Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Hut, der noch ist wie neu,« fügte Veitel schnell hinzu, weil er einen Sturm herannahen sah und bemerkt hatte, daß der Hut auf dem Tische sehr schadhaft war.

      »Scher' dich zum Henker, du Dummkopf,« fuhr ihn der Alte mit einer Ueberlegenheit an, welche Veitel nur von jungen Herren mit großen dänischen Doggen zu ertragen gewohnt war. »Suche dir einen Schulmeister bei der Armenschule.«

      »So ist der Herr kein Schreiber?« frug Itzig gedrückt, aber beharrlich.

      »Nein, du Narr,« brummte der Alte. »Wie konnte ich denken, daß der Ehrenthal in seinem Geschäft einen solchen Strohkopf hat,« fügte er in lautem Monologe hinzu. »Er hält mich für einen Schreiblehrer.«

      »Was sind Sie denn sonst?« frug Itzig gekränkt.

      »Etwas, das dich nichts angeht,« sprach der fremde Herr entschieden, stand mit einem durchbohrenden Blick auf den armen Veitel von seinem Platz auf und begab sich auf den Söller des Hauses. Dort drückte er sich in eine Ecke, wo er aussah wie ein Kleiderbündel, zog ein Actenstück aus der großen Rocktasche und las eifrig darin.

      Veitel stand noch einen Augenblick verdutzt in dem einsamen Zimmer und faßte endlich den Entschluß, sich bei Pinkus Auskunft über den fremden Mann zu holen. Er trat unter einem Vorwande in den Branntweinladen und frug den Wirth mit möglichster Unbefangenheit nach Namen und Geschäft des kleinen Herrn.

      »Ihr kennt ihn nicht?« sprach Pinkus mit ironischem Lächeln, von dem Veitel nicht recht wußte, ob es ihm oder dem Fremden galt. »Nehmt Euch in Acht, daß Ihr diesen Mann nicht mit Schaden kennen lernt. Nach dem Namen fragt ihn selbst, er wird ihn besser wissen als ich.«

      »Wenn Sie mir auch kein Vertrauen schenken, so will ich es doch haben zu Ihnen,« antwortete Veitel und erzählte ihm seine Unterredung mit dem Fremden.

      »Also er hat Euch Unterricht geben wollen?« sagte Pinkus erstaunt und schüttelte seinen dicken Kopf. »Funfzig Thaler sind viel Geld, aber mancher reiche Mann würde geben hundertmal so viel, wenn er wüßte, was der weiß, das will ich Euch sagen. Uebrigens geht's mich nichts an, ob Ihr was lernt und bei wem,« schloß Pinkus grob und ging zu seinen Liqueurflaschen.

      Veitel ging noch verwirrter hinauf, als er herunter gekommen war, und setzte sich wieder grübelnd in seine Ecke, indem er nachdachte, wie man für eine so gewöhnliche Sache, als der Geschäftsstyl ist, so ungewöhnliches Geld fordern könne. Unterdeß war der Wirth heraufgekommen, hatte das Licht auf den Tisch gesetzt und eine einfache Abendkost für den Fremden mitgebracht. Ganz gegen seine Natur war er diesem gegenüber von großer Leutseligkeit, ließ sich von ihm auf den Altan führen und hatte dort im Finstern eine kurze Unterredung, deren Gegenstand, wie Veitel merkte, seine Person war.

      Als Pinkus mit dem Fremden wieder in die Stube trat, sagte er zu Veitel: »Dieser Herr wird einige Wochen hier wohnen und will nicht, daß man darüber spricht. Ihr werdet gegen Niemanden sagen, daß er hier ist, wer Euch auch deswegen ausfragen mag.«

      »Weiß ich doch gar nicht, wer der Herr ist,« sprach Veitel, »wie kann ich Jemandem sagen, daß er hier wohnt?«

      »Sie können sich auf den jungen Menschen verlassen,« bemerkte Pinkus gegen den Fremden, worauf dieser gleichgültig mit dem Kopfe nickte. Der Wirth ließ diesmal das Licht brennend in der Stube zurück und schied mit einem Nachtgruß. Der Herr setzte sich behaglich nieder, aß mit unangenehmem Schmatzen die Abendkost und sah dabei von Zeit zu Zeit auf Veitel, ungefähr wie ein alter Rabe auf das gelbe Küchlein sieht, welches sich mit dem Leichtsinn der Jugend in seine Nähe gewagt hat.

      Während der Alte zwinkernd auf seine Beute sah, fuhr dem jungen Itzig plötzlich der Gedanke durch den Kopf, diese geheimnißvolle Person mit den ungeheuren Forderungen ist vielleicht einer von den Auserwählten, ein Besitzer der Recepte, durch welche ein armer Handelsmann unfehlbar Glück, Gold und alle Güter der Erde erwerben kann. Ihm wurde glühend heiß bei dem Gedanken. Zwar sah der Fremde durchaus nicht reich und glücklich aus, aber war es nicht möglich, daß er den alten Rock nur incognito trug, oder daß er übermäßig geizig war, oder daß er selbst aus irgend einem Grunde von den Recepten keinen Gebrauch machen durfte? Vielleicht waren die funfzig Thaler der Preis für das Geheimniß. Veitel hatte jetzt Weltbildung genug, um einzusehen, daß weder durch eine Salbe, noch durch einen Zauberstein solche Wirkungen hervorgebracht werden, sondern daß Wissenschaft dazu nöthig sei. Er merkte, daß es darauf ankomme, schlauer zu sein als andere Leute, und daß solche Schlauheit auch für den Inhaber nicht ohne Bedenken sei; ja es kam ihm allerdings so vor, als ob man durch die Benutzung derselben in Gefahr gerathe, sich dem Satan zu verschreiben. Aber seine Begier, etwas Näheres zu erfahren, war übermächtig. Seine Hände zitterten wie im Fieber, und sein bleiches Gesicht glühte, als er aus seiner Ecke wieder zu dem Fremden trat und mit großem Eifer sagte: »Ich wollte mir noch erlauben eine Frage zu thun an den Herrn. Ich habe gehört, daß man kann lernen die Kunst, wodurch man Glück hat in allen Geschäften, womit man kann machen jede Art von Kauf und Verkauf zu dem besten Preise. Wenn es giebt eine solche Kunst, wie mich hat versichert einer von unsern Leuten, so wollte ich den Herrn nur fragen, ob das dieselbe Wissenschaft ist, die der Herr mich könnte lehren, wenn er wollte.«

      Der Alte schob den Teller von sich und sah mit außerordentlichem Augenzwinkern auf den Burschen. »Du bist der merkwürdigste Mensch, der mir in praxi vorgekommen. Du bist entweder sehr dumm, oder der abgefeimteste Schauspieler, den ich je gesehen habe.«

      »Nein, ich bin nur dumm, aber ich möchte werden klug,« sagte Veitel Itzig.

      »Ein merkwürdiger Kerl,« bemerkte der alte Herr rücksichtslos und rückte an seiner Brille, um Veitel genau anzusehen, dem bei dem kalten Glanz der Brillengläser sehr unheimlich wurde. Nach langer Prüfung sprach der Alte, indem er eine Gönnermiene annahm: »Was du Kunst nennst, mein Sohn, ist weiter nichts, als die Gesetzkenntniß und die Weisheit, das Gesetz zum eignen Vortheil zu benutzen. Wer das versteht, der wird auf Erden ein großer Mann; es hindert ihn nichts daran, denn er kann nicht gehangen werden.« Bei diesen Worten lachte der Alte in einer Weise, die selbst unserm Veitel einen bänglichen Eindruck machte, obgleich dieser auf die mechanischen Bewegungen der Gesichtsmuskeln sonst nicht viel gab.

      »Diese Kunst, mit den Gesetzen umzugehen,« fuhr der kleine Herr fort, »ist nicht leicht zu lernen, mein Sohn, es gehört lange Uebung dazu und ein anschlägiger Kopf und Entschlossenheit im richtigen Augenblick und vor Allem das, was die Gelehrten Charakter nennen.« Dabei lächelte er wieder.

      Veitel merkte, daß er bei einem wichtigen Punkt seines Lebens angelangt sei, er fuhr mit der Hand in die Jacke nach seiner alten Brieftasche und hielt sie einen Augenblick in der bebenden Hand. Was in diesem Moment durch seine arme Seele fuhr, – und es war nur ein Moment – das waren wilde und schmerzhafte Empfindungen. Schnell wie Blitze zuckten sie durcheinander. Er dachte in diesem Augenblick an seine alte Mutter in Ostrau, ein ehrliches Weib, wie sie ihre goldene Kette verkauft hatte, um ihm die sechs Ducaten in die Ledertasche zu nähen; er sah sie vor sich, wie sie ihn beim Abschiede mit Thränen gebenscht hatte und zu ihm gesagt: »Veitel, es ist eine arge Welt, verdiene dir ehrlich dein Brod, Veitel!« – Er sah seinen grauen Vater vor sich auf dem Todtenbett liegen, wie ihm der weiße Bart herunterhing über den magern Leib – und tief holte er Athem. Auch an die funfzig Thaler dachte er, wie viel Mühe es ihm gekostet hatte, sie im Schacher zu erwerben, wie oft er darum gelaufen war, wie oft man ihn geschmäht, ja als Ueberlästigen mit Schlägen bedroht hatte. Als ihm der letzte Gedanke durch die Seele flog, riß er heftig die Brieftasche aus der Jacke, warf sie auf den Tisch, setzte die geballte Faust darauf und rief mit blitzenden Augen: »Hier ist Geld!« – und während er das aussprach, fieberhaft erregt, in leidenschaftlicher Hast, selbst in diesem Augenblick, fühlte er deutlich, daß er daran sei, etwas Böses zu thun, und er fühlte, wie eine Last sich unsichtbar auf seine Brust senkte. Aber er war entschlossen. Schwerlich hatten die jungen Herren, welche den zudringlichen Judenknaben die Treppe herunterwiesen, daran gedacht, daß ihre höhnenden Worte in der armen verwilderten Menschenseele einen Dämon erwecken würden, der ihnen selbst in spätern Jahren Elend und Verderben heraufbeschwören sollte.

      Nach einigen Stunden war das Licht tief herabgebrannt und bei dem rothen Schein saß in dem wüsten Raume noch immer Veitel mit offenem Munde, glänzenden Augen und gerötheten Wangen dem Vortrage des alten Mannes lauschend. Und der Alte sprach doch