Es war surreal. Es war alles so schnell geschehen, ihr Leben hatte sich so leicht auf den Kopf gestellt, dass sie es kaum registriert hatte. Sie versuchte nach etwas normalen zu greifen, irgendeine Routine, die ihr Halt gab und ihr half, sich wohler zu fühlen – aber alles schien ihr zu entgleiten. Normal gab es nicht mehr.
Caitlin fühlte eine beruhigende Hand, die ihre drückte und sah hinüber und sah Caleb, der neben ihr saß, sein Gesicht bleich vor Sorge. Auf dem gepolsterten Stuhl neben ihnen saßen Sam und Polly, ebenfalls mit vor Sorge verzogenen Gesichtern. Das Wohnzimmer war voll – viel zu voll für Caitlins Geschmack. Sie wollte, dass jeder in ihm verschwinden möge, dass alles so wurde, wie es am Tag zuvor gewesen war. Scarlets sechzehnter Geburtstag, jeder von Ihnen am Tisch sitzend, Kuchen essend, lachend. Sich fühlen, als wäre auf dieser Welt alles perfekt, als wenn sich nie etwas ändern würde.
Caitlin dachte an die Nacht davor, an ihre Mitternachtsgedanken, an ihre Wünsche, dass ihre Welt, ihr Leben, mehr als nur normal wären. Nun bereute sie es. Sie würde alles dafür geben, das Normale zurück zu bekommen.
Es war wie ein Wirbelwind gewesen, seitdem sie von ihrer schrecklichen Begegnung mit Aiden nach Hause gekommen war. Nachdem Scarlet aus dem Haus gestürzt war, war Caitlin hinter ihr hergerannt und hatte sie runter in die Seitenstraßen gejagt. Caleb hatte sich von seinem Schlag erholt und hatte sie eingeholt, und die beiden waren durch ihr kleines Dorf gerannt, wie verrückte Leute, in dem Versuch, ihre Tochter zu fangen.
Aber es hatte nichts genützt. Sie waren bald außer Atem gewesen und Scarlet war komplett von der Bildfläche verschwunden. Sie war so schnell gerannt und in einem Satz über eine 2 m große Hecke gesprungen, ohne auch nur langsamer zu werden. Caleb hatte sich sehr gewundert, aber Caitlin nicht: sie wusste, was Scarlet war. Sie wusste, dass, auch wenn sie schnell rannte, es eine sinnlose Anstrengung war, da Scarlett mit Lichtgeschwindigkeit rennen konnte, über alles springen konnte, und dass sie sie innerhalb von wenigen Momenten komplett verloren hätten, außer Sicht.
Und sie war es. Sie rannten zurück zu ihrem Haus, sprangen ins Auto, rasten durch die Straßen in verzweifelter Suche. Aber Caitlin wusste, selbst als Caleb die Stoppschilder überfuhr, jede Kurve hart nahm, dass sie keine Chance hätten. Sie würden sie nicht fangen. Scarlet, das wusste sie, war schon lange weg.
Nach Stunden endlich, hatte Caitlin genug gehabt und darauf bestanden, nach Hause zu fahren und die Polizei zu rufen.
Nun waren sie hier, Stunden später, fast um Mitternacht. Scarlet war nicht zurückgekommen und der Polizei war es nicht möglich gewesen, sie zu finden. Glücklicherweise war es eine kleine Stadt, in der nichts anderes passiert war, und sie hatten alle verfügbaren Wagen losschicken können, um sofort nach ihr zu suchen, und sie suchten immer noch. Der Rest der Einheit – drei Beamte, saßen ihnen gegenüber, zusammen mit den drei Beamten, die herum standen – fragten sie aus, Frage über Frage.
“Caitlin?”
Caitlin riss sich los. Sie drehte sich um und sah das Gesicht des Beamten, der ihr auf der Couch gegenüber von ihr saß. Ed Hardy. Er war ein guter Mann, hatte eine Tochter in Scarlets Alter, in ihrer Klasse. Er sah sie mit einer Mischung aus Sympathie und Sorge an. Sie wusste, er fühlte ihren Schmerz als Elternteil und dass er sein Bestes tun würde.
“Ich weiß, dass es hart ist” sagte er. “Aber wir haben noch ein paar Fragen. Wir müssen wirklich alles wissen, wenn wir Scarlett finden wollen.”
Caitlin nickte zurück. Sie versuchte, sich zu konzentrieren.
“Es tut mir leid”, sagte sie. “Was müssen Sie noch wissen?”
Officer Hardy räusperte sich, sah von Caitlin zu Caleb und dann wieder zu ihr. Er schien nur ungern mit seiner nächsten Frage fortzufahren.
“Ich hasse es, Sie dies fragen zu müssen, aber hatten Sie in den letzten Tagen Streit mit Ihrer Tochter?”
Caitlin sah ihn verwirrt an.
“Streit?” fragte sie.
“Irgendwelche Meinungsverschiedenheiten? Irgendwelche Kämpfe? Irgendwelche Gründe, warum sie weg wollte?”
Dann verstand Caitlin: Er fragte sie, ob Scarlet weggelaufen wäre. Er hatte immer noch nicht verstanden.
Sie schüttelte heftig ihren Kopf.
“Es gab keinen Grund, warum sie hätte weglaufen wollen. Wir haben nie gestritten. Niemals. Wir lieben Scarlet und Scarlet liebt uns. Sie ist kein Typ für Auseinandersetzungen. Sie ist kein Rebell. Sie würde nicht weglaufen. Verstehen Sie das nicht? Darum geht es hier nicht. Haben Sie irgendetwas von dem gehört, was wir Ihnen gesagt haben? Sie ist krank! Sie braucht Hilfe!”
Officer Hardy schaute zu seinen Kollegen, die skeptisch zurückblickten.
“Es tut mir leid, dass ich das gefragt habe”, fuhr er fort. “Aber Sie müssen verstehen, dass wir ständig solche Anrufe wie diesen erhalten. Jugendliche rennen weg. Das ist, was sie tun. Sie sind sauer auf ihre Eltern. Und in 99% der Fälle kommen sie zurück. Normalerweise ein paar Stunden später. Manchmal nach einem Tag oder zwei. Sie fallen in das Haus eines Freundes ein. Sie wollen einfach nur weg von ihren Leuten. Und normalerweise geht dem ein Streit voraus.”
“Es gab keinen Streit”, mischte sich Caleb mit Nachdruck ein. “Scarlet war so glücklich, wie sie nur sein konnte. Wir haben gestern ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert. Wie Caitlin schon gesagt hat, sie ist nicht so eine Art Mädchen.”
“Ich habe immer noch das Gefühl, dass Sie nicht einem Wort, was wir gesagt haben, zugehört haben”, fügte Caitlin hinzu. “Wir haben Ihnen gesagt, Scarlet war krank. Sie wurde früher von der Schule nach Hause geschickt. Sie hatte… ich weiß nicht was. Krämpfe… vielleicht Anfälle. Sie sprang aus ihrem Bett und rannte aus dem Haus. Dies ist kein Fall von weglaufen. Es ist ein krankes Kind, das medizinische Hilfe braucht.”
Officer Hardy schaute erneut zu seinen Kollegen, die immer noch skeptisch aussahen.
“Es tut mir leid, aber was Sie uns hier erzählen, macht überhaupt keinen Sinn. Wenn Sie krank war, wie konnte sie dann aus dem Haus rennen?”
“Sie haben gesagt, Sie hätten sie gejagt”, mischte sich ein anderer Beamter ein, harscher. “Wie konnte sie Ihnen beiden davonlaufen? Besonders, wenn sie krank war?”
Caleb schüttelte seinen Kopf und sah verwirrt an sich hinunter.
“Ich weiß es nicht”, sagte er. “Aber das ist, was passiert ist.”
“Es ist wahr. Jedes Wort davon ist wahr”, sagte Caitlin leise und reumütig.
Sie bekam das dumpfe Gefühl, dass diese Männer es nicht verstehen würden. Aber sie wusste, warum Scarlet in der Lage war, vor ihnen davon zu rennen; sie wusste warum sie in der Lage war, zu rennen, obwohl sie krank war. Sie kannte die Antwort – die eine, die alles erklären würde. Aber dies war die eine Antwort, die sie nicht geben konnte, die eine, die diese Männer niemals glauben würden. Sie war nicht von Krämpfen geschüttelt worden, sondern von Hunger Attacken. Scarlet war nicht gerannt, sie hatte gejagt. Und der Grund dafür war, dass ihre Tochter ein Vampir war.
Caitlin zuckte innerlich zusammen, sie brannte darauf, ihnen alles zu sagen, aber sie wusste dass dies eine Antwort war, die die Männer nicht hören könnten. Anstatt diese Antwort also zu geben, starrte sie stattdessen einfach stolz aus dem Fenster, hoffend, betend, Scarlet würde zurückkommen. Dass es ihr vielleicht besser gehen würde. Dass sie nicht gespeist hätte. Sie hoffte, dass diese Männer gehen würden und sie alleine lassen. Sie wusste, dass sie ohnehin nutzlos waren. Sie zu rufen war ein Fehler gewesen.
“Ich hasse es, dies zu sagen”, sagte der dritte Beamte, “aber was Sie beschreiben…Ihre Tochter kommt von der Schule nach Hause, hat Krämpfe, bekommt einen Adrenalinrausch, flieht aus der Tür…. Ich hasse wirklich, es sagen zu müssen, aber es klingt nach