Zu Hause angelangt, nahm indessen ein wirtschaftliches und noch dazu unangenehmes Geschäft Georgs Aufmerksamkeit gleich so in Anspruch, daß er eine Zeitlang im Hofe aufgehalten wurde.
Ein Knecht hatte nämlich Hafer veruntreut, denselben den Pferden entzogen und verkauft, der Verwalter ihn aber auf der Tat ertappt, und der Schuldige mußte verhört und bestraft werden. Georg war auch heute nicht in der Stimmung, ihm das Vergehen nachzusehen. Der Bursche wollte allerdings seine Tat erst noch ableugnen und dann wenigstens beschönigen, aber es half ihm nichts. Sein Lohn wurde ihm ausgezahlt und er in derselben Stunde mit seiner Kiste, die er auf dem Rücken nach Schildheim hinunter tragen mußte, vom Hofe fortgejagt.
Zum Mittagessen, das bald nachher aufgetragen wurde, kam die ganze Familie zusammen. Selbst Karl hatte sich wieder eingefunden, denn er wußte, daß er nicht fehlen durfte. Der alte Mühler war aber vollkommen nüchtern geworden und blieb sehr kleinlaut, und kein Wort wurde über dem Essen von den Vorgängen des heutigen Tages erwähnt.
Georginen konnte übrigens nicht entgehen, daß irgend etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse. Als sie ihren Gatten deshalb fragte, schützte dieser allerdings die Angelegenheit mit dem Knechte vor, aber sie ließ sich nicht durch solche Ausrede täuschen; denn wenn das ihn auch verstimmen konnte, hatte es den nämlichen Einfluß doch nicht auch zu gleicher Zeit auf ihren Vater, wie alle übrigen, die gar nicht damit in Verbindung standen, ausgeübt. Da Georg indessen selber nichts weiter darüber äußerte, so vermutete sie, daß er mit ihr allein davon reden wolle, und schwieg ebenfalls, und die Mahlzeit verlief düster und lautlos.
Nach Tische verließ Georg die Tafel, ohne ihr das geringste zu sagen. Er ging mit dem Verwalter in sein Zimmer, das im andern Flügel lag, ihm das Geld für die heutige Ablohnung der Tagelöhner zu überliefern, und der Hauslehrer zog sich ebenfalls zurück, um nach Tische ungestört seine Zigarre zu rauchen. Nur die Gouvernante blieb noch zurück, und diese entfernte Georgine bald mit einem Auftrage.
Als sie das Zimmer verlassen hatte, sah die Frau erst den Vater, dann Karl, der an den Nägeln kauend am Fenster stand, dann Josefinen an, und sagte endlich mit ernster, strenger Stimme, sich ihrer Herrschaft selbst über den Vater bewußt: »Was ist heute vorgefallen? – Ihr habt etwas, das ihr mir verbergt, und ich will es wissen. Was war es, Vater?«
»Nichts – Alfanzerei!« brummte dieser, indem er ebenfalls zum Fenster trat und an den Scheiben trommelte. »Der Junge da, der Karl, ist hinter einem durchgegangenen Pferde dreingesprungen, hat es eingefangen und ist damit fortgeritten, und er kam dazu und wurde böse darüber – das ist alles.«
»Und ich lasse mich nicht mehr mißhandeln!« knirschte jetzt Karl, der nur mit Mühe und Not die vorquellenden Tränen zurückhielt, in verbissener Wut. »Ich bin alt genug, mir mein Brot selber zu verdienen, und brauche mich nicht hier füttern und – peitschen zu lassen, wie einen Hund!«
»Er hat dich geschlagen?« fragte Georgine düster.
»Gepeitscht!« knirschte der Knabe zwischen den Zähnen, »gepeitscht vor der ganzen Schule! Ich bleibe nicht länger hier, denn ich weiß, wenn er es mir noch einmal täte, würde ich ihm mein Messer zwischen die Rippen rennen – dem…«
»Du bleibst,« sagte Georgine mit fester, entschiedener Stimme, »ich selber werde mit Georg reden.«
»Ich begreife gar nicht, warum Vater so böse darüber geworden ist,« meinte Josefine.
»Höre, Georgine,« sagte nach einigem Zögern der alte Mühler, der sich nicht ganz sicher wußte, ob Georg seinen eigenen Luftsprung gesehen hatte oder nicht, »laß das lieber bleiben.«
»Weshalb?«
»Du weißt, Georg ist heftig und…«
»Er hat kein Recht, den Knaben zu schlagen, weil er ein wild gewordenes Pferd einfängt.«
»Nun ja, die Sache war aber auch eigentlich ein bißchen anders. Karl ist auf das Pferd hinauf voltigiert, was ihm Georg streng verboten hatte. Dafür hat er ihm eins mit der Reitpeitsche aufgezählt, das war alles.«
»Alles? – aber ich bin kein Kind mehr und – kein Pferd,« rief Karl, nur noch mehr in seinem Trotze beharrend, da er Georginen auf seiner Seite fand.
»Aber du hattest unrecht,« sagte der Alte, »du weißt, du sollst keine Kunststücke mehr machen.«
»Und wer will es mir wehren?« rief der Knabe, »wenn mich der Mann als Kind Kunststücke machen ließ und mich besonders dazu anlernte, hat er kein Recht, es mir jetzt, da es ihm nicht mehr paßt, zu verwehren. Ich brauche ihn gar nicht, ich kann ohne ihn leben, und das verdammte Lernen habe ich ohnedies satt. Ich bringe nichts in den Kopf, und in der Schule lachen mich die kleinen Jungen aus, weil ich noch zwischen ihnen sitzen muß. Das tue ich auch nicht länger; ich laufe fort.«
»Du bist ein Esel!« sagte der Alte trocken, »wo willst du hin, he?«
»Ueberall hin, ich komme durch,« trotzte aber der Bursche. »Hol's der Böse, so ein Leben hier fortzuführen, halte ich doch nicht aus, und da war's in der freien Reitbahn zehntausend-, millionenmal besser. Ich komme durch.«
»Warte, bis ich mitlaufe,« brummte der Alte, »dann kannst du mit; jetzt aber geh zu deinem Herrn Doktor und lerne deine Geschichten, was du zu lernen hast; das ist gescheiter. Marsch auf mein Zimmer, ich komme selbst gleich nach – da kommt auch schon die Französin wieder. – Nun haltet das Maul, wenn ihr gescheit seid, und macht keinen Skandal aus der Sache, daß er nicht noch einmal böse darüber wird. Komm, Karl, heut abend lassen wir den Hanswurst wieder tanzen, wenn du brav bist.« Und mit diesen Worten den Knaben bei der Hand ergreifend, zog er ihn mit sich aus der Tür.
15
Mühler ging mit dem Knaben den Gang hinunter, seiner eigenen Stube zu, als ihnen Georg begegnete. Der Alte wäre ihm gern ausgewichen, aber es war nicht mehr möglich.
»Mühler,« sagte Georg ruhig, »ich habe ein paar Worte mit Euch zu sprechen. Karl, geh auf dein Zimmer – ich hoffe, die heutige Lektion wird dir ins Gedächtnis zurückgerufen haben, meinen Befehlen künftig genauer nachzukommen. Geh nur jetzt – wir brauchen dich hier nicht« – und er winkte dabei dem Knaben so gebieterisch zu, daß dieser, wenn auch verdrossen, doch scheu dem Befehle Folge leistete. Er wußte recht gut, daß er gehorchen mußte.
Georg sah ihm nach, bis er um die Ecke des Ganges verschwunden war, dann sagte er mit wohl gedämpfter, aber finsterer Stimme zu dem Alten, der sich ihm höchst unbehaglich gegenüber fühlte: »Mühler, Ihr solltet Euch in Eure Seele hinein schämen, solche Streiche zu treiben, wie Ihr heute getan!«
»Ich? ich weiß gar nicht…«
»Schweigt!« befahl ihm aber Georg. »Ihr wißt recht gut, was ich meine, denn ich habe Euch gesehen. Versteht Ihr denn nicht besser, als ich es Euch je erklären könnte, die eigentümliche Lage, in der ich mich hier der Welt gegenüber befinde, und sollte Euch nicht gerade besonders daran liegen, das Verhältnis nicht mutwillig zu stören, ja, zu zerstören, das Euch sowohl wie uns hier Frieden und eine anständige, geachtete Existenz sichert?«
»Ich vergaß mich einmal…«
»Das weiß ich, aber,« und er hob dabei drohend den Finger, »es darf nicht wieder geschehen. Ihr werdet jetzt, wie es steht, Mühe genug haben, Euch die Achtung im Orte wieder zu sichern, die Ihr durch Euer heutiges Betragen vielleicht auf immer verscherzt habt. Erfahren die Leute erst einmal, was Ihr gewesen seid, dann haltet Euch auch versichert, daß kein anständiger Bauer, von den Gutsherren gar nicht zu reden, mehr Gemeinschaft mit Euch wird haben wollen, denn so viel habt Ihr im Leben draußen doch gewiß gelernt, daß man über einen Hanswurst wohl lacht, aber nicht mit ihm verkehrt. Noch könnt Ihr es aber vielleicht wieder gut machen; haltet Euch die Leute fern, so viel es geht, und besonders trinkt nicht mit ihnen. Euer Kopf verträgt die starken Getränke nicht, und einmal halb im Rausch, und Ihr seid Eurer Zunge, Eurer Handlungen nicht mehr mächtig. Aber ich denke, ich habe Euch genug darüber gesagt – nur das noch als Warnung: fällt etwas Aehnliches noch einmal vor, so müßt Ihr den Platz verlassen – darauf gebe ich Euch mein Wort, und wie Georg Bertrand sein Wort niemals brach, so breche auch ich es nicht. Ich dächte, Ihr