Leibl sprang auf und ich dachte, etwas Furchtbares müsste geschehen. Aber er beherrschte sich und ging hinaus in den Garten.
Als er nicht wiederkam, wurde ich ängstlich und suchte ihn draussen. Mit grossen Schritten ging er auf und ab: „Ist der Mensch noch da? Ich schlage ihn nieder!“
Es gelang mir endlich, Leibl zu beruhigen. Der Gast musste sich aber für den Abend mit der Rückenansicht Leibls begnügen.
Der Ahnungslose flüsterte mir noch zu: „Leibl ist wirklich sehr unzugänglich.“
Einmal warm geworden, unterhielt sich Leibl gern von seiner Arbeit. Da er jeden Strich direkt nach der Natur machte, so hatte er oft mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die „politisierenden Bauern“ z. B. sind unter den denkbar schlechtesten äussern Verhältnissen entstanden. Niedrig, eng und schlecht beleuchtet war das Zimmer, in welchem er das Bild malte. Alle fünf Bauern mussten sitzen, auch wenn er nur an Nebensächlichem arbeitete. Leibl stand in der Thür und konnte kaum sehen, was er malte. Um seine Arbeit betrachten zu können, musste Leibl von Zeit zu Zeit ins Freie gehen. Manchmal schlief ein Bauer ein und brachte das Ensemble durcheinander.
Ueberhaupt musste er die Gesellschaft immer an Händen und Gliedmassen, wie Marionetten, zurechtrücken.
Die „drei Frauen in der Kirche“ hätte er beinahe unfertig stehen lassen müssen, nachdem er bereits zwei Sommer daran gearbeitet hatte.
Sein Freund, der Pfarrer, der ihn bestimmt hatte, vom Ammersee nach Aibling überzusiedeln, starb plötzlich. Und der Nachfolger verbot Leibl das Arbeiten in der Kirche. Erst durch die Vermittlung eines sehr hohen Herrn wurde das Verbot zurückgenommen.
Leibl malte an diesem Bilde drei Sommer (nicht 10 Jahre, wie in münchner Künstlerkreisen allgemein erzählt wurde).
Da er meist in engen Bauernstuben arbeitete, in denen er nicht zurücktreten konnte, so „verhaute“ er sich oft in den Verhältnissen der Figuren. Die junge Bäuerin z. B. im Vordergrunde des Kirchenbildes, welche jetzt noch zu lang ist, war einmal noch länger. Sperl kam und sah es. Leibl musste das ganze Stück herauskratzen, eine Arbeit von drei Monaten.
Auf die „Wilderer“ hatte er grosse Hoffnungen gesetzt; das sollte wieder einmal ein grosses figurenreiches Werk werden. Die Hosenträger des vordern jungen Bauern reizten ihn besonders in der Farbe; er fing an, daran zu malen und wollte das Ganze danach stimmen. Das Modell, vor kurzem erst vom Militär gekommen, reckte sich fortwährend mit „Stillgesessen“ krampfhaft in die Höhe. So geriet die Figur bei Leibl furchtbar in die Länge. Sperl war gerade in München. Da besuchte ihn der alte Bauer, welcher für den Wilderer im Hintergrunde sass. Er war nach einem Ort bei München gewallfahrtet.
„Herr Sperl, mit dem Herrn Leibl geht's schlecht. Er bringt sein Bild net z'samm'. Er ist ganz auseinand!“
Sperl fuhr nach Aibling hinaus und sah das Unglück. Zu ändern war da nichts mehr. Leibl hatte das Bild bereits für eine Ausstellung nach Paris versprochen und schickte es dorthin.
Im Cercle international bei Georges Petit sah ich es. Ich fragte Leibl später, was aus dem Bilde geworden wäre. Mit tiefer Niedergeschlagenheit, wie von einem grossen Unglück, erzählte er, dass er das Bild zerschnitten hätte, als er es wiedersah.
Einige Fragmente existieren noch davon und zeigen Leibls ganz wundervolle Charakteristik.
Mit dem Zerschneiden war Leibl immer schnell bei der Hand. Die verschiedenen Handfragmente, die man von ihm kennt, rühren alle von zerschnittenen Bildern her. Erbarmungslos wurde oft die Arbeit langer Monate vernichtet.
Hände zu malen war ihm das grösste Vergnügen; charakteristisch ist, dass bei den nach seiner Ansicht misslungenen Bildern die Hände immer gut waren, Gnade vor seinen Augen fanden und gerettet wurden.
Der Fehler, in den er oft verfiel, dass der Kopf zu klein wurde, kam wohl daher, dass er meist zu nahe am Modell sitzen musste. Auch auf dem Porträt des alten Baron Perfall in der Münchner Pinakothek fällt der etwas zu kleine Kopf auf; für mich sind die Hände das schönste auf dem Bilde, wahre Wunderwerke einfacher, köstlicher Malerei.
Eines Abends war in unsrer Gesellschaft eine Dame, an deren Händen Leibls Blicke wie gebannt hingen. „Solche wundervollen Hände, mein ganzes Leben lang möchte ich nur Porträts mit Händen malen. Die Damen sitzen aber nicht ruhig, die Bauern sitzen besser. Dann muss man die Damen dabei unterhalten, das kann ich nicht. Ich muss doch bei den Bauern bleiben.“
Als ihm ein Bekannter aus Florenz die Photographie nach dem Triptychon des Hugo van der Goes schickte, geriet Leibl in helle Begeisterung über die Hände der Hirten.
Meisterhaft in ihrer Einfachheit war die Technik Leibls. Er war fanatischer Prima-Nass- in Nassmaler. Die zwei grossen Feinde waren das Einschlagen und das zu schnelle Trocknen der Farben. Er war überzeugt, dass die Alten ein Mittel besassen, um die Farbe lange nass zu erhalten. Was hat er nicht alles versucht! In nasse Tücher gegen die kühle Wand wurde das Bild gestellt, im Sommer wurde im Garten eine tiefe Grube gegraben als Nachtquartier für das Bild.
In fortwährender Sorge war Leibl, in welchem Zustande am folgenden Tage die Farbe sein würde; ging es nicht mehr, war sie schon zu trocken, dann wurde das ganze Stück ausgekratzt. Zwei scharfe Rasiermesser, die er bei dieser Gelegenheit mit grosser Meisterschaft handhabte und Spiritus waren die Mittel zur Vernichtung. Auf trockne Farbe zu malen, war ihm einfach unmöglich; für ihn war der schöne Guss der Farbe, die Reinheit, der Schmelz alles. Deshalb haben sich auch alle seine Bilder wundervoll erhalten.
Wenn über Böcklins Technik ganze Bände geschrieben werden konnten, so ist die von Leibl in wenigen Worten zu beschreiben. Von ihm existiert kein einziges gesprungenes Bild.
Die letzten 20 Jahre seines Lebens hat Leibl nur in Oel gemalt. Mitte der siebziger Jahre versuchte er sich in Temperamalerei; der „Offizier“ (Freiherr von Stauffenberg) auf der Münchner internationalen Ausstellung 1901 war in Tempera; dann hat er noch die Gräfin Fichler-Treuberg, deren herrliches Porträt in gestreiftem Kleid die Perle dieser Ausstellung war, ein zweites Mal in Tempera angefangen (das Bild ist verschollen), und als dritten und letzten Versuch malte er Langbehn in Tempera, den Verfasser von „Rembrandt als Erzieher“. Dieses Bild muss sehr schwarz geworden sein.
Leibl hatte viel Angst vor dem Firnissen. Bei dem Bilde Langbehns erlaubte Sperl, der immer sonst das Firnissen allein ausführte, Leibl einige Pinselstriche. Dabei kam Leibl in eine grosse Firnissierwollust hinein, so dass das ganze Bild von Firnis schwamm, der auf der Rückseite in grossen Tropfen herausrann.
Ueberhaupt war Leibl unpraktisch. Als er das wunderbare Bildnis seiner Mutter (mit den herrlichen Händen) mit der Feder zeichnete, war das Papier so miserabel aufgespannt, dass die alte Frau in helle Verzweiflung über die Zukunft ihres Sohnes geriet.
Leibls Palette war die denkbar einfachste.
Mancher Kollege wird hier eine Farbe vermissen, welche heute als fast unentbehrlich gilt: Vert Emeraude. Sperl und ich hatten sie ihm einige Male empfohlen, wir fanden die Tube später vertrocknet auf seinem Maltisch.
Moderne Maler wird es empören, dass Leibl Elfenbeinschwarz in das Fleisch nahm; ich kann die Tatsache aber leider nicht verschweigen.
Aufgezeichnet wurde das Bild mit wenigen Kohlenstrichen oder mit dem Pinsel und Elfenbeinschwarz; nur in den grossen Verhältnissen.
Wunderbar war es zu sehen, wie Leibl eine Figur, einen Kopf, eine Hand baute.
Welch enormes Können gehört dazu, ohne grosse Vorbereitungen ein Stück prima in dieser Meisterschaft zu vollenden. Jedes Material, das er in die Hand bekam, beherrschte er. War es Oelfarbe, Kohle, Kreide, Bleistift, die Radiernadel, Tinte; mit der Feder, mit dem Pinsel, mit dem Finger hineingewischt: alles fügte sich seinem starken Willen.
Es war ein grosser Genuss, ihn in seiner ruhigen Kraft arbeiten zu sehen.
Bedächtig und langsam wurden die Töne gemischt,