Selbst einige der Krieger, randvoll mit Speis und Trank, nickten schließlich auf ihren Fellen ein. Caitlin erwischte sich dabei, abzudriften, in Gedanken an andere Zeiten und Orte zu versinken, andere Angelegenheiten. Sie fing an, sich zu fragen, was ihr nächster Hinweis sein würde; ob ihr Vater in dieser Zeit sein würde; wohin ihre nächste Reise sie führen würde. Die Augen fielen ihr zu, als sie plötzlich ihren Namen hörte.
Es war der König, McCleod, der sie über den Lärm hinweg ansprach.
„Und was denkst du, Caitlin?“, fragte er wieder.
Dabei wurde der fröhliche Tisch langsam still, als Leute sich zu ihr herumdrehten.
Caitlin fühlte sich verlegen, da sie dem Gespräch nicht gefolgt war. Der König blickte sie an, als würde er auf eine Antwort warten. Schließlich räusperte er sich.
„Was denkst du über den Heiligen Gral?“, fragte er erneut.
Den heiligen Gral?, wunderte sich Caitlin. Darüber hatten sie sich unterhalten?
Sie hatte keine Ahnung. Sie hatte überhaupt noch nie über den Heiligen Gral nachgedacht und wusste kaum, was es war. Sie wünschte nun, dass sie ihrem Gespräch gelauscht hätte. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was es war, und dachte an Märchen aus der Kindheit zurück, Sagen und Legenden. Den Geschichten von König Arthur. Excalibur. Der Heilige Gral…
Langsam fiel es ihr wieder ein. Wenn sie sich recht erinnerte, war der Heilige Gral Gerüchten nach ein Kelch oder Becher, der angeblich eine spezielle Flüssigkeit enthielt… Ja, nun fiel es ihr wieder ein. Manche Leute sagten, dass der Heilige Gral das Blut Christi enthielt; dass es einen unsterblich machte, davon zu trinken. Falls sie sich recht erinnerte, hatten die Ritter Jahrhunderte damit verbracht, danach zu suchen, hatten ihr Leben dafür riskiert, ihn zu finden, bis ans Ende der Welt. Und niemandem war es je gelungen.
„Denkst du, er wird je gefunden werden?“, fragte McCleod erneut.
Caitlin räusperte sich, während der gesamte Tisch auf Antwort wartend auf sie blickte.
„Ähm…“, setzte sie an. „Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht“, antwortete sie. „Aber wenn er wirklich existiert…dann sehe ich keinen Grund, warum er nicht gefunden werden sollte.“
Ein zustimmendes Murmeln zog über den Tisch.
„Siehst du“, sagte McCleod zu einem seiner Ritter. „Sie ist ein Optimist. Auch ich denke, er wird gefunden werden.“
„Ein Ammenmärchen“, sagte ein Ritter.
„Und was tut man damit, wenn man ihn findet?“, fragte ein weiterer Ritter. „Das ist die wahre Frage.“
„Was wohl, ich mache mich unsterblich“, antwortete der König und brach in herzhaftes Gelächter aus.
„Dafür braucht Ihr keinen Heiligen Gral“, sagte ein weiterer Ritter. „Ihr müsst nur gewandelt werden.“
Eine angespannte Stille legte sich plötzlich über den Tisch. Die Worte des Ritters waren sichtlich unpassend gewesen, hatten eine Grenze überschritten und ein Tabuthema erwähnt. Er senkte beschämt den Kopf, seinen Fehler erkennend.
Caitlin sah McCleods plötzliche finstere Miene, und in dem Moment wurde ihr klar, dass er sich verzweifelt danach sehnte, gewandelt zu werden. Und dass er es Aidens Clan schmerzlich übel nahm, dass sie sich ihm widersetzten. Sichtlich hatte dieser Ritter einen wunden Punkt angesprochen, den einzigen Spannungspunkt zwischen den beiden Arten.
„Und wie ist sie?“, fragte der König laut, seine Frage aus irgendeinem Grund an Caitlin gerichtet. „Die Unsterblichkeit?“
Caitlin fragte sich, warum er sie gefragt hatte, von all den Vampiren im Raum. Hätte er sich nicht jemand anderen heraussuchen können?
Sie dachte darüber nach. Wie war sie? Was konnte sie nur darauf sagen? Einerseits liebte sie die Unsterblichkeit, liebte es, in all diesen Zeiten und Orten zu leben, ihre Familie und Freunde wieder und wieder zu sehen, in jeder neuen Zeit. Andererseits wünschte sich ein Teil von ihr immer noch, sie hätte ein normales, einfaches Leben; wünschte sich, dass die Dinge einen normalen Verlauf hätten. Vor allem fühlte sie sich überrascht darüber, wie kurz die Unsterblichkeit erschien: einerseits fühlte sie sich an wie eine Ewigkeit – doch andererseits fühlte es sich für sie trotzdem immer so an, als wäre nie genug Zeit.
„Es fühlt sich nicht so permanent an, wie man es sich vielleicht vorstellt.“
Der Rest der Tafel nickte zustimmend über ihre Antwort.
McCleod erhob sich plötzlich vom Tisch. Dabei erhoben sich auch alle anderen.
Gerade als Caitlin den seltsamen Wortwechsel in ihrem Kopf noch einmal durchspielte und sich fragte, ob sie ihn verärgert hatte, spürte sie plötzlich seine Gegenwart hinter sich. Sie drehte sich herum, und er stand über ihr.
„Du bist weiser als man dir ansieht“, sagte er. „Komm mit mir. Und bring deine Freunde mit. Ich möchte dir etwas zeigen. Etwas, das schon seit sehr langer Zeit auf dich wartet.“
Caitlin war überrascht. Sie hatte keine Ahnung, was es sein mochte.
McCleod drehte sich herum und schritt aus dem Saal, und Caitlin und Caleb erhoben sich, gefolgt von Sam und Polly, und folgten ihm. Sie warfen einander verwunderte Blicke zu.
Sie überquerten den großen steinernen Fußboden und folgten dem König durch die enorme Kammer und zu einer Seitentür hinaus, während die Ritter um die Tafel sich langsam wieder setzten und ihr Mahl fortsetzten.
McCleod ging schweigend weiter, einen engen, von Fackeln beleuchteten Gang entlang, mit Caitlin, Caleb, Sam und Polly hinter ihm. Die uralten Steingänge führten sie auf gewundenem Weg zu einer Treppe.
McCleod nahm eine Fackel von der Wand und führte sie die dunkle Treppe hinab in die scheinbare Finsternis. Im Gehen, fragte sich Caitlin langsam, wohin genau er sie führte. Was konnte er ihnen bloß zu zeigen haben? Eine Art uralte Waffe vielleicht?
Schließlich erreichten sie eine unterirdische Ebene, von Fackeln gut beleuchtet, und Caitlin war von dem Anblick verblüfft. Die niedrige Gewölbedecke glänzte golden. Caitlin konnte Bildnisse von Christus sehen, von Rittern, Szenen aus der Bibel, gemischt mit verschiedenen seltsamen Zeichen und Symbolen. Der Boden war aus uraltem, abgenutztem Stein, und Caitlin hatte das Gefühl, als hätten sie eine geheime Schatzkammer betreten.
Caitlins Herz schlug schneller, als sie ahnte, dass ihnen etwas Bedeutsames bevorstand. Sie schritt schneller, beeilte sich, mit dem König Schritt zu halten.
„Die Schatzkammer des Clan McCleod, schon seit tausend Jahren. Hier unten bewahren wir unsere heiligsten Schätze, Waffen und Besitztümer auf. Doch eines der Besitztümer ist wertvoller, geheiligter, als all die anderen.“
Er hielt an und wandte sich an sie.
„Es ist ein Schatz, den wir nur für dich aufbewahrt haben.“
Er nahm eine Fackel von der Wand, und dabei öffnete sich plötzlich eine Geheimtür im Stein. Caitlin war erstaunt: sie hätte nicht geahnt, dass sie da war.
McCloud führte sie einen weiteren gewundenen Korridor entlang. Schließlich kamen sie in einer kleinen Nische zu stehen. Vor ihnen stand ein Thron, auf dem ein einzelner Gegenstand lag: eine kleine, juwelenbesetzte Schatzkiste. Das Fackellicht flackerte über sie, erleuchtete sie, und McCleod fasste vorsichtig nach ihr und hob sie hoch.
Langsam öffnete er den Deckel. Caitlin konnte es nicht glauben.
Da