»Unglücklicher!« rief der Herzog, indem er seinen Bruder mit beiden Händen an den Schultern faßte und mit unaussprechlicher Zärtlichkeit betrachtete, »Du weißt, daß ich Dich liebe wie mein Kind, ja mehr als mein Kind, denn wenn Du blos mein Kind wärest, so wäre ich sporntreichs zu Dura gelaufen und hätte Dich erst nach meiner Rückkunft umarmt.«
»Nun gut, so umarme mich und laufe dann schnell, um deinen Terenz zu holen.«
»Meinen Persius, Du Ignorant! Meinen Persius Ach, fuhr der Herzog mit einem Seufzer fort, »Du wirst höchstens ein Bibliomane dritten Ranges und dieser kaum! – Indessen, auf Wiedersehen, Clemente, auf Wiedersehen.« Und der Herzog Della Torre eilte zum Hause hinaus.
Don Clemente kehrte an das Fenster zurück.
Basso Tomeo und seine Söhne hatten so eben ihre Netze auf den Strand herausgezogen, mitten unter einem ungeheuren Zusammenlauf von Fischern und Lazzaroni welche sich herbeidrängten, um zu sehen, was Basso Tomeo und seine drei Söhne gefangen hätten.
Siebentes Capitel.
Wo Gaëtano Mammone auf der Bühne erscheint
Wir haben zu Anfange des vorigen Capitels gesagt daß der heilige Franciscus sich sehr freigebig gezeigt hatte und der Fang ein wahrhaft wunderbarer war.
Es war, als ob der Heilige, zu welchem Assunta so fromm gebetet und welchem Basso Tomeo zwölf Kerzen angezündet, ein Exemplar von allen Gattungen des Golfes in die Netze des alten Fischers und seiner drei Söhne hätte werfen wollen.
Als das Netz aus dem Meere herauskam und zum Bersten voll auf dem Strand erschien, war es nicht, als ob das mittelländische Meer, sondern vielmehr als ob der Paetolus alle seine Schätze an das Gestade würfe.
Die Dorade mit dem Goldglanze, der Breitfisch mit den stählernen Schuppen, die Spinole mit ihrem Silberkleid, die Trille mit dem rosenfarbenen Mieder, der Zahnfisch mit den braunen Flossen, der Maulthierfisch mit der runden Schnauze, der Sonnenfisch, den man für ein in das Meer gefallenes Tambourin halten könnte, der Sanct-Petersfisch, welcher auf seinen Flanken den Druck von den Fingern des Apostels trägt, schienen der Hofstaat, die Minister und Kammerherren eines mächtigen Thunfisches zu sein, welcher wenigstens sechzig Rotoli wog und jener König des Meeres zu sein schien, welchen Masamiello in der »Stummen von Portici« einen Cameraden in einem reizenden Liedchen verspricht.
Der alte Basso Tomeo hielt sich den Kopf mit beiden Händen, konnte seinen Augen nicht trauen und zitterte vor Freude. Die von dem alten Manne und seinen Söhnen in der Hoffnung auf einen reichlichen Fang mitgebrachten Körbe faßten, als sie einmal bis an den Rand gefüllt waren, noch nicht den dritten Theil der prachtvollen Ernte, welche man in der Ebene gemacht, welche sie ganz allein gearbeitet und besäet.
Die Söhne machten sich auf, um neue Behältnisse herbeizuholen, während Basso Tomeo in seiner Dankbarkeit Jedem, welcher hinzukam, erzählte, daß er dieses Wunder er ganz besonderen Gunst des heiligen Franciscus, seines Schutzpatrons, verdanke, an dessen Altar er eine Messe habe lesen und zwölf Wachskerzen anzünden lassen.
Der Thunfisch war ganz besonders Gegenstand der Bewunderung des alten Fischers und der Zuschauer. Es war ein Wunder, daß er bei den Stößen, die er gegen das Netz geführt, dasselbe nicht gesprengt und indem er sich selbst den Weg zur Flucht gebahnt, auch zugleich das gesamte bunte Schuppenvölkchen, welches um ihn her schnellte, in Freiheit gesetzt hatte.
Jeder, der die Erzählung des alten Basso Tomeo hörte und das Ergebniß seines Fischfanges sah, bekreuzt sich und rief: »Evviva San Francisco!«
Nur Don Clemente, welcher von seinem Fenster aus diesen ganzen Auftritt mit ansah, schien die Vermittlung des Heiligen in Zweifel zu ziehen und diesen wunderbaren Fang ganz einfach einem jener glücklichen Zufälle zuzuschreiben, welche zuweilen auch den Fischern begegnen.
Da er übrigens am Fenster der ersten Etage eines Palastes stand und mit seinem Blick folglich bis an die Biegung reichte, welche der Kai der Marinella macht, so sah er, was Basso Tomeo, der mit seinem Fisch in einen Kreis von Glückwünschenden eingeschlossen war, nicht sehen konnte und auch nicht sah.
Das, was Don Clemente sah und was Basso Tomeo nicht sehen konnte, war Fra Pacifico, welcher mit seinem Esel in der Richtung vom Marktplatz herkam, stolz wie gewöhnlich in der Mitte der Straße einherschritt und wenn er die gerade Linie verfolgte, unfehlbar auf den Fischhaufen stoßen mußte, welchen der alte Basso Tomeo so eben aus dem Meere gezogen.
Dies geschah auch. Als Fra Pacifico einen Zusammenlauf sah, der ihm den Weg versperrte, nahm er, ohne die Ursache dieses Zusammenlaufes zu kennen, um denselben leichter zu spalten, Giacobino beim Strick und ging voran, indem er sagte:
»Platz! Im Namen des heiligen Franciscus, Platz!«
Man begreift mit leichter Mühe, daß unter einer Menge, welche das Lob des Gründers der Minoritenorden pries, ein Neuhinzukommender, mochte er sein, wer er wollte, dafern er nur im Namen des Heiligen erschien, Platz finden mußte. Dies geschah aber um so schneller, als man Fra Pacifico und seinen Esel Giacobino erkannte, welche, wie Jeder wußte, die Ehre genossen, im ganz besondern Dienste des Heiligen zu stehen.
Fra Pacifico ging also die Menge spaltend und ohne zu wissen, was dieselbe in ihrer Mitte enthielt, immer weiter, bis er sich plötzlich dem alten Tomeo gegenüber sah und beinahe über den Berg von Fischen gestolpert wäre, welche sich noch in den letzten Zuckungen des Todeskampfes bewegten.
Dieser Augenblick war es, welchen Don Clemente erwartete, denn er konnte voraussehen, daß nun eine interessante Scene zwischen den Fischer und dem Mönch stattfinden würde.
In der That hatte Basso Tomeo kaum Pacifico, welcher seinen Esel Giacobino hinter sich her zerrte, erkannt, als als er sofort begreifend, welcher übermäßige Tribut von ihm gefordert werden würde, einen Schreckensruf ausstießund bleich ward, während dagegen Fra Pacifico's Gesicht sich durch ein furchtbares Lächeln verklärte, als er sah, welchen herrlichen Fang ein guter Stern ihm zuführte.
Gerade den Fischmarkt hatte er heute so schlecht versehen gefunden, daß er, obschon der nächstfolgende Tag ein Fasttag war, nichts des so feinschmeckenden Gaumens der Capuziner von St. Ephraim würdig erachtet hatte.
»Aha,« sagte Don Clemente laut genug, um von unten, das heißt vom Kai aus, gehört zu werden, »das wird interessant.«
Einige der Umstehenden hoben die Köpfe, da sie aber nicht verstanden, was der junge Mann in dem rothsammtenen Schlafrocke sagen wollte, so richteten sie ihre Blicke fast sofort wieder auf Basso Tomeo und Fra Pacifico.
Uebrigens ließ Fra Pacifico den alten Fischer nicht lange in der Ungewißheit des Zweifels. Er ergriff seinen Strickgürtel, warf ihn über den Thunfisch hinweg und sprach die bedeutsamen Worte:
»Im Namen des heiligen Franciscus!«
Dies war es, was Don Clemente vorausgesehen, und er schlug ein lautes Gelächter auf.
Es war klar, daß er im Begriffe stand, einem Kampfe der beiden mächtigsten Triebfedern menschlicher Handlungen, des Aberglaubens und des Eigennutzes, beizuwohnen.
Stand zu erwarten, daß Basso Tomeo, welcher fest glaubte, er verdanke seinen reichen Fang dem heiligen Franciscus, den schönsten Theil dieses Fanges dem heiligen Franciscus selbst oder, was ganz genau dasselbe war, dem Repräsentanten desselben verweigern würde?
Aus dem, was nun geschehen würde, konnte Don Clemente abnehmen, was in dem Kampf, den Neapel für die Wiedereroberung seiner Rechte nun bald bestehen sollte, die Patrioten von dem Volke zu hoffen hätten, und ob dieses Volk, welchem sie sich im Augenblicke des Umsturzes der Vorurtheile widmen wollten, zu Gunsten dieser Vorurtheile oder gegen dieselben kämpfen würde.
Die Probe fiel für den Philosophen nicht günstig aus.
Nach einem inneren Kampf, der übrigens nur einige Sekunden dauerte, ward der Eigennutz durch den Aberglauben überwunden