Tschitschikow hob wieder die Augen und sah wieder den Kanari mit den dicken Schenkeln und dem unendlich langen Schnurrbart, die Bobelina und die Amsel in ihrem Käfig.
Fast fünf Minuten schwiegen sie alle; man hörte nur, wie die Amsel auf dem Holzboden des Käfigs die Getreidekörner aufpickte. Tschitschikow musterte noch einmal das Zimmer und alles, was darin war: alles war dauerhaft, im höchsten Grade plump und hatte eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Hausherrn selbst. In einer Ecke des Gastzimmers stand ein bauchiger Sekretär auf vier ungemein plumpen Füßen – ein richtiger Bär. Der Tisch, die Sessel, die Stühle, alles sah ungemein schwer und ungemütlich aus; mit einem Worte, jeder Gegenstand, jeder Stuhl schien sagen zu wollen: »Auch ich bin ein Ssobakewitsch!« oder: »Auch ich sehe Ssobakewitsch ähnlich!«
»Wir haben von Ihnen beim Kammervorsitzenden Iwan Grigorjewitsch gesprochen,« sagte endlich Tschitschikow, als er sah, daß niemand Lust hatte, ein Gespräch zu beginnen, »am vergangenen Donnerstag. Wir haben da die Zeit äußerst angenehm verbracht.«
»Ja, ich war an jenem Abend nicht dort«, antwortete Ssobakewitsch.
»Ist doch ein prachtvoller Mensch!«
»Wer denn?« sagte Ssobakewitsch mit einem Blick auf die Ofenecke.
»Der Kammervorsitzende.«
»Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen: er ist Freimaurer, sonst aber ein Dummkopf, wie es einen zweiten in der Welt nicht gibt.«
Diese etwas schroffe Charakteristik machte Tschitschikow ein wenig stutzig; dann faßte er sich wieder und fuhr fort: »Natürlich, jeder Mensch hat seine Schwächen. Aber der Gouverneur – der ist doch ein ausgezeichneter Mann!«
»Der Gouverneur ein ausgezeichneter Mann?«
»Gewiß, nicht wahr?«
»Der größte Räuber auf der Welt!«
»Wie, der Gouverneur ein Räuber?« sagte Tschitschikow, der unmöglich begreifen konnte, wie der Gouverneur unter die Räuber geraten war. »Ich muß gestehen, das hätte ich nicht gedacht«, fuhr er fort. »Aber erlauben Sie mir die Bemerkung: seine Handlungen sind gar nicht so; im Gegenteil, es steckt in ihm sogar viel Milde.« Zum Beweis führte er sogar die Geldbörsen an, die der Gouverneur eigenhändig zu sticken pflegte, und äußerte sich lobend über den freundlichen Ausdruck seines Gesichts.
»Und auch das Gesicht ist ein echtes Räubergesicht!« sagte Ssobakewitsch. »Geben Sie ihm ein Messer und lassen Sie ihn auf die Landstraße hinaus, und er wird dem ersten Besten den Kopf abschneiden, wegen einer einzigen Kopeke! Er und der Vizegouverneur sind Gog und Magog.«
– Nein, er scheint mit ihnen nicht gut zu stehen, – dachte sich Tschitschikow. – Ich will mal versuchen, vom Polizeimeister zu sprechen, der scheint sein Freund zu sein. – »Übrigens, was mich betrifft,« sagte er, »so muß ich gestehen, daß mir am besten der Polizeimeister gefällt. Welch ein gerader, offener Charakter, welch ein treuherziger Gesichtsausdruck!«
»Ein Gauner!« sagte Ssobakewitsch höchst kaltblütig. »Er wird Sie verkaufen und verraten und dann noch mit Ihnen zu Mittag essen: es sind lauter Gauner. Die ganze Stadt ist so: Da sitzt ein Gauner auf dem anderen. Es sind lauter Christusverkäufer. Einen einzigen anständigen Menschen gibt es da, das ist der Staatsanwalt, aber auch er ist, offen gestanden, ein Schwein.«
Nach diesen lobenden, wenn auch etwas kurzen Charakteristiken sah Tschitschikow ein, daß es sich gar nicht lohnte, die Rede auch auf die anderen Beamten zu bringen, und er erinnerte sich, daß Ssobakewitsch nur ungern über jemand gut sprach.
»Nun, Herzchen, gehen wir zu Tisch!« sagte zu Ssobakewitsch seine Gattin.
»Ich bitte!« sagte Ssobakewitsch. Sie traten zuerst an den Tisch, auf dem die kleinen Vorspeisen standen, und nahmen, wie es sich gehört, je ein Glas Schnaps zu sich. Sie machten es, wie es das ganze weite Rußland in seinen Städten und Dörfern zu machen pflegt, d. h. sie nahmen zum Schnaps einige gesalzene und andere appetitanregende Gottesgaben und begaben sich erst dann ins Speisezimmer; ihnen voran schritt die Hausfrau wie eine majestätische Gans. Der kleine Tisch war für vier Personen gedeckt. Den vierten Platz nahm sehr bald ein weibliches Wesen ein, es ist schwer zu sagen, ob es eine Dame oder ein Fräulein, eine Verwandte oder eine Haushälterin war oder ob es einfach aus Gnade im Hause gehalten wurde, kurz, ein Geschöpf, etwa dreißig Jahre alt, ohne Haube, mit einem bunten Tuch. Es gibt Personen, die in der Welt nicht als selbständige Individuen leben, sondern nur als Flecken auf anderen Gegenständen. Sie sitzen immer auf dem gleichen Platz, halten den Kopf gleich, man hält sie leicht für ein Möbelstück und denkt sich, daß sie noch nie im Leben auch nur ein Wort gesprochen haben; doch im Gesindezimmer oder in der Vorratskammer sind sie gar nicht so schweigsam!
»Die Kohlsuppe ist heute ausgezeichnet, Herzchen«, sagte Ssobakewitsch, nachdem er von der Suppe versucht und sich dazu ein Riesenstück von der bekannten »Njanja« genommen hatte, die stets zur Kohlsuppe gereicht wird und die bekanntlich aus einem mit Buchweizengrütze, Hirn und Füßchen gefüllten Hammelmagen besteht. »So eine Njanja«, fuhr er fort, sich an Tschitschikow wendend, »werden Sie in der Stadt nirgends bekommen; dort setzt man Ihnen weiß der Teufel was vor!«
»Beim Gouverneur ist die Küche gar nicht schlecht«, sagte Tschitschikow.
»Wissen Sie denn auch, woraus dort alles zubereitet wird? Wenn Sie es erfahren, werden Sie es nicht essen wollen.«
»Ich weiß nicht, wie die Speisen zubereitet werden, darüber habe ich kein Urteil; doch die Schweinekotelette und die gekochten Fische waren vorzüglich«
»Das ist Ihnen nur so vorgekommen. Ich weiß ja, was die Leute auf dem Markte einkaufen. So eine Kanaille von Koch, der bei einem Franzosen in der Lehre war, kauft einen Kater, zieht ihm das Fell ab und trägt ihn als einen Hasen auf.«
»Pfui, was für unangenehme Sachen du da erzählst!« sagte Ssobakewitschs Gattin.
»Ich kann doch nichts dafür, Herzchen! So wird es bei ihnen allen gemacht, und es ist nicht meine Schuld. Alle Abfälle, alles, was unsere Akuljka, mit Verlaub zu sagen, in den Mülleimer wirft, das tun sie in die Suppe!«
»Immer mußt du bei Tisch solche Dinge erzählen«, wandte Frau Ssobakewitsch ein.
»Was soll man machen, Herzchen«, sagte Ssobakewitsch. »Wenn ich es noch selbst machte, aber ich will dir ganz offen sagen, daß ich solchen Dreck nicht essen, werde. Und wenn du mir einen Frosch auch verzuckerst, nehme ich ihn doch nicht in den Mund, und auch eine Auster nicht: ich weiß gut, was für einem Ding so eine Auster ähnlich sieht. Nehmen Sie sich doch vom Hammel«, fuhr er fort, sich an Tschitschikow wendend. »Das ist eine Hammellende mit Brei. Das ist kein Frikassee, wie es in den Herrschaftsküchen aus dem Hammelfleisch gemacht wird, welches vier Tage auf dem Markte herumgelegen hat. Das haben alles die deutschen und französischen Doktoren erfunden; ich würde sie dafür alle aufhängen lassen. Die Diät haben sie erfunden, das ist so eine Hungerkur! Da sie eine schwache deutsche Natur und dünne Knochen haben, so bilden sie sich ein, sie könnten auch mit einem russischen Magen fertig werden. Nein, das ist nicht das richtige, das sind lauter Erfindungen, das ist … « Ssobakewitsch schüttelte böse den Kopf. »Sie reden von Aufklärung und wieder von Aufklärung, diese ganze Aufklärung ist aber ein … Ich wüßte schon ein Wort dafür, aber bei Tisch möchte ich es nicht gerne sagen. Bei mir ist es anders. Wenn es bei mir Schweinebraten gibt, so kommt das ganze Schwein auf den Tisch; gibt es Hammelbraten, so bringe man mir den ganzen Hammel, gibt es Gänsebraten, dann soll es auch eine ganze Gans sein! Lieber esse ich nur zwei Gerichte, dafür aber so viel, wie meine Seele verlangt.« Ssobakewitsch bestätigte diese Worte auch sofort durch die Tat; er nahm die Hälfte der Hammellende auf seinen Teller, verzehrte alles und nagte auch noch jeden Knochen ab.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу