Ihre Augen taten mehr weh als zuvor und ihre Kopfschmerzen wurden auch immer schlimmer, und so verrückt wie es auch klang, sie musste einfach daran denken, dass sie sich irgendwie veränderte. Und das machte ihr mehr Angst, als alles andere.
Die Glocke klingelte und bevor sie in die Klasse gingen, sah Scarlet über ihre Schulter und sah, dass Blake dort stand. Er stand dort mit ein paar seiner Freunde und einer von ihnen stieß ihn an, woraufhin er sich umdrehte und sie ansah. Für einen Moment hatten sie Blickkontakt. Scarlet versuchte, ihre Überraschung zu verbergen. Sie hoffte mehr als alles andere, dass er sich umdrehen und zu ihr hinüber laufen würde, ihr noch eine Chance geben würde.
Aber er drehte sich plötzlich um und ging mit seinen Freunden in die andere Richtung.
Scarlets Herz brach. Das war es also. Er wollte sie nicht mehr. Nicht nur das, er sprach auch nicht mehr mit ihr. Er würde sie nicht einmal mehr grüßen. Das tat ihr mehr weh, als alles andere. Sie hatte gedacht, das zwischen ihnen sei etwas Richtiges gewesen und konnte nicht verstehen, wie es so schnell hatte verschwinden können, wie er einfach weglaufen konnte. Warum konnte er nicht etwas mehr Verständnis für sie haben – er hätte ihr zumindest die Chance geben müssen, es ihm zu erklären. Es war gerade erst die erste Stunde des Tages und Scarlet fühlte sich schon erschlagen. Sie hatte einen Wirbelwind der Emotionen erwartet und fragte sich, wie sie es nur durch den Tag schaffen sollte.
“Komm schon, Du brauchst ihn nicht”, sagte Maria und legte ihren Arm um Scarlet und führte sie in die Klasse. Scarlet schluckte, in dem Wissen, dass hinter der Tür Sage warten würde.
KAPITEL SECHS
Scarlets erste Stunde war gefüllt mit ungefähr dreißig Kindern, alle rannten herum, um ihre Plätze einzunehmen. Die Schreibtische waren in ordentlichen Reihen von je zehn Stück angeordnet, aber an den Seiten des Raums standen lange Holztische, mit Bänken darunter. Sie überflog den Raum und sah mit Erleichterung, dass Sage nicht darin war; zumindest ein Drama weniger, mit dem sie heute umgehen musste.
“Wo ist er?”, fragte Maria niedergeschlagen.
Es war Englisch, Scarlets Lieblingskurs. Normalerweise wäre sie glücklich, hier zu sein, besonders da Mr. Sparrow ihr Lieblingslehrer war und besonders weil sie in diesem Jahr Shakespeare besprachen und ihr Lieblingsstück: Romeo und Julia.
Aber als sie sich auf ihren Stuhl fallen ließ, in der Reihe neben Maria, fühlte sie sich niedergeschlagen. Apathisch. Sie konnte sich kaum auf Shakespeare konzentrieren. Die Klasse wurde ruhig und sie nahm ihre Bücher heraus und starrte wie benommen auf die Seiten.
“Heute machen wir es mal ein bisschen anders”, kündigte Mr. Sparrow an.
Scarlet schaute auf, glücklich, seine Stimme zu hören. In den späten 30ern, gut aussehend, leicht unrasiert, mit längerem Haar und einem starken Kiefer, sah er fehl am Platz aus an dieser Highschool. Er sah ein bisschen glamouröser aus als alle anderen, wie ein Schauspieler, der ein bisschen über seine beste Zeit hinaus war. Er war immer so fröhlich, er lächelte so oft und er war so freundlich zu ihr – und allen anderen. Er hatte nie ein hartes Wort für sie, oder für irgendwen und immer gab er jedem eine 1. Er schaffte es auch, dass die kompliziertesten Texte ganz einfach wirkten und er konnte jeden dafür interessieren, was gelesen wurde. Er war auch einer der klügsten Menschen, die sie je getroffen hatte – mit einem enormen Wissen über die Welt und klassische Literatur.
“Es ist eine Sache, Shakespeares Stücke nur zu lesen”, verkündete er mit einem verschmitzten Lächeln. “Es ist aber eine ganz andere, diese zu spielen”, fügte er hinzu. “In der Tat könnte man behaupten, dass man die Stücke gar nicht verstehen kann, bevor man sie nicht laut vorgetragen hat – und sogar versucht hat, sie zu spielen.”
Die Klasse kicherte als Antwort, die Schüler schauten sich gegenseitig an und murmelten in einem aufgeregten Tonfall miteinander.
“Das ist es”, sagte er. “Ihr habe es erraten. Nach der heutigen Diskussion, teilt ihr Euch in Gruppen auf, jeder von Euch wählt sich einen Partner und spricht den Text laut miteinander durch.”
Aufgeregtes Geflüster ging durch die Klasse und das Energielevel stieg definitiv um ein paar Stufen. Es gelang, Scarlet aus ihren Träumereien zu reißen, ließ sie vergessen, für ein paar Moment, welchen Ärger sie im Leben hatte. Sich zusammen tun und die Zeilen lesen, das würde definitiv ein Spaß werden.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Scarlet drehte sich, wie der Rest der Klasse, herum, um zu sehen, wer es war.
Sie konnte es nicht glauben. Dort stand, stolz, mit seinen Büchern in der Hand, Sage, eine dünne Lederjacke tragend, schwarze Lederstiefel und eine Designer Jeans mit einem großen, schwarzen Ledergürtel und einer riesigen, silbernen Schnalle. Er trug ein schwarzes Button-Down Shirt, das lose herabhing und eine funkelnde Kette —es sah aus wie weißes Platin—mit einem großen Anhänger in der Mitte. Dieser sah aus, als wäre er aus Rubinen und Saphiren und funkelte im Licht.
Mr. Sparrow drehte sich um und sah ihn überrascht an.
“Und Sie sind?”
“Sage”, antwortete er und reichte ihm einen Zettel. “Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich bin neu.”
“Na, dann bist Du herzlich Willkommen”, antwortete Mr. Sparrow. “Bitte Klasse, begrüßt Sage und macht hinten ein wenig Platz für ihn.”
Mr. Sparrow drehte sich wieder zur Tafel.
“Romeo und Julia. Für den Anfang sprechen wir über den Hintergrund dieses Stücks.…”
Mr. Sparrows Stimme starb in Scarlets Kopf. Ihr Herz schlug schnell, als Sage durch die Reihen ging. Und dann, plötzlich, fiel ihr auf: der einzige freie Platz in dem Raum war direkt hinter ihr.
Oh nein, dachte sie. Nicht, wenn Maria direkt neben mir sitzt.
Während Sage den Gang hinunter kam, hätte sie schwören können, dass er sie direkt ansah. Sie sah schnell weg, weil sie an Maria dachte und verstand nicht, warum er sie so ansah.
Sie fühlte mehr, als dass sie sah, dass er hinter sie ging, sie hörte das Kratzen des Stuhls, als er sich hinsetzte und fühlte ihn nahe hinter sich. Sie fühlte die Energie, die er abstrahlte, sie war enorm.
Plötzlich vibrierte ihr Handy in der Tasche. Sie griff verstohlen nach unten, rutschte ein paar Zentimeter tiefer, zog es heraus und sah darauf. Natürlich. Maria.
OMG, ich sterbe.
Scarlet steckte das Handy zurück in ihre Tasche und sah Maria nicht an, damit nicht klar wurde, dass sie miteinander texteten. Dann legte sie die Hände auf den Tisch, in der Hoffnung, dass Maria aufhören würde zu schreiben. Sie wollte jetzt wirklich nicht mit ihr schreiben. Sie wollte sich konzentrieren.
Aber ihr Handy vibrierte erneut. Sie konnte es nicht ignorieren, da Maria direkt neben ihr saß, also nahm sie es wieder heraus.
Hallo? Was soll ich machen?
Scarlet stopfte ihr Handy wieder zurück in die Tasche, sie wollte nicht unhöflich sein, aber sie wusste nicht, was sie ihr sagen sollte und sie wollte jetzt keine Diskussion anfangen. Die Situation verschlimmerte sich immer mehr und sie wollte sich auf das konzentrieren, was Mr. Sparrow sagte, besonders da es um ihr Lieblingsstück ging.
Aber auf der anderen Seite konnte sie Maria nicht komplett ignorieren. Sie griff schnell nach unten und tippte mit einem Finger.
Ich weiß nicht.
Sie drückte auf senden und schob ihr Handy tief in die Tasche, in der Hoffnung, dass Maria sie jetzt in Ruhe lassen würde.
“Romeo und Julia”, begann Mr. Sparrow, “war kein originales Drama. Shakespeare basierte es auf einem antiken Stück. Wie alle Dramen von Shakespeare fand es seine Quelle in der Historie. Er recycelte alte Geschichten und übernahm sie in seine eigene Sprache, seine