Bei aller Befassung mit Hitlers Rhetorik: Lange wurde die unübersehbare theologische Komponente des Hitlerschen Diskurses als genau dieses nur genommen: als rhetorische Strategie. Doch Hitlers theologische Begriffe formulieren tragende Prinzipien seines Denkens und seines politischen Projekts. Die Durchsicht der Hitlerschen Texte jedenfalls ergibt: Hitlers Diskurs ist durchgängig in allen Phasen seiner politischen Biographie mit theologischen Begriffen durchsetzt. Sie spielen keine nur rhetorische, sondern eine zentrale und konstitutive Rolle.
Vor allem drei Orte des Hitlerschen Diskurses lassen theologische Elemente erwarten. Zum einen sollten sie dort zu finden sein, wo Hitler sich mit den Kirchen auseinandersetzt, sein Vorhaben also gegenüber den traditionellen theologischen Kompetenzträgern definiert; dann auch dort, wo er sich mit der genuinen religiösen Tradition seiner eigenen Bewegung, also der völkischen Religiosität auseinandersetzt. Drittens aber, und zentral, sind jene Stellen des Hitlerschen Diskurses aufzusuchen, wo Hitler positiv das eigene Projekt über theologische Begriffe konzipiert und legitimiert.
II
Hitlers Theologie und die katholische Kirche
1. Vorbild: Was Hitler von den Kirchen lernen wollte
Hitler hat die Kirchen als rivalisierende Loyalitätszentren gleichermaßen umworben wie bekämpft.1 Hitler beschäftigte sich in seinen Schriften und Reden aber nicht nur tagespolitisch und somit in einem taktischen Kontext, sondern auch analytisch und damit sehr grundsätzlich mit den Kirchen. Hitler versucht dabei, sein eigenes politisches Projekt in Kontrast zu den christlichen Kirchen, aber auch in partieller Identität zu profilieren. Für ihn sind die Kirchen zuerst Modelle sozialer Organisation von Religion, also von etwas, das er, wie den Nationalsozialismus, vor allem erst einmal als „Weltanschauung“ begreift.
Hitlers Überlegungen zeugen in Zustimmung wie Kritik von einer intensiven Abgrenzungsarbeit gegenüber den Kirchen. Sie belegen übrigens auch eine nicht zu unterschätzende Lernfähigkeit Hitlers. Er bekämpft die Kirchen als rivalisierende soziale Organisationen, doch er will auch von ihnen lernen. Sein Interesse an den Kirchen ist primär analytisch motiviert. Hitler untersucht die Konstitutionsprinzipien der Kirchen, kritisiert ihre Glaubensinhalte, ist aber auch davon fasziniert, wie die Kirchen, speziell die katholische, sich über Jahrhunderte organisiert und behauptet haben. Immer wieder bestimmt Hitler sein eigenes Projekt einer rassisch definierten Volksgemeinschaft gerade auch in Anschluss und Kontrast zu Geschichte und Gegenwart der christlichen Kirchen. Dabei gibt es eine deutliche Linie von früher Bewunderung zu sich intensivierender Kritik. Hitlers positive Einschätzung der Kirchen als Muster einer erfolgreichen Weltanschauungsorganisation ist früh belegbar und findet sich, wie zu erwarten, vor allem in Äußerungen und Schriften der so genannten „Kampfzeit“. Der Blick auf andere historisch erfolgreiche Organisationen mit massivem Normierungsanspruch und vor-demokratischer Legitimation lag zu dieser Zeit besonders nahe.
a) Der totale Anspruch der Kirchen
Hitler bewundert vor allem die Durchsetzungsfähigkeit des Christentums auf der Basis seiner ideologischen Kompromisslosigkeit. Diese Bewunderung findet sich bereits in einem Text aus dem Jahre 1922. Das „Ablehnen jedes Kompromisses“, die Zurückweisung jeder „Verbindung mit sogenannten ähnlichen Ideen“ habe, so Hitler, dem Christentum „diese unerhörte Kraft“ gegeben. „Die größte Kraft auf dieser Welt liegt nicht in Arbeitsgemeinschaften, sondern im blinden Glauben an die Richtigkeit des eigenen Ziels und an die eigene Berechtigung des Kampfes dafür“2, so Hitler in einem NSDAP-Mitteilungsblatt vom 26.4.1922.
Fast identisch findet sich diese Argumentation auch in „Mein Kampf“: „Die Größe jeder gewaltigen Organisation als Verkörperung einer Idee auf dieser Welt liegt im religiösen Fanatismus, indem sie sich unduldsam gegen alles andere, fanatisch überzeugt vom eigenen Recht, durchsetzt. Wenn eine Idee an sich richtig ist und, in solcher Weise gerüstet, den Kampf auf dieser Erde aufnimmt, ist sie unbesiegbar und jede Verfolgung wird nur zu ihrer inneren Stärkung führen. Die Größe des Christentums lag nicht in versuchten Vergleichsverhandlungen mit etwa ähnlich gearteten philosophischen Meinungen der Antike, sondern in der unerbittlichen fanatischen Verkündigung und Vertretung der eigenen Lehre.“3 Das Christentum, so Hitler, „konnte sich nicht damit begnügen, seinen eigenen Altar aufzubauen, sondern mußte zwangsläufig zur Zerstörung der heidnischen Altäre schreiten. Nur aus dieser fanatischen Unduldsamkeit heraus konnte sich der apodiktische Glauben bilden, diese Unduldsamkeit ist sogar die unbedingte Voraussetzung für ihn“4.
In einer Rede vor Lehrern in Nürnberg beruft sich Hitler dann darauf, „dass ein Christentum siegen konnte, nicht weil es die Majorität der Zahl, sondern die Majorität der Energie bekam“. Genau dies ist ihm Beleg für seinen optimistischen Blick auf die Zukunft der damals noch unbedeutenden NSDAP. „Wenn ich durch einen Prozess verstehe, aus einem Staat wertvolle Menschen herauszuziehen, wenn dann die kräftigsten herausgezogen sind und zu einem gewissen Zeitpunkt konzentriert erscheinen, dann gibt es eine neue Bewegung. Das ist das, was mir vorschwebte, als ich daran ging, eine neue Organisation zu bilden“5 – so Hitler in dieser Rede vom 8.12.1928.
Doch Hitler zieht nicht nur eine phänomenologische Parallele zwischen der Durchsetzungsfähigkeit des Christentums und jener der nationalsozialistischen Weltanschauung. Er begründet vielmehr ausdrücklich den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus mit der Notwendigkeit, sich des vorgängigen christlich-jüdischen Totalitarismus zu erwehren. Eine „von infernalischer Unduldsamkeit erfüllte Weltanschauung“, so Hitler, werde nämlich „nur zerbrochen werden durch eine vom gleichen Geist vorwärtsgetriebene, vom stärksten Willen verfochtene, dabei aber in sich reine und durchaus wahrhaftige neue Idee“. „Der einzelne“, so Hitler weiter, „mag heute schmerzlich feststellen, daß in die viel freiere antike Welt mit dem Erscheinen des Christentums erst der geistige Terror gekommen ist, er wird die Tatsache aber nicht bestreiten können, daß die Welt seitdem von diesem Zwange bedrängt und beherrscht wird und daß man Zwang nur wieder durch Zwang bricht und Terror nur mit Terror. Erst dann kann aufbauend ein neuer Zustand geschaffen werden. Politische Parteien sind zu Kompromissen geneigt, Weltanschauungen niemals. Politische Parteien rechnen selbst mit Gegenspielern, Weltanschauungen proklamieren ihre Unfehlbarkeit“6 – so Hitler in „Mein Kampf“.
Mag es also für Hitler „tausendmal richtig sein“, dass „diese Art von Unduldsamkeit und Fanatismus geradezu jüdische Wesensart verkörpere“, so folgt doch gerade daraus, dass auch die nationalsozialistische Weltanschauung „gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen (fordert). Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustands nicht dulden.“7
In einem seiner späteren Monologe, genauer am 4. April 1942 im Führerhauptquartier, parallelisiert Hitler schließlich die exklusive Verehrung eines einzigen Gottes im Christentum mit der anti-universalistischen Beschränkung menschlicher Rechte auf das deutsche Volk in seinem eigenen Politikprojekt. So wie das Christentum „in der Ausrichtung der Liebe zu dem einen von ihm gewiesenen Gott“ am „fanatischsten, am ausschließlichsten und am unduldsamsten“ sei, so habe die „ganze Liebe“ einer „unverbildeten“ nationalsozialistischen „Führerschicht nur dem eigenen Volksgenossen unteilbar (zu) gelten“. Das Christentum sei hierin „eine gute Lehrmeisterin“. Wie jenes seinen Gott verehre, ebenso „fanatisch, ausschließlich und unduldsam müsse die ganze Zuneigung der führenden Schicht Deutschlands dem tüchtigen deutschen Volksgenossen gelten, der seine Pflicht für die Gesamtheit treu und brav erfülle“8.
Dies ist im Übrigen eine für Hitlers Theologie charakteristische Verkennung der universalistischen Konsequenzen des christlichen Monotheismus. Der eine und einzige Gott der christlich-jüdischen Tradition ist gerade kein Gott nur eines einzigen Volkes: Seine Gebote, zuerst und zuletzt jenes der Nächstenliebe, unterlaufen