Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
um einen großen Dienst, gehen Sie hinab zu Herrn von Fink und fordern Sie von ihm, daß er mir morgen, in Gegenwart der Herren vom Comtoir, das abbittet, was er von beschimpfenden Ausdrücken gegen mich gebraucht hat.«

      »Das wird er schwerlich thun,« sagte Herr Jordan kopfschüttelnd.

      »Wenn er es nicht thut,« sagte Anton heftig, »so fordern Sie ihn von mir auf Degen oder Pistolen.«

      Wenn vor Herrn Jordan plötzlich aus seiner Tintenflasche ein schwarzer Rauch gestiegen wäre, wenn dieser Rauch sich zu einem fürchterlichen Geiste zusammengeballt hätte, wie in jenem alten Märchen, und wenn dieser Geist die Absicht ausgesprochen hätte, Herrn Jordan sofort zu erdrosseln, so hätte dieser Herr nicht bestürzter dastehen können, als er jetzt unserm Helden gegenüberstand. »Sie sind des Teufels, Wohlfart,« rief er endlich, »Sie wollen sich mit Herrn von Fink duelliren, und er ist ein toller Pistolenschütz, und Sie sind Lehrling und erst seit einem halben Jahr im Geschäft, das ist ja unmöglich!«

      »Ich bin Primaner gewesen, und habe mein Abiturientenexamen gemacht, und wäre jetzt Student, wenn ich nicht vorgezogen hätte, Kaufmann zu werden! – Verwünscht sei das Geschäft, wenn es mich so erniedrigt, daß ich meinen Feind nicht mehr fordern darf. Ich gehe dann noch heut zu Herrn Schröter und erkläre ihm meinen Austritt,« rief Anton mit flammenden Augen.

      Herr Jordan sah mit größtem Erstaunen auf seinen gutmüthigen Schüler, der auf einmal als phantastischer Riese vor ihm umher flackerte. »Seien Sie nur nicht so heftig, lieber Wohlfart,« bat er begütigend, »ich werde zu Fink hinuntergehen, vielleicht läßt sich Alles im Guten ausgleichen.«

      »Ich verlange Abbitte vor dem Comtoir,« rief Anton wieder, »Abbitte oder Satisfaction.«

      Es war wohlthuend, unterdeß die beiden Herren in der Nebenstube zu beobachten. Pix hatte als kluger Feldherr mit einem Ruck seinen Holzkorb in die Nähe der Kammerthür geschoben und saß scheinbar gleichgültig da, nur mit seiner Cigarre beschäftigt, während Herr Specht sich nicht enthalten konnte, das Ohr an die Thüre zu legen. »Sie schießen sich,« flüsterte Herr Specht, entzückt über die großen Empfindungen, welche dieser Streit hervorzurufen versprach. »Passen Sie auf, Pix, es wird ein furchtbares Unglück; wir Alle müssen zum Begräbniß gehen, Keiner darf fehlen. Ich wirke die Erlaubniß aus, daß wir Junggesellen die Leiche tragen dürfen.«

      »Wessen Leiche?« frug Herr Pix verwundert.

      »Wohlfart muß daran glauben,« rief Herr Specht wieder in dumpfem Flüsterton.

      »Unsinn,« sagte Herr Pix, »Sie sind ein Narr!«

      »Ich bin kein Narr, und ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten,« rief Herr Specht wieder flüsternd und nach dem Beispiel Antons entschlossen, sich nichts gefallen zu lassen.

      »Schreien Sie mir nicht so in's Ohr,« sagte Herr Pix unbewegt, »man kann nichts verstehen.« In dem Augenblick öffnete sich die Thür, Herr Specht sprang an ein Fenster und starrte angelegentlich in die finstere Regennacht, während Pix unserm Anton die Hand schüttelte und ihm erklärte, er sei ein tüchtiger Mann und das Provinzialgeschäft sei ganz auf seiner Seite. – Herr Jordan ging zu Fink hinab und kam bald wieder herauf; Herr von Fink war nicht zu Hause. Wahrscheinlich saß der Jokei ahnungslos in irgend einer Weinstube. Anton sagte darauf: »Ich lasse die Sache nicht bis morgen ruhen, ich werde ihm schreiben und den Brief durch den Bedienten auf seinen Tisch legen lassen.«

      »Thun Sie das nicht,« bat Herr Jordan, »Sie sind jetzt zu zornig.«

      »Ich bin sehr ruhig,« erwiederte Anton mit heißen Wangen; »ich werde ihm nur das Nöthige schreiben. Sie, meine Herren, bitte ich, daß Sie über Alles, was Sie hier gehört haben, gegen die Andern schweigen.«

      Das versprachen die Herren. Darauf ging er auf sein Zimmer und schrieb einen Brief, in dem er Herrn von Fink sein Unrecht vorhielt und ihm schließlich die Wahl ließ, ob er durch Schläger oder Pistolen das verletzte Selbstgefühl Antons ausbessern wollte. Der Brief war für einen jungen Gentleman gut genug geschrieben und wurde neben den Wachsstock des Herrn von Fink in dessen Stube niedergelegt, nachdem Herr Specht dem Bedienten noch auf der Treppe eingeschärft hatte, mit Kreide drei große Ausrufungszeichen auf den Tisch zu malen; wahrscheinlich sollten sie die Stelle der Späne vertreten, welche die Boten der heiligen Vehme aus dem Burgthor der Angeklagten zu hauen pflegten. Anton blieb den Rest des Abends auf seinem Zimmer, wo er unruhig auf und ab schritt, bald die Scene der Beleidigung, bald die zu erwartende Scene dramatisch auseinander legte und jede Art von Gefühlen durcharbeitete, welche bei einem armen Jungen vor dem ersten Duell unvermeidlich sind.

      Unterdeß wurde im Zimmer des Herrn Jordan große Sitzung des gesammten Geschäfts gehalten. Da Herr Pix und Herr Specht versprochen hatten, zu schweigen, beschränkten sie sich auf so mysteriöse und finstere Andeutungen, daß bei einem Theil der Herren die Ansicht entstand, ein Mord sei entweder schon vollbracht, oder doch jeden Augenblick zu fürchten, bis endlich Herr Jordan das Wort ergriff: »Da die Differenz doch kein Geheimniß ist, und die Sache uns Alle angeht, so ist es am besten, wenn wir sie unter einander besprechen und uns sämmtlich Mühe geben, die nachtheiligen Folgen zu verhüten. Ich werde aufbleiben, bis Fink zurückkommt, und sogleich mit ihm reden. Unterdeß muß ich Wohlfart das Zeugniß geben, daß er sich so gewandt benommen hat, wie bei einem jungen Mann ohne Erfahrung nur möglich ist.« Alle stimmten eifrig bei. Darauf geriethen der Zollcommis Herr Birnbaum und Herr Specht in eine lebhafte Erörterung über die verschiedenen Arten der Duelle, und Herr Specht behauptete, beim Schießen über das Schnupftuch würden den Duellanten mit einem seidenen Taschentuch die Augen verbunden, und dieselben auf ihren Standorten so lange im Kreise herumgedreht, bis der Kampfrichter mit seinem Stock aufklopfe, worauf ihnen frei stehe, hinzuschießen, wohin sie wollten. Herr Baumann stahl sich zuerst aus der Gesellschaft fort und ging zu Anton, drückte diesem herzlich die Hand und bat ihn dringend, nicht um rauher Worte willen zwei Menschenleben auf das Spiel zu setzen. Nachdem er Abschied genommen hatte, fand Anton auf seinem Tisch ein kleines Exemplar des Neuen Testaments aufgeschlagen und darin durch ein großes Ohr den heiligen Spruch bezeichnet: »Segnet, die euch fluchen.« Anton war gerade nicht in der Stimmung, den Sinn dieser Worte zu befolgen. Aber er setzte sich doch vor das Buch und las darin die Sprüche, welche er als Kind seiner guten Mutter so oft aufgesagt hatte. Er wurde weicher und ruhiger und ging in dieser Stimmung zu Bette.

      Unterdeß drang das Gerücht von einem furchtbaren Ereigniß durch alle Schlüssellöcher, Ritze und Kammern des alten Hauses.

      Sabine war in ihrer Schatzkammer. Dies war ein Raum, unwohnlich für einen Gast, aber für jede Hausfrau ein heimliches, herzerhebendes Zimmer. An den Wänden standen mächtige Schränke von Eichen- und Nußbaumholz mit schöner eingelegter Arbeit, in der Mitte ein großer Tisch mit geschnörkelten Beinen, darum einige alte Lehnstühle. Aus den geöffneten Schränken glänzten im Lampenlicht unzählige Gedecke von Damast, hohe Terrassen von Wäsche, Linnen und bunten Stoffen, Krystallgläser, silberne Pocale, Porcellan und Fayence im Geschmack von mehr als drei Generationen. Die Luft war mit einem kräftigen Duft erfüllt, der aus uraltem Lavendel, Eau de Cologne und frischer Wäsche aufstieg. Hier herrschte Sabine allein. Nur ungern sah sie einen fremden Fuß eintreten; was aus den Schränken genommen wurde und wieder hineinkam, hob sie mit eigenen Händen; nur der treue Diener hatte das Vorrecht, ihr an schweren Tagen zu helfen, und zuweilen Karl Sturm, sein Adjutant, der gewisse rosafarbene Pappkarten zum Zeichnen der Wäsche anfertigte und prachtvolle Zahlen darauf schrieb.

      Heute stand Sabine noch spät vor dem Tisch, der mit weißer Wäsche belastet war; sie suchte die Nummern des feinen Damasts zusammen, zählte und sortirte Tischdecken und Servietten, band große Bündel mit rosa Bändern zusammen und hing die Nummerkarten daran. Zuweilen hielt sie ein Stück näher an das Licht und sah mit Behagen auf die weißen Arabesken, welche die Kunst des Webers hineingewirkt hatte. Da flog ein dunkler Schatten über ihr Antlitz und traurig sah sie auf einige wunderfeine Servietten, in welche zahlreiche kleine Löcher gestochen waren, je drei oder vier in einer Reihe. Endlich rief sie den Bedienten. »Es ist nicht mehr auszuhalten, Franz, auch in No. 24 sind wieder drei Servietten mit der Gabel durchstochen. Einer der Herren sticht in das Tischzeug! Das ist bei uns doch nicht nöthig.«

      »Nein,« sagte der Vertraute kummervoll; »ich selbst habe ja das Silberzeug unter mir, ich weiß am besten, daß