Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Томас Манн
Издательство: РИПОЛ Классик
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 1924
isbn: 978-5-521-05932-4, 978-5-521-05933-1
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der Blu-menpracht und den Palmenwedeln, die bekanntlich den himm-lischen Frieden bedeuteten; ferner und noch deutlicher in dem Kreuz zwischen den gestorbenen Fingern des ehemaligen Groß-vaters, dem segnenden Heiland von Thorwaldsen, der zu Häup-ten des Sarges stand, und in den zu beiden Seiten aufragenden Kandelabern, die bei dieser Gelegenheit ebenfalls einen kirchli-chen Charakter angenommen hatten. Alle diese Anstalten hatten ihren genaueren und guten Sinn offenbar in dem Gedanken, daß der Großvater nun auf immer zu seiner eigentlichen und wahren Gestalt eingegangen war. Außerdem aber hatten sie, wie der kleine Hans Castorp wohl bemerkte, wenn auch nicht mit Worten sich eingestand, allesamt, im besonderen aber die Men-ge der Blumen und unter diesen wieder besonders die vielfach vertretenen Tuberosen, noch einen weiteren Sinn und nüchter-nen Zweck, nämlich den, die andere, weder schöne, noch eigentlich traurige, sondern eher fast unanständige, niedrig kör-perliche Bewandtnis, die es mit dem Tode hatte, zu beschöni-gen, in Vergessenheit zu bringen oder nicht zum Bewußtsein kommen zu lassen.

      Mit dieser Bewandtnis hing es zusammen, daß der tote Großvater so fremd, ja eigentlich nicht als der Großvater, sondern als eine lebensgroße, wächserne Puppe erschien, die der Tod statt seiner Person eingeschoben hatte, und mit der nun all dieser fromme und ehrenvolle Aufwand getrieben wurde. Der da lag, oder richtiger: was da lag, war also nicht der Großvater selbst, sondern eine Hülle, – die, wie Hans Castorp wußte, nicht aus Wachs bestand, sondern aus ihrem eigenen Stoff; nur aus Stoff: das eben war das Unanständige und kaum auch Traurige, traurig so wenig, wie Dinge traurig sind, die mit dem Körper zu tun haben und nur mit diesem. Der kleine Hans Castorp be-trachtete den wachsgelben, glatten und käsig-festen Stoff, aus dem die lebensgroße Todesfigur bestand, das Gesicht und die Hände des ehemaligen Großvaters. Eben ließ eine Fliege sich auf die unbewegliche Stirne nieder und begann, ihren Rüssel auf und ab zu bewegen. Der alte Fiete verscheuchte sie vorsich-tig, indem er sich hütete, die Stirn dabei zu berühren, und mit einer ehrbaren Verfinsterung seiner Miene, so, als dürfe und wolle er von dem, was er da tat, nichts wissen, – einem Aus-druck von Sittsamkeit, der sich offenbar auf die Tatsache bezog, daß der Großvater nur noch Körper und nichts weiter mehr war; allein nach schweifendem Auffluge nahm die Fliege auf den Fingern des Großvaters, in der Nähe des Elfenbeinkreuzes, kurz aufsitzend wieder Platz. Während aber dies geschah, glaub-te Hans Castorp deutlicher als bisher jene von früher her ver-haute leise, aber so ganz eigentümlich zähe Ausdünstung zu verspüren, die ihn beschämenderweise an einen mit einem lästi-gen Übel behafteten und darum allerseits gemiedenen Schulka-meraden erinnerte, und die zu übertäuben der Duft der Tuberosen unter der Hand bestimmt war, ohne es bei aller schönen Üppigkeit und Strenge imstande zu sein.

      Er stand wiederholt an der Leiche: einmal allein mit dem allen Fiete, das zweitemal zusammen mit seinem Großonkel Tienappel, dem Weinhändler, und den beiden Onkeln James und Peter, und dann noch ein drittes Mal, als eine Gruppe von sonntäglich gekleideten Hafenarbeitern einige Augenblicke am offenen Sarge stand, um sich von dem ehemaligen Chef des Hauses Castorp und Sohn zu verabschieden. Dann kam das Be-gräbnis, bei dem der Saal voller Leute war und Pastor Bugenha-gen von der Michaeliskirche, derselbe, der Hans Castorp getauft hatte, angetan mit der spanischen Halskrause, die Gedächtnis-rede hielt und sich nachher in der Droschke, der ersten gleich hinter dem Leichenwagen, der dann eine lange, lange Reihe folgte, sehr freundlich mit dem kleinen Hans Castorp unter-hielt, – und dann war auch dieser Lebensabschnitt zu Ende, und Hans Castorp wechselte gleich darauf Haus und Umgebung, zum zweitenmal tat er das ja bereits in seinem jungen Leben.

      Bei Tienappels und Von Hans Castorps sittlichem Befinden

      Zu seinem Schaden geschah es nicht, denn er kam zu Konsul Tienappel ins Haus, seinem bestellten Vormund, und hatte da nichts zu vermissen: in Hinsicht auf seine Person gewiß nicht, und ebensowenig, was die Betreuung seiner weiteren Interessen betraf, von denen er noch nichts wußte. Denn Konsul Tienappel, ein Onkel von Hansens seliger Mutter, verwaltete die Ca-storpsche Hinterlassenschaft, er brachte die Immobilien zum Verkauf, nahm auch die Liquidation der Firma Castorp und Sohn, Import und Export, in die Hand, und was er herausschlug, waren noch ungefähr vierhunderttausend Mark, Hans Castorps Erbe, das Konsul Tienappel in mündelsicheren Papieren anlegte, indem er, seiner verwandtschaftlichen Gefühle unbeschadet, an jedem Quartalsbeginn zwei Prozent Provision von den fälligen Zinsen für sich in Abzug brachte.

      Das Tienappelsche Haus lag im Hintergrunde eines Gartens am Harvestehuder Weg und blickte auf eine Rasenfläche, in der auch nicht das kleinste Unkraut geduldet wurde, auf öffentliche Rosenanlagen und dann auf den Fluß. Der Konsul ging jeden Morgen, obgleich er ein schönes Fuhrwerk besaß, zu Fuß in sein Geschäft in der Altstadt, um doch ein bißchen Bewegung zu ha-ben, denn manchmal litt er an Blutstauungen im Kopfe, und kehrte um fünf Uhr abends auch so zurück, worauf bei Tienappels mit aller Kultur zu Mittag gegessen wurde. Er war ein ge-wichtiger Mann, in beste englische Stoffe gekleidet, mit wasser-blau vorquellenden Augen hinter der goldenen Brille, einer blühenden Nase, grauem Schifferbart und einem feurigen Bril-lanten an dem gedrungenen kleinen Finger seiner Linken. Seine Frau war längst tot. Er hatte zwei Söhne, Peter und James, von denen der eine bei der Marine und wenig zu Hause, der andere im väterlichen Weinhandel tätig und designierter Erbe der Firma war. Den Hausstand führte seit vielen Jahren Schalleen, eine Goldschmiedstochter aus Altona mit weißen Stärkrüschen um ihre walzenförmigen Handgelenke. Sie stand dafür ein, daß der Frühstücks – und Abendtisch reichlich mit kalter Küche, mit Krabben und Lachs, Aal, Gänsebrust und Tomato Catsup zum Roastbeef bestellt war; sie hatte ein wachsames Auge auf die Lohndiener, wenn Herrendiner bei Konsul Tienappel war, und sie war es auch, die bei dem kleinen Hans Castorp, so gut sie konnte, Mutterstelle vertrat.

      Hans Castorp wuchs auf bei miserablem Wetter, in Wind und Wasserdunst, wuchs auf im gelben Gummimantel, wenn man so sagen darf, und fühlte sich im ganzen recht munter da-bei. Ein bißchen blutarm war er ja wohl von Anfang an, das sagte auch Dr. Heidekind und ließ ihm täglich zum dritten Frühstück, nach der Schule, ein gutes Glas Porter geben, – ein gehaltvolles Getränk, wie man weiß, dem Dr. Heidekind blut-bildende Wirkung zuschrieb und das jedenfalls Hans Castorps Lebensgeister auf eine ihm schätzenswerte Weise besänftigte, seiner Neigung, zu "dösen", wie sein Onkel Tienappel sich aus-drückte, nämlich mit schlaffem Munde und ohne einen festen Gedanken ins Leere zu träumen, wohltuend Vorschub leistete. Sonst aber war er gesund und richtig, ein brauchbarer Tennis-spieler und Ruderer, wenn er auch lieber, statt selber die Rie-men zu handhaben, an Sommerabenden bei Musik und einem guten Getränk auf der Terrasse des Uhlenhorster Fährhauses saß und die beleuchteten Boote betrachtete, zwischen denen Schwä-ne auf dem bunt spiegelnden Wasser dahinzogen; und wenn man ihn sprechen hörte: gelassen, verständig, ein bißchen hohl und eintönig, mit einem Anflug von Platt, ja, wenn man ihn auch nur ansah in seiner blonden Korrektheit, mit seinem gut geschnittenen, irgendwie altertümlich geprägten Kopf, in dem ein ererbter und unbewußter Dünkel sich in Gestalt einer ge-wissen trockenen Schläfrigkeit äußerte, so konnte kein Mensch bezweifeln, daß dieser Hans Castorp ein unverfälschtes und rechtschaffenes Erzeugnis hiesigen Bodens und glänzend an seinem Platze war, – er selbst hätte es, wenn er sich daraufhin auch nur geprüft hätte, nicht einen Augenblick lang bezweifelt.

      Die Atmosphäre der großen Meerstadt, diese feuchte Atmosphäre aus Weltkrämertum und Wohlleben, die seiner Väter Le-benslust gewesen war, er atmete sie mit tiefem Einverständnis, mit Selbstverständlichkeit und gutem Behagen. Die Ausdün-stungen von Wasser, Kohlen und Teer, die scharfen Gerüche ge-häufter Kolonialwaren in der Nase, sah er an den Hafenkais un-geheure Dampfdrehkrane die Ruhe, Intelligenz und Riesenkraft dienender Elefanten nachahmen, indem sie Tonnengewichte von Säcken, Ballen, Kisten, Fässern und Ballons aus den Bäu-chen ruhender Seeschiffe in Eisenbahnwagen und Schuppen löschten. Er sah die Kaufmannschaft in gelben Gummimänteln, wie er selbst einen trug, um Mittag zur Börse strömen, woselbst es scharf herging, seines Wissens, und jemand ganz leicht Ver-anlassung bekommen konnte, in aller Eile Einladungen zu ei-nem großen Diner zu verschicken, um seinen Kredit zu fristen. Er sah (und hier lag ja später sein besonderes Interessengebiet) das Gewimmel der Werften, sah die Mammutleiber gedockter Asien – und Afrikafahrer, turmhoch, Kiel und Propeller entblößt, von baumdicken Streben gestützt, in ihrer monströsen Unbehilflichkeit auf dem Trockenen, bedeckt mit zwerghaften Hee-ren scheuernder, hämmernder, tünchender Arbeiter; sah auf den überdachten Hellings, von rauchigem Nebel umsponnen, die Spantenskelette