Fräulein von Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, das Leben und Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten doch Viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und dann schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich hatte, keine große Lust zu haben länger zu warten. Sie mußte sich deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der ihr zum ersten Mal in ihrem Leben eine Scene ächt wilder Romantik bot, sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein einer Masse fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern, und sich dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auch nicht im mindesten paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der That eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur Schwärmerei hatte Amalie von Seebald, wie sie auch schon durch ihre ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog sich über alles Andere hinwegzusetzen.
Der Amerikaner brachte indessen, wie überhaupt keine Nation aufmerksamer gegen Damen sein kann als diese, aus der nächsten grocery einen Stuhl heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen, ein junger Bursche trug den benutzten Stuhl in die grocery zurück, der Amerikaner klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und neben hergehend, bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige Geschirr, von den kräftigen Thieren gezogen, verhältnißmäßig rasch den steilen Weg, der auf das obere Ufer führte, hinan. Die Indianer stießen dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten und der Wagen rasselte, während der Mann selber im Fahren aufsprang und sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, den etwas holperigen ausgefahrenen Weg rasch entlang.
Das kleine Nest von Wirthshäusern ließen sie dabei gleich zurück, Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land umschlossen – auch diese hörten endlich auf; hie und da lagen noch dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die, wohl breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die Axt hergestellte Straße, durch den finsteren dichten Urwald hin, der sie in all seiner großartigen Majestät umfing.
So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein von Seebald noch bei dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr verschwunden waren, wie jene mächtigen riesigen Bäume, die gerade zu ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme wie gigantische Säulen um sie her emporreckten, und die prachtvollen Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der Wald Leben gewonnen hätte; als sie die wunderlich geflochtenen und verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen, und von den höchsten Ästen der Bäume niederschaukeln sah, und ihre Phantasie dabei diese dunklen Waldesschatten mit all dem Wild und Raubzeug des weiten Landes dicht belebte, da wußte sie sich vor Glück und Seligkeit kaum zu fassen; die Thränen traten ihr in die Augen, und sie hätte laut aufjubeln mögen vor Lust und Wonne.
Ihr Ziel war jetzt erreicht, wonach sie Jahre lang gestrebt und sich gesehnt; derselbe Wald umfing sie schon, der ihrer Schwester eine Heimath, ein Paradies geschaffen, und nur ein Herz fehlte ihr jetzt, mit dem sie ihre Seligkeit theilen, dem sie das Alles zujauchzen konnte, was ihre Brust in diesem Augenblick erfüllte und erhob.
Mit dem Mann an ihrer Seite, der trocken und gleichgültig auf seinem Platz saß und nur manchmal, wenn der Weg eine kurze Strecke glatt fortging, die Pferde zu rascherem Lauf antrieb, ließ sich aber freilich nicht reden; auch war sie des Englischen kaum mächtig genug, gerade den Gefühlen Worte zu geben, die es sie trieb und drängte auszusprechen. So fuhren sie eine Zeitlang schweigend mit einander hin, wobei der Weg indeß, je weiter sie in das Land hinein kamen, schlechter und sumpfiger wurde, und die ganze Aufmerksamkeit des Wagenführers erforderte. Der großartige, wirklich herrliche Wald dieser Niederungen blieb dabei unverändert, unverkümmert, aber die Bewohner und Besitzer desselben, die Mosquitos, meldeten sich ebenfalls, und wenn sie auch gerade nicht häufig waren und durch die Bewegung des Fahrens schon abgehalten wurden, ließen sie sich doch, wenn der Wagen manchmal auf einen Augenblick hielt und der Fuhrmann absteigen mußte, irgend einen niedergebrochenen Ast aus dem Weg zu räumen, oder die Thiere um eine stehengebliebene Wurzel herumzuführen, hören und fühlen, während die zarte Haut der jungen Dame leicht unter dem scharfen Stich der kleinen scharfsäftigen Thiere anschwoll.
Dadurch wurde übrigens ihr Geist auch wieder in etwas mehr dem Irdischen zugewandt und Fräulein von Seebald begann den Wagenführer nach ihrem Weg, der Länge desselben, den verschiedenen Ansiedlungen oder »Plantagen« (wie sie es nannte, was er aber im Anfang nicht verstand) zu fragen.
Der Bursche war ein einfach schlichtes »Kind des Waldes«, wie Fräulein von Seebald bald genug fand; er wußte auch in der That nicht viel mehr, als was im Bereich seines Waldes und der Landung von Little Rock lag. Allerdings kannte er den Weg genau, jeden Stumpf und Stamm, jede »Clearing«, jedes »improvement« wie die allerersten Niederlassungen genannt werden; war dabei im Stande genau anzugeben, wie viel jeder »Nachbar« den Tag über »Fenzriegel« spalten könne, wie viel Hirsche Johnny Bligh in der letzten »season« erlegt, und wie viel coons7 sie in ihrem letzten crop (Erndte) im Maisfelde mit den Hunden gefangen oder geschossen hätten. Auch die Pferde und Rinder der Nachbarn kannte er persönlich, wußte jeden Flecken an ihnen, jeden Brand anzugeben, zeigte ihr auch den Platz, als sie daran vorbeifuhren, wo im vorigen Jahr der Panther ein junges Füllen erwürgt und beinah auch noch gefressen hätte, wäre er nicht glücklicher Weise (freilich zu spät es vor dem Erwürgen zu bewahren) dazu gekommen, und ging dann speciell in seiner Unterhaltung auf die deutschen Einwanderer über, von denen, wie er meinte, ein »heap« die letzten Jahre herüber gekommen sein müßten, denn am cashriver hätte er zwei gesehen, und nach Little Rock wäre eine ganze Familie gekommen, der Mann, die Frau und drei oder vier Kinder. In Little Rock wären überhaupt eine Masse Deutscher, es wimmelte ordentlich davon – er allein kannte sechs oder sieben, und Charley Fischer sei der fidelste von Allen, und »a monstrous smart hand too!« – ungeheuer schlau und pfiffig – und hätte ihm neulich einmal (vor drei Jahren) einen ganz faulen Western Reserve-Käse aufgehangen – was er ihm aber nicht besonders übel zu nehmen, sondern sich eher darüber zu freuen schien, daß er das fertig gebracht.
Nur von dem »Grafen Olnitzki« wußte er wenig oder gar Nichts zu erzählen; seine »old lady«8 kannte er gar nicht, hatte sie nie gesehn und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der range (eigentlich Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. Old Nitzky wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens a powerful hand (sehr geschickt) mit der Büchse sein, und viele Hirsche und auch schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht »in die Ansiedlungen« gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn besinnen, denn er war ein großer starker Mann und trug »das ganze Gesicht voller Haare.«
Wenn aber der Führer ihr auch keine nähern Nachrichten über die geben konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmüthig. Er brach ihr einen Sassafrasbusch ab, sich damit der dann und wann zu ihnen kommenden Mosquitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, ihr einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen, die dort in Masse wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken, die von manchen Bäumen in schweren blauen Massen niederhingen. Auch die Muscadinebeeren, vor deren häufigen Genuß er sie des kalten Fiebers wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße Papaofrucht. Wie sie dann weiter