Sie reichte Acton die Hand. Dieser küßte sie ehrerbietig, verneigte sich tief und that einige Schritte, um sich zu entfernen.
»Apropos,« sagte die Königin.
Acton drehte sich wieder um.
»Der König wird in dem Cabinetsrath bei sehr schlechter Laune ein.«
»Das fürchte ich auch,« sagte Acton lächelnd.
»Empfehlen Sie Ihren Collegen, kein Wort zu sprechen und nur zu antworten, wenn sie gefragt werden. Die ganze Komödie muß zwischen dem König und mir gespielt werden.«
»Und ich bin überzeugt, sagte Acton, »daß Sie, Majestät, die gute Rolle gewählt haben.«
»Ich glaube es selbst,« sagte die Königin. »Uebrigens werden Sie ja sehen.«
Acton verneigte sich zum zweiten Male und entfernte sich.
»Ha,« murmelte die Königin, indem sie ihren Frauen klingelte, »wenn Emma thut, was sie mir versprochen, so wird. Alles gut gehen.«
Neuntes Capitel.
Der Arzt und der Priester
Kommen wir mit den Ergebnissen dieser so ereignißvollen Nacht zu Ende, damit wir fortan in unserer Erzählung weiter fortfahren können, ohne stehen bleiben oder umkehren zu müssen.
Wenn unsere Leser das letzte Capitel mit Aufmerksamkeit gelesen haben, so werden sie sich erinnern, daß die Verschwörer nach Salvato Palmieris Fortgange sich in zwei Gruppen, jede von drei Personen, geheilt hatten – eine, die den Pausilippo hinaufgegangen war, und eine zweite, welche sich in einem Boote zu Wasser entfernt.
Die Gruppe, welche den Pausilippo hinaufgegangen war, bestand aus Nicolino Caracciolo, Velasco und Schipani.
Die andere, welche sich mit Hilfe eines Bootes entfernt, welches unter dem großen Porticus des Palastes der Königin Johanna, einem Porticus, welchen das Meer bespült und wo sie dem Sturm getrotzt, gelegen hatte, bestand aus Dominico Cirillo, Hector Caraffa und Manthonnet.
Hector Caraffa hielt sich, wie wir bereits erwähnt, in Portici versteckt. Manthonnet wohnte daselbst und hatte, da er ein großer Liebhaber des Fischfangs war, ein eigenes Boot. In diesem Boote begab er sich, von Hector Caraffa unterstützt, von Portici nach dem Palast der Königin Johanna. Beide tüchtige Ruderer, legten sie bei ruhiger Witterung den Weg in zwei Stunden zurück. Wehte ein günstiger Wind, so spannten sie die Segel auf und dann brauchten sie gar nicht zu rudern.
Diese Nacht kehrten sie zurück wie gewöhnlich. Sie mußten rudern, denn der Wind hatte sich gelegt und das Meer war ganz ruhig.
Im Vorüberfahren wollten sie Cirillo in Mergellina absetzen. Cirillo wohnte am äußersten Ende der Chiaja und deshalb waren sie, anstatt direkt auf Portici zuzusteuern, von den Sbirren gesehen worden, während sie das Gestade entlang ruderten.
Dem Landhaus des Königs, welches jetzt dem Fürsten Torlonia gehört, gegenüber angelangt, ließen sie Cirillo aussteigen und wählten dazu eine Stelle, von wo aus man leicht den Weg erreichen konnte, der später eine Straße geworden ist.
Dann waren sie wieder in das Meer hinausgesteuert, um an der Spitze des Castels d'Uovo vorbeizurudern.
Cirillo hatte daher die Straße mit leichter Mühe und ohne bemerkt worden zu sein, erreicht, als er, nachdem er etwa hundert Schritte zurückgelegt, plötzlich eine Gruppe erblickte, die aus etwa zwanzig Mann Soldaten bestand.
Dieselben standen mitten auf der Straße und schienen lebhaft mit einander zu sprechen. Ihre Gewehre glänzten im Scheine der beiden Fackeln.
Bei demselben Scheine, der sich auf ihren Waffen spiegelte, schienen sie zwei Männer zu betrachten, die quer über die Straße hinweglagen.
Cirillo sah nun, daß es eine in Ausübung ihrer Funktion begriffene Patrouille war.
Es war nämlich dieselbe, welche Pasquale de Simone kommen gehört und vor welcher er die Flucht ergriffen, um nicht die Königin zu compromittieren.
Ganz wie der Sbirre vermuthet, hatte die Patrouille, am Platze des Kampfes angelangt, einen Todten und einen Verwundeten auf dem Lastrico liegend gefunden. Die bei- den andern Verwundeten – der, welcher einen Säbelhieb über das Gesicht bekommen, und der andere, dem durch eine Kugel die Schulter zerschmettert worden, waren noch im Stande gewesen, durch die kleine Gasse zu entfliehen, welche an dem nördlichen Theile des Gartens der San Felice hinführte.
Die Patrouille hatte mit leichter Mühe erkannt, daß einer der beiden Männer todt war und daß es durchaus überflüssig war, sich mit diesem zu beschäftigen. Sein Camerad dagegen, obschon er ohnmächtig war, athmete noch und diesen konnte man vielleicht retten.
Man war nur zwanzig Schritte von dem sogenannten Löwenbrunnen entfernt. Einer der Soldaten ging hin, um in seiner Mütze Wasser zu holen. Er schüttete dasselbe dem Verwundeten ins Gesicht und dieser schlug, überrascht durch diese unerwartete Frische, die Augen auf und kam wieder zu sich. Als er sich von Soldaten umringt sah, versuchte er sich zu erheben, aber vergeblich. Er war vollständig gelähmt und konnte nur den Kopf rechts oder links drehen.
»Aber, meine Freunde, sagte er, »wenn mir nichts weiter übrig bleibt, als zu sterben, könnte man mich dann nicht wenigstens auf ein etwas weicheres Bett tragen?«
»Der arme Teufel hat Recht, sagten die Soldaten.
»Mag er sein, wer er wolle, so müssen wir ihm gewähren, was er verlangt.«
Sie versuchten ihn in ihren Armen aufzuheben.
»Ha!« rief der Verwundete; »ich bitte Euch, geht mit mir um, als ob ich von Glas wäre, mannaggia la Madonna!«
Dieser Fluch, einer der größten, den ein Neapolitaner ausstoßen kann, verrieth, daß die Bewegung, welche man mit dem Verwundeten vorgenommen, ihm den empfindlichsten Schmerz verursacht hatte.
Als Cirillo diese Gruppe sah, war sein erster Gedanke, ihr aus dem Wege zu gehen, unmittelbar darauf aber fiel ihm ein, daß diese Patrouille und die Männer, welche sie von dem Pflaster aufhob, mitten auf der Straße sich bei fanden, welche Salvato Palmieri hatte einschlagen müssen, um sich zu dem französischen Gesandten zu begeben, und er kam ganz natürlich auf die Vermuthung, daß dieser Zusammenlauf durch irgend eine Katastrophe herbeigeführt worden sein könne, bei welcher der Abgesandte des Generals Championnet eine Rolle gespielt.
Er näherte sich daher entschlossen in demselben Augenblick, wo der Officier, der die Patrouille commandierte, die Thür eines Hauses einzuschlagen drohte, welches auf der andern Seite des Löwenbrunnens stand und die Ecke der Straße bildete.
Einer der hervorragenden Charakterzüge der Bewohner von Neapel ist nämlich der Widerwille, den sie instinctartig empfinden, ihrem Mitmenschen Beistand zu leisten, wäre er selbst in Todesgefahr.
Auf Befehl des Officiers und besonders in Folge der von den Soldaten gegen die Thür geführten Kolbenschläge öffnete sich endlich dieselbe und Cirillo hörte zwei oder drei Stimmen, welche fragten, wo man einen Wundarzt finden könne. Seine Pflicht und eine Neugier bewogen ihn gleichzeitig sich anzubieten.
»Ich bin Arzt, doch nicht Wundarzt,« sagte er, »aber im Nothfall kann ich auch ein wenig Chirurgie treiben.«
»Ach, Herr Doktor, sagte der Verwundete, welchen man eben getragen brachte und welcher Cirillos Worte gehört, »ich fürchte, daß Sie an mir einen schlechten Kunden finden werden.«
»Nun,« sagte Cirillo, »die Stimme klingt noch nicht schlecht.«
»Ich kann fast, weiter nichts mehr bewegen als die Zunge,« sagte der Verwundete, »und deshalb mache ich davon so viel als möglich Gebrauch.«
Mittlerweile hatte man eine Matratze aus einem Bett gezogen, dieselbe auf einen in der Mitte des Zimmers stehenden Tisch geworfen und legte nun den Verwundeten darauf.
»Einige Kissen unter den Kopf,« sagte Cirillo. »Der Kopf eines Verwundeten muß stets hoch liegen.«
»Ich danke, Herr Doctor, ich danke, sagte der Sbirre.