Als ihr plötzlich klar wurde, was sie noch alles zu tun hatte, sprang sie aus dem Bett. Sie musste Anrufe tätigen! Wie hatte sie vergessen können, Jayne und Amy die Neuigkeiten zu verkünden? Und was war mit ihrer Mutter? Sie war so in dem Augenblick, in ihrer Freude und dem Feiern mit ihren Freunden gefangen gewesen, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte.
Schnell duschte sie sich und zog sich an, dann rannte sie mit ihrem Handy in der Hand hinaus auf die Veranda. Während sie durch ihre Kontakte scrollte, tropfte Wasser aus ihrem noch immer nassen Haar auf ihr Oberteil. Bei der Nummer ihrer Mutter angekommen, zögerte sie und ihre Finger begannen zu zittern. Sie hatte einfach nicht den Mut, auf den Hörer zu drücken. Sie wusste, dass ihre Mutter nicht so reagieren würde, wie sie es sich erhoffte; stattdessen würde sie Charlotte gegenüber argwöhnisch sein und annehmen, das Daniel Emily nur heiratete, um eine Mutter für sein Kind zu bekommen. Deshalb beschloss Emily, die Lage bei Jayne zu sondieren. Ihre beste Freundin sagte ihr immer geradehinaus, was sie dachte, doch in ihrer Stimme schwang nie diese Enttäuschung mit wie es normalerweise bei Emilys Mutter der Fall war.
Sie wählte Jaynes Nummer und lauschte dem Klingeln. Dann nahm jemand ab.
„Em!“, rief Jayne. „Ich habe dich auf laut gestellt.“
Emily hielt inne. „Warum das denn?“
„Wir sind gerade im Konferenzzimmer. Ames und ich.“
„Hi Emily!“, rief Amy fröhlich. “Geht es um das Jobangebot?”
Emily brauchte einen Moment, um zu verstehen, worüber sie redeten. Das Kerzenunternehmen, das Amy auf der Universität in ihrem Studentenzimmer gegründet hatte, florierte richtig. Sie hatte Jayne angestellt und setzte nun alles daran, Emily mit ins Boot zu holen. Keine von beiden konnte wirklich verstehen, warum Emily es vorzog, lieber in einer Kleinstadt als in New York zu wohnen, und warum sie sich dafür entschieden hatte, eine Pension zu führen, anstatt mit ihren zwei besten Freundinnen in einem protzigen Büro zusammen zu arbeiten. Und was sich ihrem Verständnis vollkommen entzog, war die Tatsache, dass sich Emily um das Kind eines anderen Mannes kümmerte (der noch dazu einen Bart trug!), ganz ohne die Absicherung, eines Tages eigene Kinder mit ihm zu bekommen.
„Nicht wirklich“, sagte Emily. „Es geht um…“ Sie verstummte, denn ihr Mut schwand dahin. Dann riss sie sich zusammen. Sie hatte nichts, wofür sie sich schämen musste. Auch wenn ihr Leben eine andere Richtung eingeschlagen hatte als das ihrer zwei besten Freundinnen, war daran überhaupt nichts falsch. Ihre Entscheidungen waren ihre Sache und sollten respektiert werden. „Daniel und ich werden heiraten.“
Am anderen Ende der Leitung herrschte zunächst einen Moment lang Schweigen, dann ertönte schrilles Kreischen. Emily zuckte zusammen. Sie konnte sich ihre Freundinnen geradezu mit ihren perfekt manikürten Nägeln, ihrer durch die Feuchtigkeitscreme nach Rose und Camille riechenden Haut und ihrem glänzenden Haar vorstellen, wie sie von ihren Stühlen aufsprangen.
Durch den Lärm konnte Emily ausmachen, dass Jayne „Oh mein Gott!“ und Amy „Alles Gute!“, schrien.
Sie seufzte erleichtert auf. Ihre Freundinnen hielten zu ihr. Das war eine Sorge weniger.
Schließlich ebbte das unverständliche Kreischen ab.
„Du bist aber nicht schwanger, oder?“, fragte Jayne, die wie immer kein Taktgefühl besaß.
„Nein!“, rief Emily mit einem Lachen.
„Jayne, halt den Mund“, schimpfte Amy. „Erzähl uns alles. Wie hat er um deine Hand angehalten? Wie sieht der Ring aus?“
Emily erzählte ihnen vom Strand, den Liebeserklärungen im Schnee und dem wunderbaren, perlenbesetzten Ring. Ihre Freundinnen seufzten an genau den richtigen Stellen. Emily spürte, dass sich die beiden für sie freuten.
„Wirst du seinen Namen annehmen?“, bohrte Jayne weiter nach. „Oder einen Doppelnamen führen? Mitchell-Morey ist ganz schon umständlich. Wie wäre es mit Morey-Mitchell? Emily Jane Morey-Mitchell. Hmm. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Vielleicht solltest du einfach deinen eigenen Namen behalten, findest du nicht? Das wäre immerhin eine aussagekräftige, mutige und feministische Entscheidung.“
Emilys Gedanken schwirrten, während Jayne in ihrer üblichen aufgedrehten Weise vor sich hin brabbelte und ihr kaum eine Pause ließ, um eine ihrer Fragen zu beantworten.
„Wir sind aber schon deine Brautjungfern, oder?“, endete Jayne auf ihre typische, direkte Art.
„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, gab Emily zu. Jayne und Amy mochten zwar in der Tat ihre ältesten Freundinnen sein, doch seit ihrem Umzug nach Sunset Harbor hatte sie auch hier neue Freunde gefunden. Dazu gehörten Serena, Yvonne, Suzanna, Karen und Cynthia. Und was war mit Chantelle? Es war Emily wichtig, dass sie eine tragende Rolle bei der ganzen Sache spielte.
„Wo findet das ganze denn statt?“, wollte Jayne wissen, die die Tatsache, dass Emily sie beide nicht als Brautjungfern in Betracht gezogen hatte, ein wenig verärgerte.
„Das weiß ich auch noch nicht“, sagte Emily.
Plötzlich wurde ihr klar, wie viel Arbeit noch vor ihnen lag. Es gab noch so viel zu organisieren. So viel zu bezahlen. Auf einmal war sie von der ganzen Sache überwältigt.
„Meinst du, es wird eine große Hochzeit oder ehr eine kleine?“, warf Amy ein. Ihre Frage war nicht so emotional beladen wie die von Jayne, doch trotzdem lastete ihr eine gewisse negative Stimmung an. Emily fragte sich, ob Amy immer noch wegen ihrer geplatzten Verlobung mit Fraser sauer war. Vielleicht nahm sie es Emily übel, einen Ring und einen Verlobten zu haben, während sie selbst beides verloren hatte.
„Wir haben noch keine Details besprochen“, erklärte Emily. „Es ist alles noch so neu.“
„Aber du träumst schon seit Jahren davon“, entgegnete Amy.
Emily runzelte die Stirn. Es stimmte, sie hatte schon lange davon geträumt, zu heiraten. Aber sie hatte sich nie vorgestellt, wie ihr Leben verlaufen würde. Die Liebe, die sie mit Daniel teilte, war einzigartig und unerwartet und ihre Hochzeit würde genauso sein. Sie musste alles noch einmal überdenken, damit es für sie beide perfekt war und zu ihrer besonderen Beziehung und ihrem Leben passte.
„Kannst du uns zumindest ein Datum nennen?“, wollte Jayne wissen. „Unser Kalender ist randvoll.“
Emily stammelte. „Ich weiß es noch nicht.“
„Der Monat tut’s für jetzt auch“. Jayne gab nicht auf.
„Den kann ich euch auch noch nicht sagen.“
Jayne seufzte frustriert auf. „Wie wäre es mit dem Jahr?“
So langsam wurde Emily ungehalten. „Ich weiß es einfach nicht!“, schrie sie. „Ich habe mir um all das noch keine Gedanken gemacht!“
Nun herrschte Stille. Emily konnte sich die Szene bildhaft vorstellen: Ihre Freundinnen, die in ledernen Bürostühlen an einem riesigen Glastisch saßen, wechselten einen Blick, während Emilys Stimme aus dem Telefon zwischen ihnen dröhnte und sich in dem ausladenden Konferenzzimmer multiplizierte. Sie krümmte sich innerlich vor Verlegenheit.
Dann brach Jayne die Stille. „Pass bloß auf, dass die Verlobung nicht zu einer von denen wird, die niemals enden“, sagte sie mit neutraler Stimme. „Du weißt ja, wie manche Männer sind. Man könnte meinen, sie hätten bei ihrem Antrag gar nicht bedacht, dass danach eine Hochzeit erwartet würde. Sie denken wohl, dass sie sich ihr restliches Leben lang entspannt