»Oh, wie gern glaub' ich Dir das, Eduard,« erwiderte sie, seine Hand drückend, – »armer, armer Wanderer, der, so weit in die Welt hinausgeschleudert, Alles zurücklassen mußte, was ihm lieb und theuer war, und nichts dafür wiederfand, als fremde, gleichgültige Menschen. – Aber jetzt, Gott sei Dank, ist das anders,« setzte sie rasch und lebhaft hinzu, als sie sah, wie sich ein Ausdruck von Schmerz über seine Züge stahl, dem sie freilich eine ganz andere Deutung gab, »jetzt bleibst Du bei uns! Du bist älter und vernünftiger geworden, Du hast Welt und Menschen kennen, Du hast an einer bestimmten Thätigkeit Freude gewinnen lernen, und hier, in unserer Mitte, wird Dich ein ganz besonderer Eifer treiben, das, was Du draußen erfahren, bei uns zu verwerthen. Unsere Güter liegen nicht so weit von einander entfernt, Bennerberg, unsere Geburtsstätte, wirst Du Dir gewiß zum Wohnsitz wählen, Dein Herz hing ja immer an dem alten Ort; dann nimmst Du Dir ein Weib, und Du wirst sehen, daß auch die Heimath ihre Vorzüge hat, ja, daß sie von keinem anderen Land der Erde übertroffen werden kann.«
»Glaube auch ja nicht,« fuhr sie rasch und gesprächig fort, als sie sah, wie sich ein wehmüthiger Zug um seine Lippen stahl, »daß es uns hier, auf dem Lande, an einem geselligen Leben fehlt – wir halten vorzügliche Nachbarschaft. Da ist Graf Sponneck, – Du mußt Dich ja auf den alten, etwas stolzen Herrn noch besinnen, mit einer ganz liebenswürdigen Familie und zwei reizenden Töchtern – da ist Baron Bromfels, der auf Bromfels lebt, da ist der alte Comthur Benthausen, der jetzt, zu seinen Enkeln gezogen, ordentlich wieder aufzuleben scheint, da sind noch eine Menge prächtige Familien, alle zu den besten des Landes zählend, die Dich mit offenen Armen empfangen werden.«
»Ich bin dieser Gesellschaft so entwöhnt,« sagte Eduard verlegen.
»Du wirst Dich rasch wieder hineingewöhnen,« lächelte seine Schwester, »an Deinem Aeußeren sieht Dir auch wahrlich Niemand an, daß Du die vielen Jahre in der Wildniß gelebt hast – oh, Eduard, wie froh ich bin, daß Du nur wieder da bist, und Du böser, häßlicher Bruder konntest drei volle Tage in der Residenz bleiben, ohne zu mir zu eilen. Nicht eine Stunde hätte ich es dort ausgehalten, wenn ich an Deiner Stelle gewesen wäre.«
»Liebes Kind,« sagte Eduard lächelnd, »ich glaube, Du würdest noch längere Zeit gebraucht haben, wenn Du so ausgesehen hättest, wie ich. Bedenke, daß ich aus Australien, daß ich aus dem Busch kam und der kurzen Zeit nothwendig bedurfte, um mich nur wieder anständig kleiden zu können. Ich war vollkommen abgerissen und muß Dir noch besonders danken, daß Du mir in Deinem letzten Brief den Namen Deines Banquiers aufgegeben.«
»Armer Bruder – so hast Du vielleicht gar Noth gelitten, während wir hier im Ueberfluß geschwelgt.«
»Laß das, mein Herz,« sagte Eduard, »was ich gelitten, war eine nur zu gerechte Strafe für begangenen Leichtsinn. Wollte Gott,« setzte er mit einem Seufzer leise hinzu, »daß ich damit mein vergangenes Leben abschließen könnte.«
»Das ist geschehen,« rief die Schwester herzlich, indem sie ihn umarmte, »kein Wort des Vorwurfs von unserer Seite soll Dich je verletzen, Eduard, – kein Blick, kein Gedanke Dich kränken. Du bist wieder der Unsere, und daß Du es bleiben wirst, dafür bürgt mir Deine Liebe zu uns. Aber da kommen die Kinder, die sich lange schon auf Dich gefreut – jetzt scheuch' die Wolken von Deiner Stirn; das junge Völkchen darf Dich nicht traurig sehen, und heute Abend kehrt auch mein Mann zurück – oh, daß Du endlich, endlich wieder bei uns bist.«
Von diesem Augenblick an wurde dem wieder Heimgekehrten nicht mehr viel Zeit zum Ueberlegen gelassen, denn jede Stunde brachte Neues, brachte eine frische Erinnerung aus der Jugend, und als Graf Galaz endlich zurückkehrte, begrüßte er den wiedergewonnenen Schwager mit solcher Herzlichkeit, daß sich dieser nicht anders als heimisch in seinem Hause fühlen konnte.
Eduard ging in dieser ersten Zeit wie in einem Traum umher, nur immer mit der Furcht, daß er erwachen könne. Und er hatte sein Weib und Kind daheim vergessen? – Nein! Aber dies ganze wunderbare Leben, das ja seine Jugendzeit ausgefüllt, und von dem er schon für immer – Gott weiß es, wie schweren – Abschied genommen, übte einen solchen Zauber auf ihn aus, daß er sich dem Genuß desselben auch mit vollen, dürstenden Zügen hingab, und gewaltsam Alles aus seiner Seele, aus seiner Erinnerung bannte, was ihm diese Stunden hätte trüben oder stören können.
Dazu kam noch, daß er gleich in den ersten Tagen eine Beschäftigung fand, wie sie seiner ganzen Erziehung angemessen war. Er mußte die jetzt ihm gehörenden Güter und Grundstücke revidiren, und wieder im Sattel auf einem Vollbluthengst, mit einem Reitknecht hinter sich und an Graf Galaz' Seite, durchritt er die fruchtbaren Fluren und besuchte die alten lieben Plätze seiner Jugend, die jetzt sein Eigenthum geworden, seine Heimath aufs Neue bilden sollten.
Wieder und wieder tauchte dabei der Gedanke an sein Weib in ihm auf, aber wie war es möglich, sie in diesen Rahmen zu fassen – und wären außerdem die Eltern in Australien geblieben, wenn ihre Tochter nach Deutschland zurückging und ein Schloß bezog?
»Was fehlt Dir, Eduard, Du bist so nachdenkend geworden,« sagte der neben ihm reitende Graf, der ihn schon eine Weile schweigend beobachtet hatte.
»Oh, nichts – nichts, Rudolph,« erwiderte sein Gefährte, indem er aber doch leicht erröthete, »nur der Uebergang von so verschiedenen Lebensbahnen war ein wenig zu rasch, zu jäh; kein Wunder, daß ich mich noch nicht so in Alles finden kann, was mich hier umgiebt, daß es mir ungewohnt, fremd vorkommt.«
»Gewiß, gewiß,« nickte ihm sein Schwager zu, – »aber an das Bessere gewöhnt man sich leicht wieder, und Du sollst einmal sehen, Eduard, wie rasch Du Dich in das Alles hineinleben wirst. In drei, vier Monaten schon wird Dir Deine überseeische Expedition wie ein Traum vorkommen, aus dem Du glücklicher Weise zu einer behaglichen und erfreulichen Wirklichkeit erwacht bist. Schüttle deshalb die trüben Gedanken ab, Kamerad, sie taugen nichts für den sonnigen Tag und besonders nicht für die freundlichen Augen, die uns dort entgegenwinken.«
»Dort? – wo?« sagte Eduard überrascht.
»Der Park hier,« sagte der Graf, »gehört dem alten Comthur Benthausen, der da bei seinen Enkelkindern lebt, und eine liebenswürdigere Familie möchtest Du kaum auf der ganzen weiten Welt finden, als diese hier. Wir dürfen nicht vorbeireiten, denn der alte Herr würde es mir nie vergeben, wenn ich Dich nicht zu ihm gebracht hätte. Wir haben die letzten Monde viel von Dir gesprochen.«
»Aber kommen wir ihnen jetzt gelegen?«
»Denen? Immer, und wenn es Morgens um acht Uhr wäre, denn dann träfen wir die Damen schon auf ihrem Morgenspaziergang im Park – halt, hier rechts – wir reiten hier gleich durch die kleine Pforte.«
Einer der Reitknechte war schon abgesprungen, um das schmale, eiserne Thor zu öffnen, das fast versteckt unter dichten Festons von Epheu und wildem Wein lag, und gleich darauf tauchten sie in den kühlen Schatten eines herrlichen Parkes ein, der mit reizenden Gruppen mächtiger Buchen, Eichen, Tannen, Kiefern und Birken, mit üppigen Grasflächen und von murmelnden Bächen durchschnittenen Gebüschen wechselte.
Auch die schmalen Kieswege waren vortrefflich gehalten und bald, auf einem von diesen hintrabend, erreichten sie das von Blüthenbüschen umgebene Herrenhaus, reich im englischen Styl gebaut, das wie ein kleines Feenschloß hier mitten in dem künstlichen Wald lag und durch seine Staffage noch mehr Feenhaftes erhielt.
Die Familie war gerade bei ihrem Frühstück auf einer Terrasse vor dem Hause; die Damen in leichter Morgentoilette, die Herren in weißen Röcken und Strohhüten; die Terrasse selber wurde von dem Park durch ein offenes gewölbtes, mit rankenden Rosen und Passionsblumen bewachsenes Spalier abgeschlossen, das die kleine dahinter befindliche Gesellschaft wie in dem lebendigen Rahmen eines Bildes zeigte – dazu die aufwartenden Diener in Livree und davor ein paar zahme Stück Wild, die wahrscheinlich gewohnt waren, ihr Frühstück aus den Händen ihrer schönen Pflegerinnen zu erhalten. Eduard zügelte unwillkürlich sein Pferd ein, um den zauberisch lieblichen Anblick noch länger zu genießen, und Graf Galaz hielt an seiner Seite und nickte ihm lächelnd zu.
»Nicht wahr, unser Deutschland ist doch schön?« sagte er freundlich; »ein lieblicheres Bild, als das da vor uns, läßt sich nicht denken, und wenn