Wir bestellten die lang ersehnte Limonade und ich kam gleich zum Thema: „Wir werden erst im Oktober, wahrscheinlich Ende Oktober wiederkommen. So genau kann man es nicht voraus sagen. Sie verzog ihr zartes Gesicht, das sich gleich wieder aufhellte.
„Ich dachte mir, ob du wohl am 1. Advent Verlobung mit mir feiern möchtest?“
„Ja, Caspar! So ähnlich hatte ich mir es auch vorgestellt. Vielleicht können wir im Baumhaus feiern. Ich werde das organisieren, wenn du weg bist.“
„Einverstanden, Lisa!“ Ich gab ihr einen Kuss und der Handel war perfekt. Ihre Türkis farbigen Augen funkelten, sie lächelte mich an und sie versprühte unendliche Freude. Wir genossen die wunderbare Atmosphäre des Blockhauses und schauten den Schiffen zu. Später spazierten wir auf dem Wall und schmiedeten gemeinsame Pläne. Ich war froh, alles hatte sich günstig entwickelt. Zufriedenheit und Gelassenheit spürte ich in mir. Den morgigen Tag der Schiffstaufe wollte ich mit ihr genießen. Abends brachte ich Lisa, wie immer nachhause. Am Hafen ging es nun weniger hektisch zu. Dafür belebten sich die Hafenkneipen, die für die Heuer der Matrosen Verwendung fanden. Zuhause traf ich Jacob und Josephine. Clemens und Nathalie, Vater und Mutter genossen noch die Abendstunden in Billwerder. Josephine erzählte, was sie erlebt hatten. Sie flanierten auf dem Jungfernstieg, dem Hamburger Prachtboulevard und erlebten ein Konzert zu dem sich viele Besucher einfanden. Ein Komponist, namens Händel machte von sich Reden und das zurecht, wie Josephine befand. Ich gab feierlich unseren Verlobungstermin bekannt. Maria, unsere Dienstmagd, die wiederum das Haus behütet hatte, bekam ganz lange Ohren. Ich rief sie zu uns und erzählte ihr es nochmals, damit sie nicht die Hälfte falsch weiter erzählen konnte. Sie möchte Lisa sehr gerne und freute sich über diese Nachricht, die niemanden wirklich überraschte. Nach einer Weile kamen unsere Eltern und ich berichtete von den Tagesereignissen auf der Werft. Mein Vater hatte, vor der Fahrt nach Billwerder, den Schiffszimmerer-Wirt aufgesucht und die Organisation der Feier besprochen. Alles war jetzt vorbereitet, das große Fest, die Schiffstaufe konnte beginnen.
Hektisches Treiben vernahm ich am nächsten Morgen, noch bevor ich die Augen geöffnet hatte und sich die bewussten Gedanken sortieren konnten. Das ganze Haus schien in Bewegung zu sein. Ich verließ meine Kammer. Das Personal war schon im besten Zwirn. Selbst Gretchen, die Wäscherin und Maria, die Hausmagd trugen ihre schwarzen Kleider, die sonst nur zum Kirchgang angezogen wurden. Vater und Onkel Clemens waren auf dem Weg zur Werft und Mutter und Tante Nathalie verließen gerade das Haus, um den Friseur aufzusuchen. Josephine wirbelte in der Küche, so wie sie es gelegentlich gerne machte. Sie verstaute die selbstgebackenen Kuchen für die Schiffstaufe. Dabei durfte niemand in die Küche kommen, weil sie ihre ganze Konzentration nur dem Kuchen widmete. Ich saß alleine am Esstisch, kaute gemächlich und schaute den Anderen gelassen dabei zu, wie sie in Eile ihre Aufgaben erledigten. Jacob schlief noch. Wahrscheinlich wartete er, auf ein Frühstück am Bett, wie es in Frankreich üblich war. Da konnte er heute lange darauf warten. Ich weckte ihn, damit wir Hinrich rechtzeitig abholen können. Nach einiger Zeit kam Jacob die Treppe herunter und ich bediente ihn, damit wir anschließend aufbrechen konnten. Während Jacob frühstückte, las ich meine Zeitung und fand nur schlechte Nachrichten vor:
>> Kriegsgefahr in Europa! << stand da, als alles platt machende Überschrift. Alles nur Spekulation, dachte ich. Nun hatte die allgemeine Hektik mich erreicht, als mir einfiel, dass wir auch Konstanze abholen sollten. Lisa wollte mit ihren Eltern direkt zur Werft kommen.
Hinrich sah heute schon besser aus. Der Schwindel war vorbei und die Kopfschmerzen gehörten auch der Vergangenheit an. So wird Hinrich ein wenig mitfeiern können. Wir nahmen noch zwei andere Unglückspatienten mit zur Werft, die von Anfang an am Bau unseres Walfängers beteiligt waren und auch mitfeiern sollten. Alle anderen Schiffshandwerker, die eingeliefert wurden, waren bereits entlassen worden. Es gab keinen Schwerverletzten mehr und die finanziellen Folgen des Unglücks waren zu verkraften gewesen. Die Kutsche bannte sich den Weg zur Werft durch die engen Gassen der Stadt. Hinrichs Freundin wohnte am Neuen Wall. Konstanze stand schon vor der Tür und ging hin und her. Sie arbeitete hier in einer Apotheke, die ihrem Onkel gehörte. Darüber befand sich des Onkels Wohnung, wo Konstanze ein Zimmer hatte. Für den Rest des Tages hatte sie frei. Konstanze erzählte von ihrer Arbeit immer schauerliche Geschichten. Die Leute verlangten die ekeligsten Dinge, die angeblich als Medizin geeignet waren. Es trieben sich viele Scharlatane in der Stadt herum. Sie verkauften auch eigene Mittelchen, das wiederum dazu führte, dass die Menschen sich übergaben oder sonst irgendwie zu Schaden kamen. Hinterher sollte Konstanze wieder alles richten. Natürlich wussten die Leute nicht, was in den Wundermitteln der Quacksalber steckte und so konnte sie die Leute nur zum richtigen Doktor schicken. Die Menschen waren leichtgläubig, da hatten Scharlatane schnellen Erfolg bei ihnen. Hinrich freute sich sehr Konstanze außerhalb der Krankenanstalt zusehen. Sie stieg in die Kutsche und quetschte sich zu uns. Die Kutsche platzte aus allen Nähten und die Pferde schnauften um die Wette. Jetzt konnten wir zur Schiffstaufe fahren, ohne weitere Umwege machen zu müssen. Wir gelangten zum Hafen. Die Sonne schien und es war angenehm warm. Der Große Kran tat seinen Dienst und diesmal stauten die Fuhrwerke sich nicht auf der Strasse. Die mitfahrenden Schiffszimmerer erzählten nochmals, wie sie das Werftunglück erlebt hatten und jeder hatte seine eigene Theorie, wie es dazu kam. Schließlich freuten sich alle, es überstanden zu haben. Der Stadtwall lag bereits hinter uns. In der Ferne sahen wir das geschmückte Schiff und den Festplatz. Es war Musik zu hören und viele Menschen standen in kleinen Gruppen auf dem Werftgelände. Fassbier wurde ausgeschenkt und Rotwein. Im Hintergrund drehte der Schiffszimmerer-Wirt einen Ochsen auf dem Spieß, das traditionelle Hamburger Essen, zu besonderen Anlässen. Gegessen werden sollte erst nach der Taufe und die fängt frühestens an, wenn meine Mutter und Tante Nathalie da sind. Vater machte die Sylter Seeleute mit den Hamburgern bekannt, die alle eine Besatzung werden sollten. In lockerer Atmosphäre konnten die fremden Männer sich beschnuppern. Später wollte Vater die Mannschaft des Walfängers noch allen Gästen offiziell vorstellen. Er betonte vorher, dass ein gutes Verhältnis zur Mannschaft wichtig sei. Der Walfänger war auf Holzbohlen gelagert und lag rechtwinklig zum Strom. Das Heck des Schiffes lag mit leichter Neigung zum Fluss. Das Gerüst war inzwischen abgebaut worden. Nur Stecken stützten den Rumpf ab, damit das Schiff nicht vorzeitig sich selbst taufen konnte. Am Bug verhüllten Tücher den noch geheimen Namen. Drumherum war alles geschmückt mit Wimpeln, Fähnchen und Girlanden. Vorne stand ein Podest mit einer kleinen Treppe und einem Geländer. Der freie Platz wurde von Tischen und Bänken beidseitig eingegrenzt. Als Sonnenschutz dienten Leinenlaken, die über die Tische gespannt waren. Die Hafenkapelle spielte Seemannslieder, Walzer und Polka. Eine kleine Tanzfläche aus Brettern war seitlich neben der Musik aufgebaut worden. Mutter und Tante Nathalie kamen mit Josephine und zwei Freundinnen angefahren. Sie hatten ihre schönsten Kleider angezogen, große Hüte aufgesetzt und hochgesteckte Haare, so wie die Frauen es in Paris tragen. Ich war beeindruckt vom Geschehen und mächtig stolz auf meine Familie. Jeder hatte seinen Beitrag zu diesem Tag geleistet. Zuletzt kam der Wasserschout, den mein Vater gut kannte. Einerseits war er für die Registrierung der Mannschaften ins Melderegister zuständig. Jeder Hamburger Walfänger war dazu verpflichtet. Andererseits schlichtete der Wasserschout Streitigkeiten zwischen Mannschaften, Reedern und Kapitänen als neutrale Instanz. Das Amt des Wasserschouts der Hamburger Admiralität setzte das Hamburger Seerecht um. Vermehrter Umfang der Seefahrt und zunehmende Delikte an Bord, machten dieses Amt notwendig. Gregor Albrecht war der richtige Mann. Er fuhr mit Vater zur See, sie waren seitdem viele Jahre befreundet. Er hatte eine sonore Stimme, einen langen grauen respektablen Bart mit den dazu gehörigen buschigen Augenbrauen und strahlte unendliche Souveränität aus. Er ließ sich mit Gelassenheit die Streitigkeiten und Probleme vortragen und entschied nach gültigem Recht. Das war schwer genug, da vieles unklar formuliert gewesen war.
Die Mannschaft versammelte sich. Die Hamburger und die Sylter. Der Schout listete alle Besatzungsmitglieder in seinem großen Amtsbuch auf. Der letzte eingetragene Name war:
>> Caspar Kock aus Hamburg, Matrose <<
Nun