Sie rechnete in ihrem Kopf zurück, in dem Versuch, herauszufinden, wann sie schwanger geworden sein könnte. Doch das Baby war nicht geplant gewesen, egal, wie sehr sie sich darüber freuten. Es war ein glücklicher Unfall, der irgendwann geschehen war.
Emily dachte an die seltsamen Schwindelanfälle, die sie in letzter Zeit gehabt und die sie auf Stress geschoben hatte, sowie an die zahlreichen Momente, in denen ihr übel gewesen war, was sie auf Nervosität zurückgeführt hatte. Waren das etwa schon die ersten Anzeichen der Schwangerschaft gewesen? In letzter Zeit war so viel geschehen – die Hochzeit, die Adoption, ihr Vater und Roman Westbrook – dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass ihre Periode ausgeblieben war. Als sie so darüber nachdachte, stellte sie fest, dass sie ihre letzte Periode eine Woche vor der Hochzeit gehabt hatte. Das war schon Wochen her. Wenn sie in ihren Flitterwochen schwanger geworden war, dann hätte sie womöglich schon die Hälfte des ersten Trimesters geschafft!
„Wir müssen mit einem Arzt reden“, erklärte Emily Chantelle. „Er wird dann herausfinden können, wie lange ich schon schwanger bin und wann das Baby auf die Welt kommen wird.“
„Aber das wird immer noch viele Monate dauern“, fügte Daniel hinzu. „Du musst also geduldig sein.“
Das war jedoch nicht gerade Chantelles Stärke.
„Können wir einen Kalender erstellen?“, fragte sie mit großen und glitzernden Augen. „Damit wir die Tage herunterzählen können?“
Emily strahlte, berührt von Chantelles Begeisterung. „Das hört sich wunderbar an“, meinte sie.
„Kann er richtig groß sein?“, fuhr Chantelle fort. „So groß wie eine ganze Wand?“ Sie streckte ihre Arme so weit sie konnte aus.
Emily nickte. „Okay!“
„Mit Regenbogenfarben?“
„Wenn du das möchtest.“
„Und mit Glitzer?“
Emily lachte. „Das hört sich toll an.“
Es war solch eine Erleichterung zu wissen, dass Chantelle sich für sie freute. Sheilas Schwangerschaft hatte in Chantelle eine Welle an Emotionen ausgelöst, gepaart mit der Tatsache, dass ihr Schulfreund Toby auch bald ein großer Bruder werden würde. Emily war leicht besorgt gewesen, dass Chantelle nicht gut auf die Neuigkeiten reagieren würde. Doch bisher schien sie nur begeistert zu sein. Emily merkte sich vor, Chantelles Lehrerin Miss Glass und der Schulpsychologin Gail über die Situation Bescheid zu geben, falls Chantelle eine verspätete schlechte Reaktion auf darauf zeigte.
Daniels Miene wurde für einen Moment ernst. „Chantelle, könntest du die Sache erst einmal für dich behalten?“, bat er.
Das Mädchen sah ihn mit einem Stirnrunzeln an, so als ob er einen Luftballon zum Platzen gebracht hätte. „Warum denn?“
Emily wusste, warum Daniel die Sache erst einmal nicht an die große Glocke hängen wollte. Sie hatte das kritische erste Trimester noch nicht hinter sich. Dies war ihre erste Schwangerschaft und sie war nicht mehr die jüngste. Mit sechsunddreißig fiel sie in die Kategorie mit dem schrecklichen Namen der „Spätgebärenden“. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt war höher als unter normalen Umständen. Dieser Gedanke sandte eine Schockwelle durch ihren Körper.
„Damit es unser besonderes Morey-Familien-Geheimnis ist“, erklärte Emily, während sie ihr auf die Nase tippte. „Dann macht das Ganze noch viel mehr Spaß.“
Daniel sah mit erleichterter Miene auf, vermutlich, weil Emily sich um die delikate Situation kümmerte.
Chantelles Stirnrunzeln wich Misstrauen, was jedoch genauso schnell verschwand, wie es gekommen war.
„Okay!“, sagte sie zustimmend, während sie die Augenbrauen hochzog. „Aber was ist mit Papa Roy? Er gehört auch zur Familie, aber er ist ein Mitchell und kein Morey.“
Emily dachte einen Moment über diese Frage nach. Was war mit ihrem Vater? Sollte sie es ihm vor dem Ende des ersten Trimesters erzählen? Sollte sie es überhaupt jemandem erzählen? Sie brauchte emotionale Unterstützung, so viel war sicher. Sie wusste einfach nicht, wer dafür am besten geeignet wäre. Ihr Vater war erst vor kurzem wieder in ihr Leben getreten. Sie wusste nicht, wie er darauf reagieren würde, Vater, Schwiegervater und nun auch Großvater zu sein!
„Vielleicht in einer Weile“, sagte sie zu Chantelle. „Für jetzt ist es ein Geheimnis zwischen uns drei. Okay?“
Chantelle tat so, als würde sie sich den Mund verschließen. Dann formte sie mit den Lippen stumm die Worte: „Ich liebe dich.“
Emily lächelte in sich hinein und erwiderte die Geste. Der Augenblick war so perfekt, so wunderschön. Sie schätzte sich glücklich, dass ihre Familie so perfekt zusammengefunden hatte.
*
In dieser Nacht lagen Emily und Daniel zusammen im Bett.
„Ich kann nicht schlafen“, gestand Emily, während sie sich auf die Seite rollte, um ihn anzusehen.
Dabei spürte sie, wie sich Daniels Hand unter der Decke beschützerisch auf ihren Bauch legte.
„Warum wohl?“, entgegnete er mit einem Glucksen.
Emily legte ihre Hand auf seine. „Ich weiß, ich kann selbst noch gar nicht glauben, dass es wahr ist. Vielleicht glaube ich es erst, wenn ich bei einem Arzt war und ein Ultraschallbild gesehen habe.“
„Ein Ultraschallbild“, wiederholte Daniel ehrfürchtig. „Bei Chantelle hatte ich nie die Möglichkeit, all das zu erleben.“
Er tat Emily leid. Daniel hatte so viel von Chantelles frühem Leben, einschließlich ihrer Geburt, verpasst. Diesmal würden die Dinge anders sein. Er würde jeden Moment im Leben ihres Babys miterleben, das erste Lächeln, das erste Niesen, den ersten Schritt. Der Gedanke wärmte ihr Herz.
„Wann werden wir also unser Baby sehen?“, fragte Daniel. „Wann ist der erste Ultraschall?“
„Ich denke bei zwölf Wochen“, antwortete Emily, die erkannte, dass sie selber nicht sonderlich viel über das wusste, was gerade geschah. Ihre Schwangerschaft war etwas, bei dem sie gemeinsam lernen würden. „Ich werde erst beim Arzt erfahren, wie weit ich bin.“
„Glaubst du, du bist in unseren Flitterwochen schwanger geworden?“, wollte Daniel wissen.
„Das hoffe ich“, erwiderte Emily grinsend, während sie sich genau an ihre Liebesspiele erinnerte und wusste, dass sie ihre gemeinsame Zeit in den Flitterwochen niemals vergessen würde.
Daniel wurde still. „Sollen wir es den Leuten sagen? Unseren Freunden. Den Angestellten.“ Dann fügte er mit leiser Stimme hinzu: „Unseren Müttern.“
Emily seufzte. Darüber hatte sie auch schon nachgedacht. Keine ihrer Mütter nahm aktiv an ihrem Leben teil. Beide hatten schwierige Persönlichkeiten und ihre Kinder in der Vergangenheit schwer enttäuscht, weshalb sie wohl auch als Großmütter versagen würden. Wenn sie ihre Probleme schon nicht in den Griff bekommen hatten, um zur Hochzeit ihrer Kinder zu kommen, welche Hoffnung bestand dann, dass sie im Leben ihres Enkelkindes eine aktive Rolle spielen würden?
„Lass uns noch nicht darüber nachdenken“, sagte Emily. „Ich will zumindest ein paar Wochen lang glücklich sein. Schaffen wir das?“
Daniel nickte und wandte seinen Blick zur Decke. Emily hatte den Eindruck, dass er ein wenig zurückhaltend und reserviert wirkte. Sie hoffte, dass das nur mit seiner Mutter zu tun hatte, und mit nichts anderem. Trotzdem sorgte sie sich darum, dass seine Stimmung einen anderen Auslöser hatte. Vielleicht freute er sich doch nicht so über die Schwangerschaft. Immerhin hatte er ihr gemeinsames Kind planen wollen. Vielleicht war er enttäuscht, dass es einfach