Die alte hölzerne Treppe knarrte entsetzlich, aber sie stiegen auch jetzt die zweite hinan und fanden hier, gerade wie unten, wieder zwei Thüren, ohne daß die Inwohnenden es jedoch der Mühe werth gehalten, ihren Namen außen kund zu geben. Bewohnte Fräulein Bassini die ganze zweite Etage? Jeremias wußte es nicht, und es blieb nichts weiter übrig, als an die erste beste Thür zu klopfen und sich dort zu erkundigen.
Graf Rottack hatte einmal die Leitung übernommen, Jeremias war für den Augenblick vollkommen willenlos, und deshalb, wie er sich nur einen Moment in dem beengten Raum umgesehen, klopfte er auch an die nächste Thür herzhaft an.
»Herein!« rief eine laute Stimme.
Der junge Graf öffnete die Thür – »Können Sie mir vielleicht sagen…«
»Ja wohl – bitte, treten Sie näher,« schrie ihn eine kleine, schmächtige Gestalt an, die in einem mock-türkischen, aber entsetzlich schmutzigen Schlafrock, mit einer langen Pfeife, aus der sie keinen Kanaster rauchte, und in rothen Schlapp-Pantoffeln im Zimmer spazieren ging – »treten Sie nur näher.«
»Sie entschuldigen,« sagte Felix, der die Überzeugung hatte, daß Fräulein Bassini hier nicht wohnen könne.
»Alles in Ordnung, bitte, kommen Sie nur herein, ich kann den verdammten Zug nicht vertragen!« schrie der Türke.
Rottack hätte am liebsten die Thür gleich wieder zugemacht und die andere versucht, welche jedenfalls die richtige war, aber sein Zartgefühl ließ ihn keine Unart begehen – er mochte den Mann nicht beleidigen und war auch wirklich neugierig geworden, einen Blick in das Heiligthum dieses merkwürdigen Menschen zu werfen, aus dem er von da draußen doch nicht klug werden konnte.
Jeremias folgte willenlos, wie ein Opfer, das man zur Schlachtbank führt und das sich in sein Geschick ergeben hat.
»So, das ist recht,« schrie der kleine Mann jetzt wieder, indem er seine Pfeifenspitze gegen sie schwenkte; »ich habe schon den ganzen Morgen auf Sie gewartet, es ist Alles bereit – hier,« fuhr er fort, indem er einen riesigen, fast die halbe Wand einnehmenden Kleiderschrank aufriß und dabei eine etwas sehr getragene Harlequinsjacke und irgend ein anderes phantastisches Maskencostüm hervorzog, das einen furchtbaren Kamphergeruch im Zimmer verbreitete – »die werden ihnen wie angegossen sitzen, fast noch ganz neu, nur höchstens ein- oder zweimal getragen – Graf Ruchofski hatte den Harlequin auf der letzten Maskerade.«
»Aber, mein sehr werther Herr,« lächelte Rottack, der mit dem besten Willen jetzt erst zu Worte kam, »ich zweifle gar nicht an der Güte Ihrer Anzüge, aber…«
»Na, dann stecken Sie sie weg,« sagte der kleine Türke gemüthlich, aber mit einer so lauten Stimme, als ob er über einen Fluß hinüberschriee, indem er die beiden außerdem schon mehr als zerknitterten Gegenstände in ein ziemlich compactes Bündel zusammenrollte, »können sie ja gleich selber mitnehmen, ich habe Niemanden zum Schicken.«
»Wohnt Fräulein Bassini hier in dieser Etage?« fragte jetzt Rottack, der wohl sah, daß er auf keine andere Weise zum Ziele kam.
»Ja, gleich da drüben die Thür!« rief der Mann, indem er, während er die Pfeife mit den Zähnen hielt, das Paket beendete und sich nach einem Bindfaden in der Stube umsah.
»Sie sind wahrscheinlich im Irrthum,« fuhr Rottack jetzt, die Zwischenpause benutzend, fort, »wir brauchen gar keine Masken-Anzüge und sind auch deshalb gar nicht hiehergekommen, wir wollten blos Fräulein Bassini sprechen.«
»Fräulein Bassini?« rief der Türke verdutzt.
»Sie müssen schon entschuldigen, daß wir Sie gestört haben…«
»Ja, aber hatten Sie denn nicht den Harlequin und den Sultan Saladin bestellt?«
»Nicht wir, verehrter Herr,« sagte Rottack freundlich, »ich habe überhaupt noch nie davon gehört, daß Jemand mitten im Sommer eine Maskerade abhalten könnte!«
»Na, das ist aber merkwürdig,« rief der kleine Mann verwundert, indem er das Bündel in Gedanken immer fester zusammenschnürte – »aber die beiden Herren wollten doch heute Morgen zu mir kommen!«
»Jedenfalls jemand Anders – Sie entschuldigen wohl, daß wir Sie gestört haben…«
»Bütte, bütte,« sagte der Mann mit einer Miene, als ob schon der Verdacht einer solchen Vermuthung sein innerstes Ehrgefühl verletze – »das ist aber wirklich merkwürdig – nun, warten Sie, ich will gleich einmal nachsehen, ob der Schlüssel steckt,« und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, warf er das Paket ziemlich rücksichtslos in die Ecke und glitt an Beiden vorüber zur Thür hinaus.
Rottack warf den Blick im Zimmer umher und mußte sich gestehen, in seinem ganzen Leben noch kein tolleres Conglomerat von Kunst und Natur gesehen zu haben, als in diesem Raume.
War der Mann ein Schriftsteller? Eine Unmasse von überall aufgehäuften Broschüren, ganze Schichten von Manuscripten und gedruckten Heften, die Tisch und Boden deckten, schienen das fast zu bestätigen, und über dem Sopha prangten auch auf Gips-Consolen, und aus demselben werthvollen Material gefertigt, rechts und links zwei Büsten von Göthe und Schiller, die letztere bekränzt. Weshalb fehlten aber Beiden die Nasen?
An der einen Thür öffnete ein Waschtisch gastlich seine Klappe, etwas indiscret den ganzen Inhalt verrathend, und mitten im Zimmer stand ein Stiefelknecht, die beiden Hörner wie ein Paar gespitzte Ohren nach dem Fenster zu gerichtet, rechts und links daran aber ein Stiefel, wie der glückliche Besitzer dieses Gemaches sie wahrscheinlich gestern Abend bei später Nachhausekunft ausgezogen hatte.
An den Wänden hingen Bilder von Napoleonischen Schlachten – erbärmliche Lithographien natürlich und jedenfalls Eigenthum des Vermiethers; nur ein Ölgemälde über dem Schreibtisch schien dem Bewohner selber zu gehören, denn es war wahrscheinlich – oder sollte es wenigstens sein – ein Brustbild von ihm selber in »Frack und Asche«, mit einer furchtbaren goldenen Kette, sehr weißer und breiter Cravatte und einer Normalfrisur, auffällig dabei die rechte Hand mit einer Rose hebend, um einen großen goldenen Siegelring zu zeigen.
Rottack hätte sich gern noch länger im Zimmer umgesehen, denn der Mann fing an ihn zu interessiren; aber da der Türke jetzt mit der Nachricht zurückkam oder dieselbe vielmehr in's Zimmer hineinschrie, daß der Schlüssel stecke, so war ihnen jeder Vorwand genommen, sich länger hier aufzuhalten.
Mit einer dankenden Verbeugung empfahlen sie sich; der Eigenthümer des Zimmers, wahrscheinlich doch etwas ärgerlich, daß er seine Ballanzüge nicht los geworden, warf die Thür hinter ihnen heftig in's Schloß, und Graf Rottack schritt jetzt ohne Weiteres auf den nächsten Vorsaal-Eingang zu, wo er etwas schüchtern anklopfte.
Drinnen im Zimmer wurde Musik gemacht. Irgend Jemand spielte Clavier und eine Dame sang dazu – das Klopfen war keinesfalls gehört worden.
Der junge Mann, während Jeremias hülf- und rathlos dabei stand, klopfte etwas stärker, aber mit dem nämlichen Erfolg. Da drinnen wurde weiter gespielt, und da Rottack nicht Lust hatte, noch weitere Zeit mit nutzlosen Anmeldungen zu versäumen, öffnete er die Thür.
Am Clavier saß eine Dame in einem grell orangefarbenen seidenen Morgenrock, den Kopf wie von einem Heiligenschein von einer Unzahl von Papilloten umgeben. Weiter konnte er aber in dem Moment nichts erkennen, denn mit einem ordentlichen Aufkreisch fuhr die überraschte Schöne von ihrem Sitz am Clavier in die Höh' und schoß wie ein orangefarbener Lichtstreif in die nächste Kammer.
»Da haben wir's,« lachte Graf Felix, indem er sich nach Jeremias umdrehte – »bemerkten Sie die Dame?«
»Sie standen ja davor – schreien aber hab ich's gehört!« erwiderte Jeremias, sich den Kopf kratzend.
»Zu wem wollen Sie denn?« fragte in diesem Augenblick eine Art von »Aufwartung«, ein Mittelding zwischen Scheuerfrau und Mädchen für Alles, die gerade von der Arbeit weg aus einer kleinen, dunkeln Küche vortauchte.
»Zu Fräulein Bassini,« sagte Rottack –