Zu dreien und vieren wurde unsere Klasse über die Korporalschaften* verstreut, zusammen mit friesischen* Fischern, Bauern, Arbeitern und Handwerkern, mit denen wir uns schnell anfreundeten. Kropp, Müller, Kemmerich und ich kamen zur neunten Korporalschaft, die der Unteroffizier Himmelstoß führte.
Er galt als der schärfste Schinder des Kasernenhofes, und das war sein Stolz. Ein kleiner, untersetzter Kerl, der zwölf Jahre gedient hatte, mit fuchsigem, aufgewirbeltem Schnurrbart, im Zivilberuf Briefträger. Auf Kropp, Tjaden, Westhus und mich hatte er es besonders abgesehen, weil er unsern stillen Trotz spürte.
Ich habe an einem Morgen vierzehnmal sein Bett gebaut. Immer wieder fand er etwas daran auszusetzen und riss es herunter. Ich habe in zwanzigstündiger Arbeit – mit Pausen natürlich – ein Paar uralte, steinharte Stiefel so butterweich geschmiert, dass selbst Himmelstoß nichts mehr daran auszusetzen fand; – ich habe auf seinen Befehl mit einer Zahnbürste die Korporalschaftsstube sauber geschrubbt; – Kropp und ich haben uns mit einer Handbürste und einem Fegeblech an den Auftrag gemacht, den Kasernenhof vom Schnee reinzufegen, und wir hätten durchgehalten bis zum Erfrieren, wenn nicht zufällig ein Leutnant aufgetaucht wäre, der uns fortschickte und Himmelstoß mächtig anschnauzte. Die Folge war leider nur, dass Himmelstoß um so wütender auf uns wurde. Ich habe vier Wochen hintereinander jeden Sonntag Wache geschoben und ebensolange Stubendienst gemacht; – ich habe in vollem Gepäck mit Gewehrauf losem, nassem Sturzacker »Sprung auf, marsch, marsch« und »Hinlegen« geübt, bis ich ein Dreckklumpen war und zusammenbrach; – ich habe vier Stunden später Himmelstoß mein tadellos gereinigtes Zeug vorgezeigt, allerdings mit blutig geriebenen Händen; – ich habe mit Kropp, Westhus und Tjaden ohne Handschuhe bei scharfem Frost eine Viertelstunde »Stillgestanden« geübt, die bloßen Finger am eisigen Gewehrlauf, lauernd umschlichen von Himmelstoß, der auf die geringste Bewegung wartete, um ein Vergehen festzustellen; – ich bin nachts um zwei Uhr achtmal im Hemd vom ob ersten Stock der Kaserne heruntergerannt bis auf den Hof, weil meine Unterhose einige Zentimeter über den Rand des Schemels hinausragte, auf dem jeder seine Sachen aufschichten musste. Neben mir lief der Unteroffizier vom Dienst, Himmelstoß, und trat mir auf die Zehen; – ich habe beim Bajonettieren* ständig mit Himmelstoß fechten müssen, wobei ich ein schweres Eisengestell und er ein handliches Holzgewehr hatte, so dass er mir bequem die Arme braun und blau schlagen konnte; allerdings geriet ich dabei einmal so in Wut, dass ich ihn blindlings* überrannte und ihm einen derartigen Stoß vor den Magen gab, dass er umfiel. Als er sich beschweren wollte, lachte ihn der Kompanieführer aus und sagte, er solle doch aufpassen; erkannte seinen Himmelstoß und schien ihm den Reinfall zu gönnen. – Ich habe mich zu einem perfekten Kletterer auf die Spinde entwickelt; – ich suchte allmählich auch im Kniebeugen meinen Meister; – wir haben gezittert, wenn wir nur seine Stimme hörten, aber kleingekriegt hat uns dieses wildgewordene Postpferd nicht.
Als Kropp und ich im Barackenlager sonntags an einer Stange die Latrineneimer über den Hof schleppten und Himmelstoß, blitzblank geschniegelt, zum Ausgehen bereit, gerade vorbeikam, sich vor uns hinstellte und fragte, wie uns die Arbeit gefiele, markierten wir trotz allem ein Stolpern und gössen ihm den Eimer über die Beine. Er tobte, aber das Maß war voll.
»Das setzt Festung«, schrie er.
Kropp hatte genug. »Vorher aber eine Untersuchung, und da werden wir auspacken«, sagte er.
»Wie reden Sie mit einem Unteroffizier!« brüllte Himmelstoß, »sind Sie verrückt geworden? Warten Sie, bis Sie gefragt werden! Was wollen Sie tun?«
»Über Herrn Unteroffizier auspacken!« sagte Kropp und nahm die Finger an die Hosennaht.
Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort ab. Bevor er verschwand, krakehlte er zwar noch: »Das werde ich euch eintränken«, – aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch einmal in den Sturzäckern mit »Hinlegen« und »Sprung auf, marsch, marsch«. Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muss ausgeführt werden. Aber wir führten ihn so langsam aus, dass Himmelstoß in Verzweiflung geriet.
Gemütlich gingen wir auf die Knie, dann auf die Arme und so fort; inzwischen hatte er schon wütend ein anderes Kommando gegeben. Bevor wir schwitzten, war er heiser. Er ließ uns dann in Ruhe. Zwar bezeichnete er uns immer noch als Schweinehunde. Aber es lag Achtung darin.
Es gab auch viele anständige Korporale, die vernünftiger waren; die anständigen waren sogar in der Überzahl. Aber vor allem wollte jeder seinen guten Posten hier in der Heimat so lange behalten wie möglich, und das konnte er nur, wenn er stramm mit den Rekruten war.
Uns ist dabei wohl jeder Kasernenhofschliff zuteil geworden, der möglich war, und oft haben wir vor Wut geheult. Manche von uns sind auch krank dadurch geworden. Wolf ist sogar an Lungenentzündung gestorben. Aber wir wären uns lächerlich vorgekommen, wenn wir klein beigegeben hätten. Wir wurden hart, misstrauisch, mitleidlos, rachsüchtig, roh – und das war gut; denn diese Eigenschaften fehlten uns gerade. Hätte man uns ohne diese Ausbildungszeit in den Schützengraben geschickt, dann wären wohl die meisten von uns verrückt geworden. So aber waren wir vorbereitet für das, was uns erwartete.
Wir zerbrachen nicht, wir passten uns an; unsere zwanzig Jahre, die uns manches andere so schwer machten, halfen uns dabei. Das Wichtigste aber war, dass in uns ein festes, praktisches Zusammengehörigkeitsgefühl erwachte, das sich im Felde dann zum Besten steigerte, was der Krieg hervorbrachte: zur Kameradschaft!
Ich sitze am Bette Kemmerichs. Er verfällt mehr und mehr. Um uns ist viel Radau*. Ein Lazarettzug ist angekommen, und die transportfähigen Verwundeten werden ausgesucht. An Kemmerichs Bett geht der Arzt vorbei, er sieht ihn nicht einmal an.
»Das nächstemal, Franz«, sage ich.
Er hebt sich in den Kissen auf die Ellbogen. »Sie haben mich amputiert.«
Das weiß er also doch jetzt. Ich nicke und antworte:
»Sei froh, dass du so weggekommen bist.«
Er schweigt.
Ich rede weiter: »Es konnten auch beide Beine sein, Franz. Wegeler hat den rechten Arm verloren. Das ist viel schlimmer. Du kommst ja auch nach Hause.«
Er sieht mich an. »Meinst du?«
»Natürlich.«
Er wiederholt: »Meinst du?«
»Sicher, Franz. Du musst dich nur erst von der Operation erholen.«
Er winkt mir, heranzurücken. Ich beuge mich über ihn, und er flüstert: »Ich glaube es nicht.«
»Rede keinen Quatsch, Franz, in ein paar Tagen wirst du es selbst einsehen. Was ist das schon groß: ein amputiertes Bein; hier werden ganz andere Sachen wieder zurechtgepflastert.«
Er hebt eine Hand hoch. »Sieh dir das mal an, diese Finger.«
»Das kommt von der Operation. Futtere nur ordentlich, dann wirst du schon aufholen. Habt ihr anständige Verpflegung?«
Er zeigt auf eine Schüssel, die noch halb voll ist. Ich gerate in Erregung. »Franz, du musst essen. Essen ist die Hauptsache. Das ist doch ganz gut hier.«
Er wehrt ab. Nach einer Pause sagt er langsam: »Ich wollte mal Oberförster werden.«
»Das kannst du noch immer«, tröste ich. »Es gibt jetzt großartige Prothesen, du merkst damit gar nicht, dass dir etwas fehlt. Sie werden an die Muskeln angeschlossen. Bei Handprothesen kann man die Finger bewegen und arbeiten, sogar schreiben. Und außerdem wird da immer noch mehr erfunden werden.«
Er liegt eine Zeitlang still. Dann sagt er: » Du kannst meine Schnürschuhe für Müller mitnehmen.«
Ich nicke und denke nach, was ich ihm Aufmunterndes sagen kann. Seine Lippen sind weggewischt, sein Mund ist größer geworden, die Zähne stechen hervor, als wären sie aus Kreide. Das Fleisch zerschmilzt,