Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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aber wenn sie keine Probe hat, da pressirt's immer nich, und nachens schreit se, wenn Jemand kommt. Wer sind Sie denn und was wollen Sie?«

      Die Frage war zu direct gestellt, um ein Mißverstehen möglich zu machen, und da Jeremias den jungen Grafen am Rock zupfte, weil er seinen Namen nicht genannt habe wollte, so erwiderte dieser:

      »Bitte, sagen Sie doch dem Fräulein, Graf Rottack wäre hier, um sich Auskunft in einer Familienangelegenheit zu erbitten – hier, seien Sie so gut und geben Sie der Dame meine Karte. Ich lasse fragen, um welche Zeit ich etwa wieder vorsprechen dürfte, da uns die Dame jetzt doch wahrscheinlich nicht empfangen wird.«

      »Hm,« brummte die Alte, welche nicht die Hälfte von dem verstanden hatte, was ihr der junge Mann sagte, »warten Sie einmal einen Augenblick, ich werde dem Fräule das Ding da hineintragen.«

      Damit machte sie ihnen die Thür vor der Nase zu und ließ die beiden Herren auf dem Vorplatz stehen. Es dauerte aber nur ganz kurze Zeit, so kam sie wieder zurück, öffnete die Thür und sagte: »Sie möchten nur hereintreten, das Fräule kommt gleich,« und mit dem Bewußtsein wahrscheinlich, Alles gethan zu haben, was sie anging, verschwand sie wieder in ihrer Küche, in der sie im Halbdunkel wie ein unheimliches Gespenst herumwirthschaftete.

      Rottack und Jeremias hatten aber kaum, der Einladung folgend, das Zimmer betreten, als sich die Kammerthür ein wenig öffnete und eine Stimme herausrief: »Dürfte ich den Herrn Grafen ersuchen, einen Augenblick Platz zu nehmen – ich komme gleich!« und die Kammerthür flog wieder zu.

      »Da wären wir,« lachte Rottack, indem er Jeremias die Hand auf die Schulter legte. »Wie ist Ihnen jetzt zu Muthe?«

      »Hundeschlecht,« versicherte der kleine Mann flüsternd – »aber das sieht hier ganz nett aus. Gott sei Dank, da ist es ihr doch nicht so schlecht ergangen – ich wollte, es wäre erst vorbei!«

      Dieses Zimmer hier sah allerdings anders aus, wie das gegenüberliegende, und es ließ sich nicht verkennen, daß hier eine Frau ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Große Ordnung herrschte aber hier eben so wenig wie dort, denn fast auf allen Stühlen lagen verschiedene Toilettengegenstände, während auf dem Tisch, neben dem eben erst verlassenen Kaffeegeschirr und einer Tabaksdose, ein paar Spiele Karten zu einer noch nicht vollendeten Patience geordnet waren.

      Dennoch zeigten sich die Spuren sorgender Frauenhand. Überall war ordentlich abgewischt und auf dem Tisch lag eine ziemlich weißgewaschene, gehäkelte Decke. Auch die Vorhänge sahen, wenn auch ziemlich dürftig, doch rein aus, und an der Wand hingen ein paar Abbildungen in Steindruck aus der biblischen Geschichte, wie die schauerliche Caricatur einer Maria Magdalena in Öl gemalt.

      Selbst die Commode war nicht ohne Schmuck und bildete eine Art von Nipptisch, auf dem eine Anzahl bescheidener Porzellanfiguren standen, mit einigen kleinen Statuetten alter, eingetrockneter Chocolade, die vielleicht im vorigen oder vorvorigen Jahre einen Christbaum geziert. Auch eine bildliche Darstellung der heiligen drei Könige in Wachs und in einem Glaskästchen, wie sie das Kind an der Krippe besuchen, stand in der Mitte, und rechts und links davon ein Glasleuchter mit halb abgebrannten Stearinkerzen.

      »Hurrjeh,« flüsterte Jeremias, der indessen auf den Fußspitzen im Zimmer umhergegangen war, um den status quo zu untersuchen, indem er mit zwei Fingern eine Partie brennend rother falscher Locken emporhob – »ob das wohl ein Stück von meiner Frau ist?«

      Felix mußte wirklich an sich halten, um nicht gerade heraus zu lachen, und an Jeremias hinantretend, sagte er leise:

      »Das wäre ein unverkennbares Zeichen von Sympathie, denn so viel ich mich erinnere, trugen Sie früher eine eben solche Perrücke.«

      »Ja, aber – wie ist mir denn,« sagte Jeremias ganz verdutzt, »das – das ist doch ganz unmöglich – meine Frau hatte braune Haare!«

      »Sie haben sich doch nicht etwa im Namen geirrt? Das wäre ein schöner Spaß!« lachte Felix.

      »Gott bewahre – Alles trifft…«

      »Auch der Vorname?«

      »Ja, den habe ich noch gar nicht erfahren können, denn auf dem Zettel steht er nicht mit, aber es ist ja auch gar nicht möglich! es stimmt Alles wie eine Kirchenrechnung, und ich bin ja von Regensburg aus ihrer Spur bis hierher gefolgt.«

      »Dann hilft es nichts, dann müssen wir's abwarten. Da sind wir überdies einmal und können jetzt gar nicht wieder fort, ohne vorher die Dame gesprochen zu haben. Sie macht übrigens lange mit ihrer Toilette.«

      »Ich muß unterthänigst um Entschuldigung bitten!« sagte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihnen, und als sich Beide ordentlich erschreckt umwandten, stand die Dame in dem orangefarbenen Morgenkleide, die Haare jedoch ihrer Papilloten entledigt, auf der Schwelle und fuhr mit einem tiefen Knix fort: »Sie haben mich noch im vollen Negligé überrascht, Herr Graf.«

      Jeremias hatte wieder, wie ein Versinkender, der nach Allem greift, was ihm in den Weg kommt, Rottack's Rockzipfel erwischt und flüsterte ihm mit angstgepreßter Stimme zu: »Das ist sie nicht!«

      Rottack gerieth in die größte Verlegenheit, denn die Dame mußte fast die Worte verstanden haben, und was nun? – »Gnädiges Fräulein!« sagte er stotternd.

      »Oh, bitte – aber wollen die Herren nicht Platz nehmen?« unterbrach ihn, wieder mit einem Knix, der dieses Mal jedenfalls dem »gnädigen« galt, die Dame – »es ist nur bei mir noch nicht aufgeräumt. Wir Künstler sind eigentlich recht nachlässiges Volk.«

      »Gnädiges Fräulein,« nahm aber Rottack noch einmal das Wort, »gestatten Sie uns vielmehr, uns zu entschuldigen, daß wir Sie so unberufen gestört haben – eine ganz eigene Angelegenheit führt uns hierher, über die Sie vielleicht allein im Stande sind, uns Auskunft zu geben.«

      »Aber wollen die Herren denn nicht Platz nehmen? Ich bitte sehr darum!«

      Es war der Einladung nicht länger auszuweichen, und während Rottack einen der Stühle heranschob und sich darauf niederließ, setzte sich Jeremias auf die äußerste Spitze eines andern, daß es ordentlich gefährlich aussah, denn er konnte jeden Augenblick herunterrutschen.

      Die Dame hatte, sich fest in ihren grellfarbenen Morgenrock einhüllend, ihnen gegenüber auf dem Sopha Platz genommen und schien mit der gespanntesten Aufmerksamkeit die Eröffnung zu erwarten.

      Jung war sie nicht mehr – sie mochte wohl im Anfang der Vierzig sein – hübsch war sie gerade auch nicht, und ihr Gesicht ein wenig zu sehr markirt, obgleich sie lebendige Augen und besonders weiße Zähne hatte. Nur ihr Teint war weiß, wie das gewöhnlich bei rothen Haaren der Fall ist, und diese Haare störten auch Rottack besonders, denn er mußte immer wieder unwillkürlich zu den zahllosen, scharf durch die Papilloten gekräuselten Locken aufsehen, die besonders gegen die grelle Orangenfarbe des Überwurfs gar nicht zu ihrem Vortheil abstachen. Jeremias dagegen, der mit dem nämlichen Wohlbefinden seinen Platz auf jeder Armensünderbank eingenommen haben würde, sah gar nichts. Ihm schwamm Alles vor den Augen zu einem rothen, blitzenden, unbestimmten Schein zusammen, und nur des Einen Gefühls war er sich bewußt: Fort möcht' ich!

      »Also in was könnte ich Ihnen Auskunft geben?« sagte Fräulein Bassini endlich, der die Pause etwas zu lange dauerte, indem sie wie unwillkürlich einen Griff nach ihrer Dose machte, die Hand aber wieder erschreckt zurückzog.

      Rottack stak fest – es war eine verwünschte Geschichte, denn er wußte nicht, wie er beginnen sollte, und Jeremias selber that den Mund nicht auf. Er konnte doch die Dame nicht direct fragen, ob sie schon einmal verheirathet gewesen wäre. Etwas mußte aber auch geschehen, denn stumm konnten sie einander nicht gegenüber sitzen bleiben. Mit einem fast gewaltsamen Ansatze sagte er endlich:

      »Haben Sie vielleicht eine Schwester oder Verwandte, die den nämlichen Namen führt, wie Sie, und ebenfalls beim Theater ist?«

      »Nein,« lächelte Fräulein Bassini, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorüber lassend, ihre Zähne zu zeigen, »nicht daß ich wüßte.«

      Es war wieder nichts.

      »Das ist wunderbar,« sagte der junge Graf nach einer Pause; »ich erhielt nämlich vor einiger Zeit einen Auftrag von einem Freund in –