Michele ließ sich dies nicht zweimal sagen. Mit einem Satze stand er an der Treppe des Altars und kniete auf dieselbe Stufe nieder, wo Assunta betete.
Wir möchten nicht behaupten, daß das Gebet des jungen Mädchens von diesem Augenblick an noch eben so inbrünstig gewesen sei, wie während Micheles Abwesenheit, und daß sich nicht einige Zerstreutheit in dieses Gebet gemischt hätte.
Es kam jedoch in diesem Augenblick nicht viel mehr darauf an, denn der Fischfang mußte jetzt beendet sein. Man konnte daher wohl einige Worte der Liebe unter die frommen Worte mischen, auf welche der Heilige ein Recht hatte. Hier erst erfuhr Michele von Assunta die Thatsachen, welche wir in unserer Eigenschaft als Erzähler unsern Lesern mitgetheilt haben, ehe noch Michele selbst die wußte.
Zum Austausche für diese Thatsachen erzählte er ihr seinerseits die wahrscheinlichste Geschichte, die er in Bezug auf Luisa's Unwohlsein, auf einen Mord, der in der Nähe des Löwenbrunnens stattgefunden, und auf das Gerücht auftischen konnte, welches in diesem Augenblick von der Straße Sant-Eligio und dem Seufzergäßchen an bis zu der Thür des Schlächterladens alle Welt in Bewegung setzte.
Assunta hörte kaum, daß es auf dem Altmarkte Lärm gebe, so wollte sie als echte Tochter Eva‘s, die sie war, auch sofort die wirklichen Ursachen dieses Lärms kennen lernen. Da das, was ihr Geliebter ihr davon erzählte, ihr in eine gewisse Wolke gehüllt zu sein schien, so nahm die Abschied von dem heiligen Franciscus, verneigte sich, da sie mit ihrem Gebet ohnehin fertig war, gegen den Altar des Heiligen, tauchte ihre Fingerspitzen in den Weihwasserkessel an der Thür, berührte mit ihren feuchten Fingern die ihres Geliebten, machte ein letztes Zeichen des Kreuzes, nahm noch, ehe sie aus der Kirche hinaus war, Michele's Arm und verließ, leicht wie eine Lerche, welche im Begriffe steht aufzufliegen, und singend wie eine solche, mit ihm die Kirche del Carmine, erfüllt vom Vertrauen auf die Vermittelung des Heiligen und nicht zweifelnd, daß ihr Vater und ihre Brüder einen wunderbaren Fang gethan hätten.
Sechstes Capitel.
Die beiden Brüder
Assunta hatte mit Recht ihr Vertrauen auf den heiligen Franciscus gesetzt. Ihr Vater und ihre Brüder hatten einen wahrhaft wunderbaren Fang gethan.
In dem Augenblicke, wo sie begonnen hatten, ihre Netze zu ziehen, waren ihnen dieselben so schwer erschienen, daß sie anfangs glaubten, sie hingen an einer verborgenen Felsenspitze fest. Da sie indessen nicht jenen unbedingten Widerstand fühlten, welchen eine auf dem Boden des Meeres festgewurzelte Masse bietet, so erwachte in ihnen die Furcht, daß sie die Leiche eines Selbstmörders oder eines zufällig verunglückten Ertrunkenen herausziehen würden.
So wie aber das Netz sich dem Strande näherte, fühlten sie Purzelbäume und Stöße, welche verriethen, daß lebendige und zwar sehr lebendige Körper in dem Netze wären und nur mit Widerstand dem Zuge desselben folgten.
Es dauerte nicht lange, so sah man an dem Spritzen des Wassers und an den flüssigen Garben, die daraus emporstiegen, daß die Gefangenen, welche ihre Lage zu begreifen begannen, verzweifelte Anstrengungen machten, um das Netz zu zerreißen, oder darüber hinauszuspringen.
Gennaro und Gaëtano wateten in das Meer hinein und während der alte Fischer und Luigi ihre Anstrengungen vereinigten, um die widerstrebende Beute zu bekämpfen, stellten sich erstere hinter die Netze, um zu schieben, und obschon ihnen das Wasser bis an die Schultern ging, gelang es ihnen doch, die Netze vor dem Zerreißen zu bewahren.
Aus ihren Geberden und Ausrufungen konnte man jedoch abnehmen, daß der heilige Franciscus fast zu freigebig gewesen war.
Es geschah dies in dem Golf ziemlich der Hälfte der Strada Nuova, einem großen Hause gegenüber, welches von der einen Seite die Aussicht auf den Kai, von der andern auf die Straße Sant Andrea degli Scopari hatte.
Dieses Haus, welches man mit dem Namen des Pabstes della Torre bezeichnete, gehörte in der That dem Herzoge diese Namens.
Da wir im Begriffe stehen, eine vollkommen historische Thatsache zu erzählen, so sehen wir uns genöthigt, einige nähere Aufschlüsse über dieses Haus, wo die Thatsache vor ich ging, und über die Bewohner desselben zu geben.
An dem Fenster der ersten Etage stand ein junger Mann von sechs- bis achtundzwanzig Jahren, nach der neuesten Pariser Mode gekleidet, nur daß er, anstatt den langen Ueberrock oder den langschößigen Frack mit hohem Kragen, er damals Mode war, zu tragen, sich in einen eleganten Schlafrock von hochrothem Sammet gehüllt hatte, der über der Brust durch seidene Schnüre zusammengehalten ward.
Sein schwarzes Haar, welches schon seit langer Zeit dem Puder entsagt, kräuselte sich, obschon kurz geschnitten, zu natürlichen Locken.
Ein feines, mit einem eleganten Spitzenstreifen verziertes Battisthemd ließ einen Hals sehen, der jugendlich und weiß war wie der eines jungen Mädchens. Seine Hände waren weiß, lang und schmal – das Kennzeichen der Aristokratie.
Am kleinen Finger der linken Hand trug er einen Diamantring und folgte mit zerstreut in die Ferne hinaus stierendem Blick den am Himmel hingleitenden Wolken, während er mit der rechten Hand die gemessenen Bewegungen eines Dichters machte, welcher Verse scandirt.
Und es war wirklich ein Dichter von der Gattung wie Sannasar, Bertino der Parmy. Es war Don Clemente Filomarino, jüngerer Bruder des Herzogs della Torre, einer der elegantesten jungen Männer von Neapel, welcher Nicolino, Caracciolo und Roccamama die Königswürde im Bereiche der Moden streitig machte.
Ueberdies war er ein gewandter Reiter, ein geübter Jäger, ein Fechter, Schütze und Schwimmer ersten Ranges. Dabei war er, obschon jüngerer Sohn, doch reich, weil sein Bruder der Herzog della Torre, der fünfundzwanzig Jahre älter war als er, erklärt hatte, unvermählt sterben zu wollen, um sein ganzes Vermögen seinem jungen Bruder zu hinterlassen, welcher von dem älteren die ehrenvolle Mission empfangen, das Geschlecht der Herzöge della Torre fortzupflanzen, – eine Ehre, auf welche der ältere Bruder für immer verzichtet zu haben schien.
Uebrigens beschäftigte sich der Herzog della Torre mit Arbeiten, die nach seiner eigenen Ueberzeugung für seine Zeitgenossen und selbst für die Zukunft weit interessanter waren als Erzeugung von Erben und Stammhaltern seines Namens. Eingefleischter Bibliomane, war er fortwährend auf Vermehrung seiner Sammlung von seltenen Büchern und kostbaren Manuscripten bedacht.
Selbst die königliche Bibliothek – wohlverstanden, die von Neapel – besaß nichts, was man mit seiner Sammlung von Elzevier oder, richtiger gesagt, Elzeviers hätte vergleichen können. Er besaß ein beinahe vollständiges Exemplar von allen von Ludwig, Isaak und Daniel, das heißt von Vater, Sohn und Neffen9 veranstalteten Ausgaben.
Wir sagen, beinahe vollständig, weil kein Bibliomane sich rühmen kann die ganze Sammlung, von dem im Jahre 1572 erschienenen ersten Bande an, dessen Titel »Eutropi historiae romanae« ist, bis zu dem bei Ludwig und Daniel im Jahre 1655 herausgekommenen »Pastissier françois« zu besitzen.
Dennoch zeigte er mit Stolz den Liebhabern diese beinahe einzige Sammlung, in welcher man nach einander als Titelvignette den Engel, der mit der einen Hand ein Buch, mit der andern eine Sichel hält, eine Weinranke, die sich um eine Urne schlängelt, mit der Devise Non solus, die Minerva und den Oelzweig mit dem Spruch Ne extra Oleas, die Syrene, welche die Elzeviers im Jahre 1634 in ihr Wappen aufnahmen, das Medusenhaupt, die Rosenguirlande und endlich die über einem Schild gekreuzten beiden Scepter sah, welche das letzte Kennzeichen dieser Officin waren.
Ueberdies zeichneten sich eine durchgängig gut gehaltenen Ausgaben durch die Größe und Breite ihrer Ränder aus, von welchen einige fünfzehn bis achtzehn Linien erreichten.
Was seine Autographen betraf, so war dies wohl die reichste Sammlung, die es auf der Welt gab. Sie begann mit dem Siegel Tancreds von Hauteville und ging durch die Reihe von Königen, Prinzen und Vicekönigen, welche über Neapel regiert, bis auf die Unterschriften Ferdinands und Carolinens, der gegenwärtigen Regenten.
Seltsamerweise hatte diese Sammelwuth, deren hervorragendstes Symptom gewöhnlich