Nun war beinahe seit dem ersten Tag der Ehe eine Person namens Barbara Kroner im Hause, die zuerst als Köchin, dann als Wirtschafterin galt, die aber in Wirklichkeit die Geliebte Peter Salomons war. Man erzählte sich, daß alle drei, Mann, Frau und Magd, in demselben Zimmer schliefen und daß die Frau gezwungen sei, die Zärtlichkeit ihres Mannes mit der Fremden zu sehen, man entrüstete sich darüber und gab der Frau schuld, da sie etwas beschränkten Geistes war. Aber sie liebte ihren Peter Salomon so abgöttisch, daß sie in seiner Gegenwart nicht den Blick von ihm wandte, und ihre Selbstverleugnung war so groß, daß sie die andre mitliebte, daß die andre die Herrin spielen und mit demselben Allerweltshohn wie Curius jede Billigkeit vergessen durfte. Barbara Kroner weigerte sich schließlich, die gemeine Hausarbeit zu verrichten, und drang darauf, daß ein Dienstmädchen angestellt werde. Peter Salomon benutzte die Gelegenheit und wählte unter denen, die sich dazu anboten, ein höchst scharmuzierliches Frauenzimmer, wie er sich ausdrückte, eine gewisse Anna Wild aus der Gegend von Baireuth. Sie gefiel Peter Salomon so über die Maßen, daß er Frau samt Kebsweib vergaß und sich emsig hinter die Neue machte. Anna Wild war in der Tat ein schönes Weib; sie ging meist mit kokett gesenkten Augen, und wenn sie lächelte, flammten hinter den feuchten Lippen die weißesten Zähne. Die Kroner wurde von Eifersucht erfaßt, es gab fortwährend Zänkereien, einmal wollte die Wild Phosphorkappen von Zündhölzern in ihrer Suppe gefunden haben. Alledem sah Frau Curius still zu. Nicht nur, daß sie die Unbequemlichkeiten ertrug, sondern sie warb auch noch bei Anna Wild für ihren Gatten und begünstigte sie, als sie in ihr die Mehrgeliebte sah.
An einem Abend kam Engelhart hinüber und sah Anna Wild hinter der Kellertür sitzen, ein Öllämpchen neben sich, und in die Tiefe starren. Der Knabe fragte, auf wen sie warte, sie blickte ihn flüchtig an, schüttelte den Kopf und rief nach einer kleinen Weile gegen die Wohnung hinauf: »Herr Curius! Herr Curius!« Es kam keine Antwort, das Mädchen wandte sich zu Engelhart und forderte ihn auf, sie in den Keller zu begleiten, sie fürchte sich allein. Er ging mit, sie rollte ein kleines Bierfaß aus dem Verschlag, stellte es auf die Bank, wo das Lämpchen stand, nahm den Hammer und hieb mit starken Schlägen den Keil in den Spund. Dann nahm sie den Abzugsschlauch, steckte ihn in die Öffnung und trank am andern Ende mit langen, durstigen Schlücken. Plötzlich hielt sie inne und sagte: »Du könntest mir gleich einen Kuß geben, du Kleiner.« Da er nicht antwortete, zog sie ihn am Arm heran und hieß ihn aus dem Schlauch trinken, wie sie selbst getan. »Ordentlich!« befahl sie. »Du wirst kein Mann, wenn du nicht trinken kannst.« Und ehe er sich dessen versah, ergriff sie ihn ganz wie er war, drückte seine Schulter an ihre Brust, packte mit der Hand sein Kinn und küßte ihn mitten auf den Mund. Engelhart packte sie zornig bei den Haaren und suchte ihren Kopf zurückzustemmen, ihm war, als berühre ein zuckender, kühler Fisch seine Lippen, endlich riß er sich mit aller Kraft los und stolperte die finstere Treppe hinauf. Anna Wild lachte hinter ihm drein und rief: »Wirst kein Mann, wenn du nicht küssen kannst.«
Tagelang vermied Engelhart den Blick der Menschen, und wenn ihn jemand anredete, erschrak er. Bisweilen rieb er mit den Fingern seine Lippen ab, als suche er das Gedächtnis an jenen fischhaften Druck fortzuwischen. Wenn er aus dem Schlaf erwachte, blickte er unruhig in die Finsternis, der Wind rüttelte am Fenster, und es war ihm, als laure draußen, den Raum zwischen Himmel und Erde füllend, ein ungeheures Raubtier. Vielleicht hätte er das ganze Erlebnis wieder vergessen, wenn nicht andre Dinge sich ereignet hätten, die seinem Nachdenken und seiner dumpfen Verstörtheit neue Nahrung gaben. Die Magd bei Ratgebers hatte einen Liebhaber aus der Fabrik, und es kam heraus, daß dieser sich allnächtlich in ihre Kammer schlich. Eines Nachts wachte Engelhart von wildem Schreien und Schimpfen auf. Er erhob sich und lugte durch die Türspalte. Die Magd und ihr Liebhaber standen beide im Hemd vor Herrn Ratgeber, das Weib heulte, der Liebhaber und Herr Ratgeber brüllten. Oben und unten öffneten sich Türen, verschlafene Leute erschienen, und endlich mußte das Paar, nachdem es sich angekleidet hatte, schimpflich das Haus verlassen. Darauf folgte eine angstvolle Zeit, in jeder Nacht vor Torschluß läutete die Flurglocke stürmisch, der Liebhaber und seine Kumpane standen draußen und verlangten unter unheimlichen Reden den Lohn der Magd für die nichteingehaltene Kündigungsfrist. Da nicht aufgemacht wurde, stießen sie das Glas an der Türe ein und einer warf sein Messer in den Korridor. Das ging so fort, bis die Polizei dem Treiben ein Ende machte.
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