»Ich verstehe das Alles nicht,« sagte die arme Frau kopfschüttelnd, – »ich glaubte, Deine Schwester wäre an einen Grafen verheirathet, und dann steht sie doch nicht allein und verlassen.«
»Aber jener Graf hat doch nichts mit unserer Familienangelegenheit zu thun –«
»Und gehört er nicht mit zu Eurer Familie? – sei mir nicht böse, Eduard,« brach sie aber rasch ab, als sie die tiefe Falte bemerkte, die sich über seine Stirn zog, – »mir ist das Herz so voll und schwer, und der Kopf thut mir so weh, ich weiß kaum noch, was ich rede – Also Du willst wirklich nach Deutschland zurückgehen und Weib und Kind in Australien lassen?«
»Und glaubst Du, daß ich mit leichtem Herzen gehe?« fragte Benner zurück. »Wenn es nicht wäre, daß ich für Euch gerade eine sorgenfreie Zukunft bereiten könnte, ich bliebe wahrlich da. Mir wird der Abschied weh genug thun, sei versichert, Kind, und die ganze Nacht hat mich der Gedanke schon gequält.«
Die Frau schwieg und sah still und sinnend vor sich nieder, endlich flüsterte sie leise: »Wie Gott will!« nahm ihr Kind auf und ging hinaus.
Das war ein trüber und schmerzlicher Tag in der kleinen, sonst so glücklichen Familie, und wenn die Frau auch nicht klagte, oder selbst nur mit einem Wort weiter die beabsichtigte Trennung erwähnte, gab es ihr doch immer einen Stich durch's Herz, sobald der Kleine in wilder Kindeslust aufjubelte und die Mutter umklammerte.
Den Nachmittag ritt Benner in die Stadt. – Er wollte selber mit Henriettens Eltern sprechen, ihnen den Brief zeigen und ihren Rath hören – obgleich er über seinen Entschluß mit sich im Reinen war – aber es würde die Frau beruhigen, wenn die Eltern selber sagten, daß er nach Hause müsse, um Alles in Ordnung zu bringen – in zwölf bis vierzehn Monaten konnte er ja auch recht gut wieder zurück sein.
Zwölf bis vierzehn Monate, Du großer Gott, wie leicht spricht der Mund eine solche Zeit aus, wie rasch verfügt das Menschenherz über einen solchen Zukunftsraum, während ihm doch das Schicksal seiner nächsten Lebensstunde verborgen ist. Aber wir hoffen und harren, bauen Pläne und fassen Entschlüsse, und wenn die vorgesteckte Zeit naht – was ist aus unseren Plänen und Entschlüssen geworden – wo sind wir selber?
Es war eine eigene Berathschlagung in der kleinen Stadt zwischen dem Baron Benner, dem Erben einer halben Million, und den beiden alten Leuten, dem Schuster und seiner Frau. Der Alte saß bei seiner Arbeit, auf dem niederen Schemel, den alten Buschschuh irgend eines derben Bauern unter dem Knieriem, und Ahle und Draht herüber- und hinüberziehend, die Frau selber wirthschaftete dabei in der Stube herum, eine unausweichliche Tasse Kaffee für den lieben Gast und Schwiegersohn herzurichten – aber beide hielten mitten in ihrer Arbeit inne, als Benner ihnen mit kurzen Worten den Inhalt des gestern empfangenen Schreibens mittheilte und ihnen zugleich verkündete, daß er jetzt ein bedeutendes Erbe in Deutschland zu erwarten habe.
»Viele tausend Thaler?« – Die Frau schlug die Hände über dem Kopf zusammen, und der Schuster schüttelte den seinen still vor sich hin. Er glaubte nie an große Zahlen, und das Ganze kam ihm zu plötzlich und auch zu unwahrscheinlich vor, als daß er sich gleich hätte vollständig hineindenken können. Das Einzige, was ihm klar war, daß der Baron nach Deutschland zurück und seine Frau hier allein lassen wollte, gefiel ihm nicht. – Wenn er nun dort blieb? – Aber die Frau sah weiter – viele Tausend Thaler als Erbschaft, was hätte sich mit denen nicht hier in Australien anfangen lassen, und was für eine vornehme Frau konnte dann ihre Tochter werden. Benner hatte sie im Augenblick auf seiner Seite, und der Alte gab auch endlich nach. Was konnte er auch dagegen machen, wenn sein Schwiegersohn ihm sagte, daß er hinüber müsse, aber recht war's ihm noch immer nicht, und er vergaß ganz Ahle und Draht, schob sich sein schwarzes, fettiges Käppchen auf's eine Ohr und kratzte sich in tiefen Gedanken den Kopf.
Das Resultat der Berathung gestaltete sich denn auch so, wie es Benner vorhergesehen. Die Eltern erklärten sich einverstanden mit der Reise, und ihr Schwiegersohn mußte ihnen nur versprechen, keine Zeit daheim zu versäumen, sondern so rasch als irgend möglich wieder zurückzukehren, schon der Leute wegen, die sicher genug ihre boshaften Bemerkungen darüber nicht unterließen und die arme junge Frau zu sehr gekränkt hätten.
Noch etwas Anderes blieb für ihn in Tanunda zu ordnen, – er brauchte nämlich Reisegeld und wollte seinen Schwiegervater nicht darum bitten; aber Becher war augenblicklich bereit, ihm dasselbe vorzuschießen. Er betrachtete es gewissermaßen als Consulatssache, denn der Brief, der die Erbschaft anzeigte, war durch ihn gekommen, und er versicherte Benner, er würde es ihm übel genommen haben, wenn er sich in dieser Sache an irgend Jemand Anderen gewandt hätte. In einer halben Stunde war Alles geordnet, und zufällig lag auch gerade ein fast segelfertiges englisches Schiff in Port Adelaide, das nur noch Wasser einnehmen mußte, und spätestens übermorgen früh mit der einsetzenden Ebbe auslief. Wenn er mitgehen wollte, mußte er morgen Nacht schon jedenfalls an Bord sein.
Benner ritt in einer eigenthümlich aufgeregten Stimmung nach Hause zurück und sonderbarer Weise war es in diesem Augenblick weniger der Abschied von Frau und Kind, an den er dachte, sondern mehr noch, weit mehr die Aussicht, bald, in wenigen Monden schon, wieder die alte Stätte seiner Jugend zu betreten, die er nie geglaubt hatte wiederzusehen, – noch einmal den Kreis der Freunde aufzusuchen und in ihrer Mitte zu verkehren. Auch die Sehnsucht nach der Schwester beschäftigte ihn, und so ganz füllten diese Bilder seine Gedanken, daß er plötzlich und unerwartet vor seinem eigenen Hause hielt und gar nicht wußte, wie er diesmal so rasch dorthin gekommen.
Und morgen Abend schon wollte er fort? Die Frau wurde leichenblaß, als er es ihr sagte, aber sie erwiderte kein Wort; nur fester drückte sie das Kind an ihre Brust und ging dann schweigend an ihre Arbeit, um dem Gatten Alles herzurichten, was er zu seiner langen Reise brauchte.
Was aus ihr selber in der Zeit wurde? – sie dachte nicht einmal daran; nur bei ihm waren ihre Gedanken, nur bei ihrem Kinde und dem Schmerz der Trennung, und doch that sie sich Gewalt an, daß sie es Eduard nicht merken ließ – hätt' es ihm selber ja doch den Abschied schwerer gemacht, und er konnte es ja nicht mehr ändern – er mußte fort.
Den Abend verbrachten sie zusammen in ihrem Gärtchen und ihr Gatte theilte ihr jetzt mit, daß er sein kleines Grundstück für die Zeit seiner Abwesenheit und um den halben Ertrag an einen jungen Bauerssohn, den er bei Becher traf, verpachtet habe. Sie selber sollte indessen zu ihren Eltern ziehen, bis er zurückkäme. Mit der ersten Post schon versprach er ihr aber Geld zu senden, daß sie sich ein eigenes kleines Quartier miethen und ihre Wirthschaft führen könne. Mit der zweiten Post folgte er dann vielleicht schon selber nach.
Morgens kam der Vater noch heraus, um Manches zu bereden und der Tochter Sachen auf seinem Wagen mit nach Tanunda zu nehmen – gegen Abend sollte ihn die kleine Familie dorthin begleiten und Abends um neun Uhr fuhr die Post ab, mit der er nach Adelaide gehen konnte und dann zur rechten Zeit im Hafen eintraf.
Das war ein schwerer, recht schwerer Tag für die arme Frau, und sie ging wirklich wie in einem Traum herum. Sie that Alles was nöthig war, aber willenlos, maschinenartig, und wäre am liebsten mit ihrem Kind in einen Winkel gekrochen, um sich nur einmal – nur ein einziges Mal recht herzlich auszuweinen. Aber das ging nicht, sie mußte Stand halten; ihr Eduard wäre ihr ja sonst vielleicht noch am letzten Tag böse geworden. Auch konnte sie sich keine Minute mehr von den wenigen Stunden, die sie noch beisammen bleiben sollten, von ihm trennen.
So fuhren sie zusammen nach Tanunda, und so langsam ihr sonst die Stunden manchmal hingegangen, so rasch, so entsetzlich rasch flog der heutige Tag an ihr vorüber. Es war Abend geworden, sie wußte selbst nicht wie, und der Zeiger auf der alten, im Zimmer ihrer Mutter hängenden Schwarzwälder Uhr lief ordentlich von Zahl zu Zahl.
Um neun Uhr ging die Post. Das Gepäck war schon Alles aufgegeben. Vor acht Uhr schon hatte die Mutter noch einmal den Tisch gedeckt, zum letzten Abendbrod, und Henriette saß neben dem Gatten, das Kind auf dem Schooß, den Kopf an seine Schulter geschmiegt, und zuckte