Глава, в которой Агата Кристи пишет про Иуду, а Джоан Роулинг — про Христа. Галина Юзефович. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Галина Юзефович
Издательство: Бесплатный контент
Серия: Книжный базар
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
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hatte, seinen Körper rhythmisch vor und zurück zu wiegen und dabei vielleicht ein weiteres verschüttetes Stückchen Erinnerung an die Oberfläche seines Bewusstseins zu schütteln, war nicht nur das Meer ein wenig auf ihn zugekommen und die Sonne ein Stückchen höher in den Himmel geklettert. Der Strand rund um ihn her hatte sich auch belebt, Menschen hatten ihre Decken und Badelaken ausgebreitet, sich zuerst zögernd und dann immer freimütiger bis aufs Schwimmzeug entblößt und ihre nussbraunen, madenweißen oder himbeerrosa Körper den wechselseitigen Blicken und den Sonnenstrahlen dargeboten. Längst war das Fleckchen Sandstrand, auf dem er am Morgen noch mutterseelenallein gehockt hatte, von anderen Badegästen umgeben, umringt, umzingelt. Förmlich eingekesselt. Nicht, dass er das nicht wahrgenommen hätte, nur hatte er es irgendwie ausgeblendet. Bis jetzt.

      »Und hast du denn auch keine Badehose?«

      Ein Schwall Sand prickelte über seinen rechten Oberschenkel. Langsam drehte er seinen Kopf auf dem dicken, kurzen Hals, peilte misstrauisch aus den Augenwinkeln.

      »Was machst du denn eigentlich hier, wenn du kein Handtuch und keine Badehose hast?«

      Die Kleine mochte sechs Jahre sein, vielleicht acht, älter auf keinen Fall. Dafür reichlich altklug. Wie sie da stand, das rundliche Kinn vorgestreckt, die Ellbogen angewinkelt, beide Fäuste in die babyspeckigen Hüften gestemmt, hätte sie gut und gerne eine amtlich bestallte Strandaufseherin sein können. Vielmehr die Karikatur einer solchen, angefertigt für die tägliche Kinderseite der Badezeitung.

      »Klar hab ich Badesachen«, sagte der dicke Mann, einfach um etwas zu sagen.

      »Und wo sind die?« Die Kleine erwies sich als hartnäckig. »Warum hast du deine Badehose denn nicht an? Warum sitzt du einfach so im Sand, wenn du ein Handtuch hast oder ein Badelaken? Und wo hast du das alles denn überhaupt?«

      »Da drüben«, log er und wedelte mit der linken Hand vage nach links, zur anderen Seite des Strandgetümmels. »Hab mich noch nicht umgezogen. Wollte erst mal gucken.«

      Der Kleinen schien das einzuleuchten. Sie nickte ernsthaft, wobei ihr das blendend weiße Sonnenhütchen tief in die Stirn rutschte. »Bist du denn ganz allein hier?«

      Der dicke Mann seufzte leise. »Ich glaube schon«, antwortete er. »Jedenfalls habe ich noch keinen gesehen, der zu mir gehört.«

      Wieder nickte das Mädchen. Offenbar hatte der dicke Mann genau den richtigen Ton getroffen. Das erstaunte ihn, denn er war nicht davon ausgegangen, besonders viel Erfahrung im Umgang mit Kindern zu haben. Aber was wusste er schon über sich?

      Die Kleine trug tatsächlich einen Bikini. Das mintgrüne Höschen war ebenso mit einer gewellten Blümchenborte verziert wie das gleichfarbige Oberteil, das nichts anderes zu halten hatte als sich selbst. Eigentlich Blödsinn, Kinder in diesem Alter derart aufzuzäumen. Aber vermutlich konnten manche Eltern ihre Töchter gar nicht früh genug ins Rollenschema pressen.

      Die Kleine musterte ihn weitaus unverhohlener als er sie. Anscheinend war sie mit dem Resultat ihrer Betrachtung zufrieden, denn sie fragte: »Kommst du mit ins Wasser? Mami und Papi haben noch keine Lust, und alleine traue ich mich nicht.«

      »Aber ich habe doch meine Badehose noch gar nicht an«, versuchte er sich halbherzig herauszureden. Ein Fehler, wie ihm sofort klar wurde, denn mit Halbherzigkeiten war bei der kleinen Bikiniträgerin nicht durchzukommen.

      »Die kannst du dir doch holen«, schlug das Mädchen vor, sichtlich froh, dass er nicht sofort und prinzipiell abgelehnt hatte. Ihr pummeliges Händchen wedelte vor seiner Nase herum, wies auf die andere Strandseite: »Von da hinten, wo du gesagt hast. Und dein Badelaken auch. Dann tust du dir dein Laken um und ziehst dir deine Badehose an, und dann gehen wir schwimmen.« Sie musterte ihn mit gekraustem Näschen: »Du hast doch ein Laken, das um dich rum passt, oder?«

      »Gute Frage«, brummte er. Da hatte er sich ja in eine verteufelte Lage hineinmanövriert! Wo er doch weder Badehose noch Laken besaß, jedenfalls nicht jetzt und hier.

      Andererseits …

      Ewig hier sitzen bleiben und mit dem Oberkörper wackeln konnte er sowieso nicht. Irgendetwas musste er unternehmen. Er musste hier weg, und solange er nicht wusste, was von ihm selbst, der Beule an seinem Kopf und den Krusten an seinen Händen zu halten war, tat er bestimmt gut daran, möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Und ein dicker Mann in Badehose und mit einem Badelaken über der Schulter fiel hier am Strand mit Sicherheit weniger auf als einer in Unterwäsche. Ein von der textilen Seite her betrachtet kleiner, aber feiner Unterschied.

      Und mit einem kleinen Mädchen im geblümten Mintbikini an seiner Seite konnte er sogar von einer perfekten Tarnung sprechen.

      »Na gut, überredet«, sagte er und wuchtete sich mühsam aus der Kuhle, die sein Hintern in Stunden des Wiegens in den Sand gedrückt hatte. Eine wahrlich imposante Vertiefung. »Komm, wir holen meine Sachen. Da hinten müssen sie irgendwo liegen.«

      Die Kleine klatschte begeistert in die Hände, dass die Sandkörnchen nur so stoben, und tanzte ausgelassen um ihn herum. Als er sich in Bewegung setzte, nach links, weg vom mutmaßlichen Lagerort des schwimmunwilligen Elternpaares, angelte das Mädchen nach seiner Hand und packte, da sie sich als zu dick erwies, energisch Mittel- und Zeigefinger. Jetzt wurde ihm doch etwas mulmig, aber für einen Rückzug war es zu spät.

      »Wie heißt du eigentlich?«, fragte er. Und biss sich auf die Lippen.

      Sie aber schien die Frage dem derzeitigen Stand ihrer Beziehung angemessen zu finden. »Binki«, antwortete sie. »Von Bianca. Aber Bianca finde ich doof, Binki ist besser. Und du?«

      Na klar. Das hatte ja kommen müssen. Er zögerte nur einen Augenblick, dann sagte er fest: »Kurt. Ich heiße Kurt.« Und wenn er auch niemals so geheißen hatte, jetzt jedenfalls hieß er so.

      Wie einen Radarstrahl schwenkte er seinen Blick suchend über den Strandsektor in ihrer Gehrichtung hin und her. Was er jetzt brauchte, war ein verlassenes Badelaken, und zwar eins, auf dem eine Herrenbadehose in ausreichender Größe lag. Wie groß mochte die Wahrscheinlichkeit sein, auf genau diese Konstellation zu stoßen? Gar nicht einmal so klein, entschied er. Schließlich dominierten um diese Jahreszeit die etwas älteren Kurgäste, und die älteren waren statistisch gesehen doch auch etwas kräftiger um die Körpermitte. Außerdem standen ältere Menschen in der Regel zeitig auf, gingen früher als andere an den Strand, schwammen früher und entledigten sich demzufolge auch früher ihrer nassen Badekleidung, um sich keine im Alter empfindlicher werdenden Körperteile zu verkühlen. Und weil Bewegung an frischer Luft und im kühlen Nordseewasser hungrig und durstig macht, war die Wahrscheinlichkeit, dass besagte ältere Menschen mal eben den nächsten Kiosk, einen Imbiss oder das Klohäuschen aufsuchten und zwar nicht ihre Wertsachen, wohl aber Laken und nasse Hosen ein paar Minuten unbeaufsichtigt ließen, durchaus …

      Na bitte! Schon war er fündig geworden. Von einem gelb-rot-blau gestreiften Laken leuchtete ihn eine orangefarbene Badehose in großzügigem Bermudaschnitt geradezu an. Direkt daneben lag ein zerknülltes dunkellila T-Shirt, ebenfalls feucht. Mit etwas Glück bescherte ihm beides zusammen ein gesellschaftsfähiges Strand-Outfit.

      Verstohlen sicherte er nach beiden Seiten: Niemand schien sich um das verwaiste Laken zu kümmern, keiner im näheren Umkreis strebte erkennbar darauf zu. »Hier, Binki«, sagte er. »Das sind meine Sachen.«

      »Fein«, jubelte das Mädchen. »Dann beeil dich mit dem Umziehen.«

      Mit unguten Gefühlen bückte er sich, jeden Augenblick damit rechnend, ein »Was machen Sie denn da?« oder, noch schlimmer, ein »Haltet den Dieb!« in die Ohren geknallt zu bekommen. Aber nichts geschah, als er nach der grellfarbenen Badehose griff und sie prüfend mit den Fingern auseinander spreizte. Na, groß genug schien sie jedenfalls zu sein. Also los.

      Er warf sich das lila T-Shirt über die Schulter, ergriff das Badelaken und schlang es sich um die ausgebeulte Taille. Kleiner hätte das Tuch wahrhaftig nicht sein dürfen; nur mit Mühe bekam er die Enden verknotet. Vorsichtig begann er, im Sichtschutz des Lakens seine Unterhose abzustreifen, was sich als gar nicht so einfach erwies. Endlich aber hatte er das Ding bis zu den Knöcheln hinabgerollt. Er kickte es weg,