Caitlin schloss für einen Moment die Augen, ihre Lider fühlten sich so schwer und geschwollen an, und durch sie blitzten die Lichter der entgegenkommenden Wagen, von dem endlosen Verkehr, der die ganze Nacht nicht abgerissen war. Ihr war nach Weinen zumute.
Caitlin fühlte sich so hohl innerlich, wie eine schlechte Mutter, da sie nicht genug dagewesen war für Scarlet – dafür, dass sie nicht an sie geglaubt hatte, sie nicht verstanden hatte, nicht für sie dagewesen war, als sie sie gebraucht hatte. Irgendwie fühlte Caitlin sich verantwortlich für all das. Und sie wollte sterben bei dem Gedanken, ihre Tochter nicht wiederzusehen.
Caitlin begann zu weinen und schnell öffnete sie ihre Augen und wischte sich die Tränen fort. Caleb nahm ihre Hand, aber sie schüttelte sie ab. Caitlin wandte ihren Kopf zum Fenster, um ein bisschen Privatsphäre zu finden, wollte allein sein – wollte sterben. Ohne ihr kleines Mädchen im Leben blieb ihr nichts mehr.
Caitlin fühlte eine beruhigende Hand auf ihrer Schulter. Sie drehte sich um und sah, dass Sam sich vorgelehnt hatte.
“Wir sind die ganze Nacht herumgefahren”, sagte er. “Es gibt kein Zeichen von ihr. Wir haben jeden Zentimeter auf der 9 abgesucht. Die Cops suchen auch nach ihr, mit viel mehr Autos. Wir sind alle erschöpft und haben keine Ahnung, wo sie sein könnte. Vielleicht ist sie schon zu Hause und wartet auf uns.”
“Das sehe ich genauso”, sagte Polly. “Ich sage, wir sollten nach Hause. Wir brauchen eine Pause.”
Plötzlich hörte sie ein lautes Hupen und Caitlin sah erschrocken auf und sah einen LKW, der ihnen entgegenkam, da sie auf der falschen Seite fuhren.
“CALEB!” schrie Caitlin.
Caleb wich in der letzten Sekunde aus, zurück auf die richtige Straßenseite und verpasste den LKW nur um Zentimeter.
Caitlin schaute ihn mit klopfendem Herzen an und der erschöpfte Caleb starrte zurück, seine Augen rot vor Müdigkeit.
“Was war das?” fragte sie.
“Es tut mir leid”, sagte er. “Ich muss weggedöst sein.”
“Dies tut niemandem von uns gut”, sagte Polly. “Wir brauchen eine Pause. Wir müssen nach Hause. Wir sind alle erschöpft.”
Caitlin zweifelte, aber endlich, nach einem langen Augenblick, nickte sie.
“In Ordnung. Bring uns nach Hause.”
Caitlin saß auf ihrer Couch, als die Sonne aufging und schaute durch ein Fotoalbum mit Fotos von Scarlet. Die Erinnerungen von Scarlet in jedem Alter überfluteten sie. Caitlin fuhr sanft mit ihrem Daumen über die Fotos und wünschte mehr als alles andere, sie könnte Scarlet jetzt hier bei sich haben. Sie würde alles dafür geben, sogar ihr eigenes Herz und ihre Seele.
Caitlin hielt die zerrissene Seite aus dem Buch in der Hand, die sie in dem Buchladen gefunden hatte, mit dem antiken Ritual, dass Scarlet gerettet hätte, wenn Caitlin rechtzeitig zurück gekommen wäre, das sie davon geheilt hätte, ein Vampir zu werden. Caitlin zerpflückte die Seite in Tausend Teile und warf sie auf den Boden. Sie landeten neben Ruth, ihrem großen Husky, die winselte und sich an Caitlins Seite zusammenrollte.
Die Seite, das Ritual, das Caitlin einst so viel bedeutet hatte, war jetzt nutzlos. Scarlet hatte sich bereits an einem Menschen vergangen und kein Ritual konnte sie jetzt noch retten.
Caleb, Sam und Polly, die ebenfalls in dem Raum waren, waren jeder für sich verloren in ihrer eigenen Welt, alle hingen auf dem Sofa oder den Stühlen herum, und alle waren bereits eingeschlafen, oder zumindest fast. Sie alle lagen in der dichten Stille und warteten darauf, dass Scarlet durch die Tür käme – und alle ahnten, dass das nicht passieren würde.
Plötzlich klingelte das Telefon. Caitlin sprang auf und hob mit zitternder Hand ab. Sie ließ den Hörer mehrmals fallen, bis sie endlich ans Ohr hielt.
“Hallo, hallo, hallo?” sagte sie. “Scarlet, bist Du das? Scarlet!?”
“Ma’am, hier ist Officer Stinton”, erklang eine männliche Stimme.
Caitlins Herz wurde schwer, als ihr klar wurde, dass es nicht Scarlet war.
“Ich rufe Sie nur an, um Ihnen mitzuteilen, dass wir Ihre Tochter noch nicht gefunden haben.”
Caitlins Hoffnungen fielen in sich zusammen. Sie nahm das Telefon fester in die Hand und drückte es verzweifelt.
“Sie strengen sich nicht genug an”, kochte sie.
“Ma’am, wir tun alles, was wir können—”
Caitlin wartete nicht auf den Rest seiner Antwort. Sie schlug den Hörer auf, griff das Telefon, ein altes aus den 80ern, riss die Schnur aus der Wand, hob es über den Kopf und warf es mit aller Gewalt auf den Boden.
Caleb, Sam, und Polly sprangen auf, unsanft aus dem Schlaf gerissen und sahen sie an, als wäre sie verrückt geworden.
Caitlin sah hinunter auf das Telefon und bemerkte, dass sie es vielleicht war.
Caitlin stürmte durch den Raum, öffnete die Tür zu ihrer großen Veranda und setzte sich in einen Schaukelstuhl. Es war kalt in der Morgendämmerung, aber das war ihr egal. Sie war betäubt.
Sie verschränkte die Arme fest vor der Brust und schaukelte und schaukelte in der kalten Novemberluft. Sie schaute auf die Straße, die von dem Licht eines neuen Tages beschienen wurde und sah keinen Menschen, kein einziges Auto, alle Häuser lagen noch still da. Alles war still. Eine perfekte, ruhige Vorstadtstraße, alles so wie es sein sollte. Perfekt normal.
Aber nichts, das wusste Caitlin, war normal. Plötzlich hasste sie diesen Ort, den sie so viele Jahre geliebt hatte. Sie hasste die Stille, sie hasste die Ruhe. Was würde sie nicht für ein wenig Chaos geben, etwas, was die Stille zerstörte, für Bewegung, für Ihre Tochter, die auftauchte.
Scarlet, betete sie, als sie ihre Augen schloss, weinend, komm zurück zu mir, Baby. Bitte komm zurück zu mir.
KAPITEL FÜNF
Scarlet Paine spürte, wie sie durch die Luft schwebte, das Flattern von Millionen kleiner Flügel im Ohr fühlte sie, wie sie immer höher stieg. Sie schaute sich um, um zu sehen, dass sie von einem Schwarm von Fledermäusen getragen wurde, die sie umgaben, sie klammerten sich an die Rückseite ihres Shirts und trugen sie durch die Luft.
Scarlet wurde durch die Wolken getragen, durch den schönsten Sonnenaufgang, den sie je gesehen hatte, der ganze blutrote Himmel war in Feuer getaucht. Sie verstand nicht, was passiert war, aber irgendwie hatte sie keine Angst. Sie spürte, dass sie sie irgendwohin trugen, und das Kreischen und Flattern um sie herum fühlte sich vertraut und familiär an.
Bevor Scarlet verstehen konnte, was passiert war, setzten die Fledermäuse sie sanft ab, vor dem größten Schloss, dass sie je gesehen hatte. Es hatte alte Steinwände und sie stand vor einem enormen, gewölbten Tor. Die Fledermäuse flogen hoch und verschwanden, ihr Flattern wurde leiser.
Scarlet stand vor der Tür und langsam öffnete sie sich. Ein gelbes Licht drang heraus und Scarlet wollte durch diese Tür gehen.
Scarlet trat über die Schwelle, ging in das Licht und kam in die größte Kammer, die sie je gesehen hatte. Im Inneren, aufgereiht in Perfektion, sie ansehend, stand eine Armee von Vampiren, alle in schwarz gekleidet. Sie schwebte zu ihnen hinüber, sah auf sie hinunter, als wäre sie ihr Führer.
Wie ein Mann erhoben sie gemeinsam ihre Hände und schlugen sich damit auf die Brust. “Du hast eine Nation geboren”, riefen sie im Gleichklang, das Echo erschall laut von dem Wänden wieder. “Du hast