Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Leben Glück und Frieden bringen sollte und jetzt – wenn auch mit zitternder Hand – den Wanderer wieder allein und freundlos hinausgestoßen hatte in dieses Leben.

      Und was wollte er selber jetzt noch hier? Warum spornte er sein Pferd nicht einer andern Gegend zu, nur um sich hier in nutzlosem Gram und Kummer zu verzehren? Er wußte recht gut wie wenig Hoffnung ihm geblieben war, sie je wiederzusehen, aber er hatte auch den Muth nicht sich jetzt schon freiwillig aus ihrer Nähe zu verbannen. So lange er sich noch in dem Bereich des Platzes wußte, in dem er ihr stilles, häusliches Wirken gesehen, ihre liebe Stimme gehört, in ihre treuen Augen geschaut hatte, so lange war es ihm, als ob er noch nicht ganz verlassen sei, als ob sie wiederkehren müsse, um ihr Haupt an seine Schulter zu legen und mit leiser, zitternder Stimme seinen Namen zu nennen.

      Fort, fort mit den Gedanken! – Das bittere Gefühl der Verlassenheit stach ihn wie ein Dolch in's Herz, und sein Pferd herumwerfend, als ob er auch seiner Erinnerung entfliehen könne, wenn er den theuren Platz selber nicht mehr vor sich sah, sprengte er den Weg entlang und sah sich plötzlich seinem alten Bekannten, dem jungen Bauer Köhler gegenüber, in dessen Haus er an jenem Tage ebenfalls eingekehrt war und dem er sogar versprochen hatte, ihn zu besuchen. Lieber Gott, was hatte er nicht Alles vergessen und vergessen müssen in der Zeit!

      Desto besser schien es aber der junge Bauer im Gedächtniß behalten zu haben, denn er erkannte kaum den Reiter, als er ihm auch freundlich entgegenrief:

      »Na, das ist recht daß Sie Wort halten, wenn es auch ein Bißchen lang gedauert hat. Meine Alte wird sich auch freuen, Sie einmal wiederzusehen, denn wir haben noch oft und viel von Ihnen gesprochen. Und wie ist's gegangen in der Colonie?« fuhr er fort, als er zum Pferd trat und Könnern herzlich die Hand schüttelte. »Gut, nicht wahr? Und der Graue sieht auch prächtig aus. Dem ist da unten Nichts abgegangen, wie es scheint. – Aber so steigen Sie doch nur ab; Sie wollen doch wahrhaftig nicht im Sattel sitzen bleiben?«

      Eine Weigerung hätte Nichts geholfen, das sah Könnern recht gut ein. Die Einladung war auch so treuherzig geboten – er hätte dem guten Menschen schon nicht weh' thun mögen, selbst wenn es ihm auch nicht recht gewesen wäre, einmal eine halbe Stunde hier zu plaudern, und seinen eigenen Trübsinn zu vergessen.

      Und wie freundlich wurde Könnern von der lieben jungen Frau empfangen!

      »Das ist gescheidt,« sagte diese, als er das Zimmer betrat und ihr die Hand entgegenreichte – »das ist grundgescheidt von Euch, daß Ihr Euch auch wieder einmal bei uns sehen laßt, und da unten bei den Grafen und Baronen nicht gar so stolz geworden seid. Aber Ihr seht schlecht aus,« setzte sie rasch hinzu und sah ihn forschend an – »gar schlecht seht Ihr aus, blaß und eingefallen, und lange nicht mehr so frisch und munter wie damals, als Ihr zum ersten Mal bei uns war't. Seid Ihr krank gewesen? Der Platz ist doch eigentlich sonst gesund genug?«

      »Krank wohl nicht,« antwortete Könnern ausweichend – »vielleicht der Klimawechsel. Aber was macht Euer kleiner Bursche? Geht's ihm gut?«

      »Da liegt der Schlingel in dem Bettchen drin,« sagte die Frau, mit einem glücklichen Lächeln auf den Liebling zeigend – sie hatte im Nu alles Andere darüber vergessen. »Da liegt er und thut als ob's gar keine Arbeit auf der Welt gäbe, und die Mutter nur zu ihm springen müsse, sobald er die großen Guckaugen und das kleine Mäulchen aufthut.« – »Aber setzt Euch,« fuhr sie rasch fort, und sah sich dabei im Zimmer um – »Ihr werdet hungrig sein nach dem Ritt, und es sieht auch heute Morgen noch so wild bei uns aus – freilich, Besuch hatten wir so früh noch nicht erwartet, und es giebt gar so viel im Hause zu thun, und noch dazu, wenn man so eine kleine Plage dabei hat, die einen geradezu von Allem abhält, was man thun möchte.«

      »Aber Ihr möchtet sie doch nicht missen?«

      »Den Jungen da?« rief die Frau ordentlich erschreckt aus – »da sei Gott vor, daß ich den Buben je wieder missen müßte – ich glaube, ich – aber ich will's auch nicht einmal denken. Was Ihr nur auch für Reden führt!«

      »Na, da setzt Euch her und frühstückt ein Bißchen,« sagte der Mann, »und ich gehe derweil in's Feld hinaus, wo ich 'was zu besorgen habe. Nachher komme ich wieder herein, und dann schwatzen wir noch Eins zusammen.«

      »Dann gehe ich lieber jetzt mit Euch in's Feld,« sagte Könnern, »denn Kaffee habe ich schon getrunken, ehe ich unten wegritt.«

      »Desto besser,« rief der junge Bauer, den das augenscheinlich zu freuen schien, »dann zeig' ich Euch vorher einmal meine Felder draußen – wir haben tüchtig geschafft die Zeit, in der ich da oben bin, und nachher frühstücken wir mit einander. Es schmeckt auch gleich besser, wenn man sich erst ein Bißchen Bewegung gemacht hat.«

      »Jetzt lauft Ihr wieder Alle fort,« sagte die junge Frau, »und ich kann allein bleiben – ist das auch ein Besuch? Aber der kleine Bengel da wird doch bald kommen, dann hab' ich alle Hände voll zu thun, bis dem erst der Schreihals gefüllt ist. – So macht nur daß Ihr wiederkommt. Grüß' Gott, Fremder!«

      Könnern ging schweigend neben dem jungen Mann in den Hof hinaus, sah, wie dieser dort sein Pferd absattelte und in den kleinen Weidegrund jagte, und folgte ihm dann in das Feld.

      »Ihr seid so still heute,« sagte der Mann – »fehlt Euch wirklich Etwas?«

      »Nein,« erwiederte Könnern mit einem wehmüthigen Lächeln – »das Einzige ausgenommen, was Ihr habt und mir kein Arzt der Welt geben kann – eine glückliche Häuslichkeit.«

      »Ei,« lachte der junge Bauer, »dazu hab' ich auch keinen Arzt gebraucht; die macht man sich eben selber.«

      »Wie man's trifft,« seufzte Könnern – »Ihr aber habt das große Loos gezogen mit der Frau.«

      »Sollt's denken,« schmunzelte der junge Bauer vergnügt vor sich hin, »'s ist ein Prachtweibel, und immer bei der Hand, immer guter Laune – ich kann eigentlich gar nicht sagen, wie glücklich ich mit ihr bin. – Und der Junge – ist das nicht ein Prachtkerl – habt Ihr schon einmal einen solchen Jungen gesehen? – Aber der Alten darf ich's nicht merken lassen, daß ich so stolz auf ihn bin, sonst neckte sie mich bis auf's Blut – und das kann sie – das versteht sie aus dem Grunde.«

      Der junge Mann schwatzte noch immer so fort von seinem Familienglück, bis sie schon weit draußen im Feld waren, und Könnern schritt schweigend an seiner Seite dahin und sah im Geist, wie Elise mit dem Vater hinaus in den dunkeln Wald zog – freudlos und allein – sah sie mit wunden Füßen und krank in einer Hütte liegen – sah den Vater über sie gebeugt, der ihr nicht helfen konnte und ihren Kummer, ihre Sorge nur vermehrte, und hielt dabei krampfhaft sein eigenes Herz mit der rechten Hand gefaßt, daß es ihm in Jammer und Weh die arme Brust nicht von einander sprengte.

      Draußen im Feld nahmen seines Führers Gedanken aber eine andere Richtung, denn er hatte auch Freude an seiner Arbeit, die sich ihm trefflich auf dem guten Land belohnte.

      »Da, sehen Sie her,« sagte er, als sie eine dichte Hecke von wildverwachsenen Quittenbäumen durch ein kleines Thor passirt waren – »da habe ich einen Versuch gemacht, und Sorgho1 zu Viehfutter gesteckt – und wie ist das aufgegangen, und wie giebt's aus! Das ist ein famoses Gewächs, das jeder brasilianische Bauer ziehen sollte – und wie leicht ist's zu behandeln! Wie den Mais legen wir ihn in den Boden, drei Spannen im Quadrat etwa, halten das Unkraut weg und den Boden locker, und nach acht Wochen schon schneid' ich ihn zum ersten Mal. Aber er giebt nicht nach. Als ob er sagen wollte: »Nu erst recht!« treibt er noch viel mehr Stengel als vorher, die nach vier oder fünf Wochen schon wieder geschnitten werden können, und dann kommt er in einem ordentlichen Busch aus dem Boden heraus. Mein Vater hat mir versichert, daß er seinen Sorgho schon in Einem Jahr fünfmal geschnitten hätte.«

      »Und verlangt er guten Boden?« fragte Könnern, dem es wohl that, daß der Mann nicht mehr von seiner Familie erzählte.

      »Nicht besonders – leichter Boden thut's, und selbst Hitze und Trockenheit hat dem Zeug Nichts an. Gott weiß, wo es den Saft alle herbekommt. – Und sehen Sie 'mal, was daneben für ein Wälschkorn gestanden hat – was für Stengel – ja, das muß wahr sein, der Boden hier ist eine wahre Pracht, und ich habe ihn merkwürdigerweise da oben viel besser als die im Thal unten;


<p>1</p>

Eine Art Zuckerrohr.