Der Krieg war jetzt auch in der Hauptstadt präsent. Am 25. August 1940 griff die Royal Air Force erstmals Berlin an. Am Vortag hatte die deutsche Luftwaffe die ersten Bomben auf London abgeworfen. Bis Ende 1941 setzten sie mittelgroße Angriffe fort. Wegen der großen Entfernung von Großbritannien nach Berlin und der starken deutschen Luftabwehr waren diese Angriffe sehr verlustreich. Besonders viele Flugzeuge, nämlich 21 von 169 gestarteten Bombern, gingen bei einem Angriff am 7./8. November 1941 verloren. Die Briten konzentrierten sich fortan auf leichtere Ziele wie das Ruhrgebiet. Nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wurden dann ab dem 16. Januar 1943 die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin von britischen, US-amerikanischen und einigen französischen und sowjetischen Bombern geflogen. Den größten Bombenhagel, durch 1.184 US-amerikanische Flugzeuge, mussten die Einwohner von Berlin am 18. März 1945 erleben. Die Bomber warfen 1628,7t Sprengbomben und 1258t Brandbomben ab. Wegen den nächtlichen Fliegeralarmen in Berlin waren die Nerven bei den Kindern und Erwachsenen auf äußerste angespannt. Die Schutzsuche in den Kellern und die Angst dort in den Trümmern umzukommen gehörten zum täglichen Leben.
Insgesamt gab es 310 Luftangriffe auf Berlin.
Viel Zeit verbrachte man daher auf dem Lande. Dort wurde dann auch zu Silvester 1941 die dritte Tochter der Familie, unsere Barbara, geboren. In Berlin kam dann noch Anfang 1943 ein weiterer Sohn, der Arno, zur Welt. Nachdem die Luftangriffe auf Berlin wieder verstärkt geflogen wurden, hatte sich meine Familie, zum Glück noch rechtzeitig vor dem 21. Juni 1944, als durch amerikanische Luftangriffe die Bombardierung von Berlin– Treptow erfolgte, wobei auch unsere Stadtwohnung zerstört wurde, auf das Land begeben und die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges dort verbracht. Die schulpflichtigen Kinder besuchten in der Zeit nicht mehr die Schulen in Berlin, sondern die Schulen im 7,0 km entfernten Erkner. Diesen Weg mussten die drei ältesten Geschwister täglich zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf sich nehmen. Aber auf dem Dorf verlebte meine Familie die letzten, Kriegsjahre etwas weniger angespannt. Akustisch waren allerdings auch hier die fürchterlichen Bombenangriffe auf Berlin zu hören. Selbst im nahegelegenen Erkner kam es am 08. März 1944 zu einer fürchterlichen Katastrophe. Meine beiden Schwestern und der älteste Bruder wurden bei diesem Angriff auf dem Heimweg von der Schule von Tieffliegern überrascht und gejagt. Sie konnten sich nur noch mit einem beherzten Sprung in den Straßengraben vor den Salven des Jägers schützen. Voller Angst und Panik und den Tod vor Augen haben sich die drei in dieser Situation die Hosen vollgeschissen und vollgepisst. Als die Flieger sich endlich verzogen hatten, krochen meine angegriffenen Geschwister aus dem Graben und taumelten völlig leer im Kopf, traumatisiert, die letzten Kilometer nach Hause. Amerikanische Bomber legten an diesem Tag in einem 30-minütigen Bombardement das Ortszentrum der Stadt Erkner in Schutt und Asche. Hauptziel war dabei das Kugellagerwerk, welches beim Angriff in seiner Funktionstüchtigkeit kaum beeinträchtigt wurde. Aber von 1.333 Häusern wurden 1.007 restlos zerstört, darunter waren auch Schulgebäude. Es waren viele tote Zivilisten zu beklagen. Meine Geschwister hätten welche von ihnen sein können. Diese Belastungen zerrten schon sehr an der Verfassung der Familie. Nachdem der 1941 begonnene Vernichtungskrieg gegen die UdSSR mit um die 40 Millionen Opfer und der verbrannten Erde gescheitert war, wurde die Wehrmacht an allen Fronten zurück geschlagen. Bis Ende 1944 musste die gescheiterte Armee sich an die Reichsgrenzen zurückziehen. Trotz der NS-Propaganda, wo immer noch vom Endsieg gefaselt wurde, glaubte die Bevölkerung kaum noch an den glanzvollen Sieg. Mit den Sorgen und Problemen der Bürger, was ihnen bei einer sicheren vorhersehbaren Niederlage für Unheil erwarten würde, kam auch die Kenntnis dazu, dass sich die Versorgungslage in den Endkriegsjahren immer schwieriger gestaltete. Wer die Möglichkeiten zur Selbstversorgung aus dem eigenen Garten oder beim Fischen aus der Spree hatte und im Stall noch Haustiere sein Eigen nennen konnte, war noch ganz gut dran. Allerdings musste man sich vor Neidern hüten. Meine Eltern hatten ihre Pferde, ein Hengst war 1941 Star in dem Film „Reitet für Deutschland mit Willy Birgel“, zum Militär abgeben müssen und hielten sich dann dafür eine Milchkuh. Durch die Versorgungsnotlage konnten sie irgendwann dann den erzielten Milchertrag auch nicht mehr behalten. Die Milch musste nach einer Verordnung abgegeben werden. Natürlich versuchte meine Mutter den einen oder anderen gemolkenen Liter Milch für die Ernährung ihrer sechs Kinder von der Abgabe abzuzweigen. Schließlich gibt die Kuh ja nicht jeden Tag die gleiche Menge Milch. Das ging auch eine ganze Weile gut, bis eines Tages die älteste Schwester Lisbeth beim Treffen mit anderen Jugendlichen im Dorf blöder Weise damit prahlte, dass es bei uns am Sonntag Kuchen mit Schlagsahne geben würde. Eine Freundin erzählte ihren Eltern zu Hause davon. Dieses Vergehen wurde von einem Nachbarn mit Parteibuch der NSDAP angezeigt. Es dauerte nicht lange bis die Polizei vorstellig wurde und es kam zu einer gerichtlichen Verfolgung. Der Postbote brachte eine Anklage vom Amtsgericht, wegen Unterschlagung von abzugebender Milch ins Haus. Der Richter verurteilte meinen Vater zu einer hohen Geldstrafe von 7.000 Reichsmark und die Kuh wurde sofort beschlagnahmt. Nun gab es keine Milch mehr.
Verfluchter Volkssturm
Unser Vater war, warum auch immer, mit seinem Betrieb für die Volksernährung zuständig. Aufgrund seines Status war er daher vom Wehrdienst befreit. Doch dann, Anfang Februar 1945, Opa Max war bei den Reusen an der Spree und wollte gerade gefangene Fische ausschütten, kam mein Vater mit seinem BMW Dixi 3/15 mit hohem Tempo den Gartenweg zum Haus heran gerast. Er war völlig aufgeregt ausgestiegen und erklärte meiner Mutter, die sich staunend nach draußen begab, dass er von einem Bekannten, der im Berliner Wehrersatzamt arbeitete, die Information hatte, nachdem Goebbels Berlin am 01. Februar 1945 zur Festung erklärte, dass seine Einberufung zum Volkssturm unmittelbar bevor stand.
Dieser Volkssturm bestand aus militärisch unerfahrenen Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren sowie meist männlichen Personen über 60 Jahre. Dieses war das letzte Aufgebot Deutschlands gegen die übermächtigen Alliierten und als Todeskommando anzusehen.
Meine Mutter packte meinem Vater schnell einen Koffer. Er verabschiedete sich von seiner Familie und seinem Vater und fuhr als Dienstreise getarnt nach Hamburg. Dort wollte er sich bei guten Bekannten bis zum Ende des Krieges verstecken. Am nächsten Tag kam tatsächlich der Briefträger mit dem Einberufungsbescheid. Meinem Vater war klar, dass er nun als Fahnenflüchtiger gesucht wurde. Aber er hatte einen zeitlichen Vorsprung um sich zu verstecken. Die Schlacht um Berlin war die letzte bedeutende Kriegshandlung des Zweiten Weltkrieges. Sie dauerte vom 16. April bis zum 02. Mai 1945. Diese Endzeit des Krieges und der damit verbundene Einmarsch der Roten Armee der Sowjetunion nach Berlin wurden zum Albtraum Erlebnis vieler Menschen, die sich in dieser Gegend vor oder in Berlin aufhielten. Als dann später der Lärm der russischen Artilleriegeschütze immer bedrohlich näher wahrnehmbar wurde, war allen klar, der Krieg war verloren.
“Die Russen kommen.“
Zur Einnahme Berlins konzentrierte die Sowjetunion etwa 2,5 Millionen Soldaten, 6.000 Panzer, 7.500 Flugzeuge und weit über 10.000 Artilleriegeschütze. Gegen diese militärische Übermacht war Gegenwehr Wahnsinn und wurde teuer bezahlt. Die Kämpfe forderten Schätzungen zufolge über 170.000 Gefallene und 500.000 verwundete Soldaten sowie den Tod mehrerer zehntausend Zivilisten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beklagten die Sowjets etwa 80.000 getötete Rotarmisten, die bei der Eroberung Berlins gefallen waren. Ihnen zum Gedenken wurden in Berlin drei Ehrendenkmäler errichtet. Im Treptower Park entstand das größte zentrale Ehrenmal,