a ) In der Natur ist alles was im Subjekt ist.
y ) und etwas drüber.
b ) Im Subjekt ist alles was in der Natur ist.
z ) und etwas drüber.
b kann a erkennen, aber y nur durch z geahndet werden. Hieraus entsteht das Gleichgewicht der Welt und unser Lebenskreis, in den wir gewiesen sind.12
Y und z sind diskursiv nicht erfassbar, doch gerade ihr Verhältnis bestimmt den Zusammenhang zwischen dem individuellen Gesetz und der Weltordnung innerhalb einer Monade. Das Inkommensurable in der Natur sowie im Menschen lässt sich, so Goethe in seiner Schrift „Versuch einer Witterungslehre“, nur „im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen“ [Goethe 1988, XII: 305] betrachten – also als etwas Werdendes, Vergehendes, sich Verwandelndes. Die Konzepte von Dämon und Dämonischem scheinen y und z insoweit zu ähneln, als Goethe mit ihnen ebenfalls versucht, das Unbegreifliche zu erfassen.
Das Bild der prästabilierten Harmonie, wonach das Innere sich durch die Wirkung der „Weltregierung“ erhöht und anregt, zerbricht an den konkreten Erfahrungen Goethes: den Erfahrungen der Gräuel der Revolution, der Besatzung, des Todes enger Vertrauter, von Ungerechtigkeit, die sich durch Gesetz und Ordnung nicht mehr ohne weiteres rechtfertigen lassen. Goethe war weder Utopist noch Optimist. Das Bild hat darum auch eine andere Seite: Der kleine Mensch ist eingeklemmt zwischen dem Gesetz seiner unbekannten Individualität und dem inkommensurablen Gesetz der Welt, das sich auch als ungeheure Katastrophe offenbaren kann, sodass das zweite Gesetz sich nur durch das erste, unbekannte ahnen lässt. Bleibt in dieser Welt damit überhaupt noch Platz für freies Handeln?
Wenn Goethe sich auch vom Dämonischen leiten lässt, so bedeutet das keineswegs Selbstvergessenheit oder die Selbsthingabe an den Willen höherer Kräfte. Vielmehr behauptet er, der Mensch könne und müsse auch angesichts des Dämonischen frei handeln – natürlich in einem bestimmten Rahmen: er sei also verantwortlich für die Verwirklichung seiner inneren Regungen.13 Am 18. März 1831 äußerte Goethe gegenüber Eckermann: „Nur muß der Mensch […] auch wiederum gegen das Dämonische recht zu behalten suchen, und ich muß in gegenwärtigem Fall dahin trachten, durch allen Fleiß und Mühe meine Arbeit so gut zu machen, als in meinen Kräften steht und die Umstände es mir anbieten“ [Eckermann 1987, 450–451]. Etwas früher (am 11. März 1828) spricht Goethe von zwei Arten der Produktivität: in der ersten vereinigten sich Dämon und Dämonisches, die zweite aber bleibe dem Menschen überlassen:
Jede Produktivität höchster Art […] steht in niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben. […] Es ist dem Dämonischen verwandt, das übermächtig mit ihm tut, wie es beliebt, und dem er sich bewußtlos hingibt, während er glaubt, er handle aus eigenem Antriebe. In solchen Fällen ist der Mensch oftmals als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten […].
Sodann aber gibt es jene Produktivität anderer Art, die schon eher irdischen Einflüssen unterworfen ist und die der Mensch schon mehr in seiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch sich vor etwas Göttlichem zu beugen Ursache findet. In diese Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich zähle dahin alles dasjenige, was den sichtbaren Leib und Körper eines Kunstwerkes ausmacht [Eckermann 1987: 630–631].
Die letzte Verwirklichung also, die Verkörperung, bleibt jedoch in der Gewalt des Menschen und hier kann dieser auch „gegen das Dämonische recht zu behalten suchen“. Wenn er auf seine einzig mögli-che Freiheit verzichtete, geriete er unter den Bann der Dämonen, die ebenfalls vom Dämon und vom Dämonischen zu unterscheiden sind. Die Dämonen, die man, im Gegensatz zur Entelechie des Dämons, als Wille interpretieren kann, drücken sich in den (auch kollektiven) Affekten aus, die den Menschen seiner letzten Freiheit berauben. So spricht Goethe von Egoismus und Neid, die „als böse Dämonen immer ihr Spiel treiben“14, vom Dämon der Hypochondrie (Gespräch mit Eckermann vom 12. März 1828) [Eckermann 1987: 642], vom Gefühl der Schmach, das die deutsche Nation „als etwas Dämonisches ergriffen“ habe (Gespräch mit Eckermann vom 14. März 1830) [Eckermann 1987: 679], und vom Dämon der Revolution (Gespräch mit Kanzler von Müller vom 5. Januar 1831) [Goethe 1887–1919, V: 8/1]). „Aber das ist auch eben das Schwere“, sagt Goethe zu Eckermann am 2. April 1829, „daß unsere bessere Natur sich kräftig durchhalte und den Dämonen nicht mehr Gewalt einräume als billig“ [Eckermann 1987: 311]. Das Hinge-ben an die Dämonen ist das, wodurch eine Unordnung gestiftet wird, die laut Goethe große Gefahr in sich birgt. Das Dämonische wirkt also als positive Tatkraft nur in der Person, nur wenn es der Verwirklichung der Individualität dient. In der Menge, z. B. bei revolutionären Ereignissen, wirkt es individuumsfeindlich und daher zerstörerisch. Es stellt also keinen Widerspruch dar, dass die Französische Revolution für Goethe dämonisch und zugleich Zeugnis unerlaubter Selbstvergessenheit und Verantwortungslosigkeit des Menschen und Anfang eines Zeitalters der Herrschaft des anonymen Willens war.
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Jäger