die Schwelle tritt.«

      »Warum denn gebildet? … Ich bitte Sie, gehen Sie voran!«

      »Nein, wollen Sie nur vorangehen.«

      »Warum denn ich?«

      »Darum!« sagte Manilow mit einem angenehmen Lächeln.

      Endlich gingen die beiden Freunde gleichzeitig seitwärts durch die Türe, wobei sie sich ein wenig die Seiten eindrückten.

      »Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle«, sagte Manilow. »Herzchen! Das ist Pawel Iwanowitsch!«

      Tschitschikow erblickte jetzt tatsächlich eine Dame, die er vorhin ganz übersehen hatte, als er sich in der Türe mit Manilow wegen des Vortrittes auseinandersetzte. Sie war gar nicht übel und trug ein Kleid, das ihr zu Gesicht stand. Das helle Hauskleid aus Seidenstoff saß ihr sehr gut. Die kleine feine Hand warf etwas schnell auf den Tisch und drückte ein Batisttaschentuch mit gestickten Ecken zusammen. Sie erhob sich vom Sofa, auf dem sie gesessen hatte. Tschitschikow küßte ihr nicht ohne Vergnügen die Hand. Frau Manilowa sagte, indem sie sogar das »r« auf Petersburger Art wie ein »g« aussprach, daß er ihnen mit seinem Besuch eine große Freude bereitet habe, und daß ihr Mann sich jeden Tag seiner erinnert hätte.

      »Ja,« bemerkte Manilow, »sie fragte mich jeden Tag: ›Warum kommt dein Freund noch immer nicht?‹ – ›Warte nur, Herzchen, er wird schon kommen.‹ – Und nun haben Sie uns mit Ihrem Besuche beehrt. Einen solchen Genuß haben Sie uns damit verschafft – es ist ein wahrer Maitag, ein Namenstag des Herzens … «

      Als Tschitschikow hörte, daß die Rede schon auf den Namenstag des Herzens kam, wurde er sogar ein wenig verlegen und erwiderte bescheiden, daß er weder einen berühmten Namen noch einen hohen Rang habe.

      »Sie haben alles«, unterbrach ihn Manilow mit dem gleichen angenehmen Lächeln: »Sie haben alles und sogar noch mehr.«

      »Wie gefiel Ihnen unsere Stadt?« fragte Frau Manilowa. »Haben Sie da Ihre Zeit angenehm verbracht?«

      »Eine ausgezeichnete Stadt, eine herrliche Stadt«, erwiderte Tschitschikow. »Ich habe auch die Zeit sehr angenehm verbracht: die Gesellschaft ist außerordentlich liebenswürdig.«

      »Und wie fanden Sie unseren Gouverneur?« fragte Frau Manilowa.

      »Nicht wahr, er ist doch ein außerordentlich ehrenwerter und liebenswürdiger Mann?« fügte Manilow hinzu.

      »Sehr richtig,« sagte Tschitschikow, »ein außerordentlich ehrenwerter Mann. Und wie er in seinem Amte aufgeht, wie er es auffaßt! Es ist nur zu wünschen, daß wir möglichst viel solche Menschen haben.«

      »Wie er das versteht, wissen Sie, einen jeden richtig zu empfangen und in allen seinen Handlungen den Takt zu wahren«, fügte Manilow lächelnd hinzu; vor Vergnügen kniff er dabei die Augen zusammen wie ein Kater, den man leicht hinter den Ohren kraut.

      »Ein sehr liebenswürdiger und angenehmer Herr,« fuhr Tschitschikow fort, »und was für ein Künstler! Ich hätte es nie geahnt, was für schöne häusliche Handarbeiten er zu machen versteht! Er zeigte mir einen Geldbeutel seiner Arbeit: nicht jede Dame versteht so schön zu sticken.«

      »Und der Vizegouverneur? Nicht wahr, ein reizender Mann?« versetzte Manilow, die Augen wieder zusammenkneifend.

      »Ja, ein höchst würdiger Mann«, erwiderte Tschitschikow.

      »Aber gestatten Sie, wie gefiel Ihnen der Polizeimeister? Nicht wahr, ein höchst angenehmer Herr?«

      »Ja, ein höchst angenehmer, kluger und belesener Herr! Ich habe bei ihm mit dem Staatsanwalt und dem Gerichtsvorsitzenden bis in den hellen Tag hinein Whist gespielt. Ein außerordentlich würdiger Mann!«

      »Was halten Sie aber von der Frau des Polizeimeisters?« warf Frau Manilow ein. »Nicht wahr, eine außerordentlich liebenswürdige Dame?«

      »Oh, eine der würdigsten Damen, die ich kenne«, antwortete Tschitschikow.

      Sie gingen dann zum Kammervorsitzenden und dem Postmeister über und nahmen auf diese Weise fast alle Beamten der Stadt durch, die sich sämtlich als die würdigsten Menschen herausstellten.

      »Leben Sie immer auf dem Lande?« fragte nun Tschitschikow seinerseits.

      »Wir leben meistens auf dem Lande«, antwortete Manilow. »Zuweilen fahren wir übrigens auch in die Stadt, doch nur, um mit gebildeten Menschen zusammenzukommen. Wenn man so ganz abgeschlossen lebt, kann man leicht verwildern.«

      »Allerdings«, bemerkte Tschitschikow.

      »Etwas anderes ist es,« fuhr Manilow fort, »wenn man eine angenehme Nachbarschaft hat, wenn z.B. ein Mensch in der Nähe wohnt, mit dem man einigermaßen über gute Manieren und Umgangsformen sprechen oder irgendeine Wissenschaft verfolgen kann, so daß die Sinne sich regen und man sozusagen in die Höhe schwebt … « Er wollte noch etwas hinzufügen, merkte aber, daß er sich schon vergaloppiert hatte und machte nur eine unbestimmte Handbewegung. Darauf fuhr er fort: »Das Leben auf dem Lande und die Einsamkeit hätten natürlich viele Annehmlichkeiten. Aber es gibt hier wirklich niemand in der Nähe. Höchstens daß man ab und zu eine Zeitung liest.«

      Tschitschikow stimmte ihm durchaus bei und fügte hinzu, daß es nichts Angenehmeres gäbe, als in der Einsamkeit zu leben, den Anblick der Natur zu genießen und ab und zu irgendein Buch zu lesen …

      »Aber wissen Sie,« wandte Manilow ein, »wenn man keinen Freund hat, mit dem man seine Empfindungen teilen kann, ist das alles … «

      »Oh, das ist durchaus richtig und wahr!« unterbrach ihn Tschitschikow. »Was bedeuten alle Schätze der Welt? ›Trachte nicht nach Geld, trachte nur nach Umgang mit guten Menschen ‹, hat einmal ein Weiser gesagt.«

      »Und wissen Sie was, Pawel Iwanowitsch«, sagte Manilow, während sein Gesicht nicht nur einen süßen, sondern auch einen faden Ausdruck annahm: von solcher faden Süße sind die Mixturen, mit denen mancher geschickte Modearzt seine Patienten zu erfreuen glaubt. »Wissen Sie, dann fühlt man einen sozusagen geistigen Genuß … So zum Beispiel jetzt, wo mir der Zufall das, ich darf wohl sagen,