Capitel 2
Die Gräfin Olnitzka
Im Anfang hatte Amalie von Seebald genug mit ihrem Pferd und dem neuen Sitz zu thun, auf dem sie sich noch nicht sicher fühlte, und deshalb auch nicht wohl befinden konnte; das Ungewohnte der Bewegung dabei, und das öftere Anstreifen an die überhängenden Büsche nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und ließen sie sich ängstlich dabei an den Knopf des Sattels anhalten, nicht herunterzufallen, wie sie immer noch fürchtete. Das gutmüthige Thier, das Jack Owen auf seinen Jagden schon so abgerichtet hatte ihm wie ein Hund zu folgen, ging aber einen so ruhigen sicheren Schritt, und kümmerte sich so gar nicht um die wild und fröhlich es umbellenden Hunde, nur auf den Weg und die darüber hinliegenden Wurzeln und Stämme achtend, daß sie sich bald daran gewöhnte, und nach kaum halbstündigem Ritt schon fast die bis dahin gefühlte Angst vergaß.
Jack Owen ging dabei meist vor ihr, oft neben ihr her, die Büchse auf der linken Schulter, über deren Kolben die linke Hand herunter hing, die Hunde hinter sich, die jetzt, im wirklichen Walde drin, keinen Lärm mehr machen durften, etwa irgendwo stehendes Wild nicht zu verscheuchen, und sein Blick schweifte dabei ruhig und forschend über alle offene Stellen die sie passirten, haftete oft auf einem, vom Herbst gefärbten Busch, ob sich nicht doch in den gerötheten Blättern die schlanke Gestalt eines Hirsches berge, und suchte dann wieder in dem weichen Boden des Pfads die frisch eingedrückten Fährten des Rothwildes oder Raubzeuges, die herüber und hinüber gewechselt waren.
So hatten sie schweigend einen großen Theil des Wegs zurückgelegt, und Amalie sah schon in jedem helleren Waldesfleck der vor ihnen lag, die so heiß ersehnte Lichtung von ihres Schwagers Farm; aber ein Dickicht wechselte nur mit dem anderen, der Weg, der bis dahin ziemlich breit in den Wald hinein gereicht hatte, wurde zum engen, kaum mehr begangenen Pfad, und noch immer zeigten sich nicht jene Spuren der Civilisation, die unzertrennlich von einer größeren Ansiedlung sind, und wie der dünne Rauch über einer Stadt, die Nähe des schaffenden Treibens thätiger Menschen verrathen. Kein Fuhrwerk hatte diesem Boden hier je seine Räder eingedrückt, keine Axt noch die mächtigen Stämme berührt, und selbst die wenigen Pferdespuren im Pfad waren von Hirsch- und Pantherfährten fast unkenntlich gemacht, und doch näherten sie sich mehr und mehr der Farm des Grafen, doch konnte nur kurze Strecke Waldes mehr, sie von dort trennen. Nur eins war da noch möglich, daß sein ganzer Verkehr mit jener nördlich von ihm gelegenen Stadt bestand, die ihm doch wohl näher liegen mußte als Little Rock, ja vielleicht gar durch einen Strom die Verbindung erleichterte; aber das Herz des armen Mädchens füllte sich dennoch, so sehr sie auch dagegen ankämpfen wollte, mit einer unbestimmten Furcht, und wenn sie der auch keinen Namen zu geben wußte, drängte es sie doch zuletzt, von ihrem wortkargen Führer das unheimliche Gefühl verscheucht zu sehn.
»Es ist so einsam hier und still,« brach sie das Schweigen endlich, »und doch können wir nicht mehr so weit von jener Farm entfernt sein, der dieser Weg zuführen soll.«
»In einer Stunde kann man's von hier aus, wenigstens in dieser Jahreszeit gehn,« sagte der Mann, »aber im Winter ist's weiter, denn die Gräben sind dann mit Wasser gefüllt, und man muß Umwege machen ihrem Schlamme auszuweichen.«
»Daß sich Olnitzki so tief im Walde angesiedelt hat,« sagte die Deutsche, fast mehr zu sich selbst als zu dem Führer redend.
»Ja, s' ist etwas einsam hier, für eine Frau wenigstens,« lautete die Antwort, »aber der Mann fühlt sich desto wohler unter den Bäumen, und mir ist, wenn ich's aufrichtig gestehen soll, nichts fataler auf der Welt, als wenn ich an eine Fenz komme – meine eigene ausgenommen.«
»Wie es Sidonie nur ausgehalten hat.«
»Ist das der Name Euerer Schwester?« frug der Jäger, mit etwas leiserer Stimme, und sein Blick glitt über die Gestalt der Fremden flüchtig aber doch forschend hin.
»Ja – kennt Ihr ihn nicht, als nächster Nachbar?« sagte Amalie rasch und etwas bestürzt.
»Es ist Sitte bei uns, die Frauen nur nach dem Namen ihres Mannes zu nennen,« erwiederte der Jäger, »selbst unsere eigenen; ich kann ihn aber trotzdem doch wohl einmal gehört haben, denn ich kam früher öfter mit Olnitzki zusammen.«
»Und jetzt nicht mehr?« —
»Oh doch ja, dann und wann wenigstens,« sagte der Mann ausweichend; »er ist gerade ebenso wie wir Anderen – eben nicht umgänglicher Natur, und hält seine Büchse und Hunde für die beste Gesellschaft auf der Welt.«
»Aber die arme Frau – sie verkehrt doch wenigstens mit ihren Nachbarn?« frug Amalie.
»Sie? – o ja – ja wohl« – sagte der Jäger – »im letzten Winter war sie zweimal bei uns hüben, und meine Alte auch dort, und wie ihr vor zwei Jahren das Kind krank wurde und dann starb, ist wenigstens eine von den benachbarten Frauen fortwährend und abwechselnd bei ihr gewesen – sie wurde auch damals selber krank und mußte doch eine Pflege haben.«
»Lieber Gott, im letzten Winter,« seufzte Amalie still und kaum hörbar vor sich hin, und der Wald schien ihr ordentlich unheimlich dazu zu rauschen, in seiner öden Einsamkeit. Sie fürchtete auch von dem Augenblick an wirklich eine weitere Frage zu thun, bis ihr Führer selber wieder das Schweigen brach.
»Ihr habt die Schwester seit langer Zeit nicht gesehn?«
»Seit zehn Jahren nicht.«
»Eine lange Zeit, und wir werden alt dabei.«
»Sidonie war noch so jung wie sie die Heimath verließ.«
»Aus glücklichen, ruhigen Verhältnissen vielleicht heraus« sagte der Jäger, und sein Blick schweifte dabei wieder über den engen Waldeshorizont, der ihm da frei lag, nach einem Wilde auszuspähn.
»Aus den glücklichsten,« sagte die Schwester, seufzend der Zeit gedenkend, »lieber Gott, sie hatte Alles was das Herz begehrt, begehren kann; in Überfluß und Reichthum erzogen, wurde sie von den Ältern auf Händen getragen, und die glänzenste Zukunft hätte ihrer im alten Vaterland gelacht.«
»Hm,« sagte der Jäger, seine Büchse etwas weiter zurück über die Schulter werfend, und den Tabackssaft seines Priemchens gegen die nächste Eiche spritzend – »hm – und Mr. Olnitzki hatte auch viel Geld?«
»Der Graf Olnitzki? – nein,« sagte Amalie, »aus Polen flüchtend, wo sein Volk besiegt und zerstreut worden, waren ihm von dem Russischen Czaaren die Güter confiscirt, war ihm selbst die Rückkehr in sein Vaterland abgeschnitten worden, und jenen unglücklichen Tapferen blieb damals nichts übrig, als in der neuen Welt auch eine neue Heimath zu suchen und zu gründen.«
»Aber wie bekam er da so geschwind die reiche Frau?« frug der praktische Amerikaner, halb ungläubig dazu den Kopf schüttelnd.
»Ich weiß nicht ob Sie sich jener Zeit noch erinnern,« sagte, tief aufseufzend wieder Amalie, »weiß auch nicht ob Sie in Amerika damals unsere Gefühle getheilt; aber in Deutschland war es fast, als ob ein neuer lebendiger Geist über das ganze Volk gekommen, und die träumenden Nationen aus ihrem Schlafe aufgerüttelt habe. Ein Schrei für Polen ging durch Deutschlands Gauen, nicht bei den Regierungen zwar, die es mit dem Nordischen Koloß nicht verderben wollten, wohl aber bei den Völkern. Doch statt das Schwert aufzugreifen für den bedrohten, geknechteten Nachbarstaat, begnügten sich die Männer Sammlungen zu veranstalten, den Verwundeten und Beraubten Hülfe zu bringen, die Frauen zupften Charpie und sandten Leinwand und Bandagen in die Lazarethe, und als die letzte Schlacht geschlagen, als die ungeheueren Russischen Heere das kleine Reich mit ihren Massen überschwemmten, als Polen zertreten, vernichtet unter den stampfenden Rossen seiner Feinde lag, und die Wenigen seiner tapferen Krieger, die sich noch bis zur Grenze durchgeschlagen, fremden Boden Hülfe suchend betreten mußten, da war es Deutschland besonders, das ihnen seine Arme öffnete, das sie in seine Familien, an seinen Heerd nahm, die Kranken und Verwundeten pflegte und kräftigte, die Armen unterstützte, die Besiegten aufrichtete, mit Trost und Hoffnung und eigener That. Feste, Bälle