Jetzt endlich konnte er seine Ungeduld nicht länger bezähmen, stand auf, trat hinter den Stuhl der Gräfin und flüsterte:
»Beste Frau Gräfin, glauben Sie nicht, daß es – daß es jetzt etwa Zeit sein dürfte, der Gesellschaft – der Gesellschaft den wichtigen Schritt mitzutheilen? – Wir sind schon beim Dessert.«
»Sie haben Recht,« erwiederte die Gräfin, rasch aufstehend und einen flüchtigen Blick über die Gäste werfend – »es wird in der That Zeit; bitten Sie den Baron darum, er wollte den Toast übernehmen.«
Herr von Pulteleben verneigte sich – es war ihm in der That nicht recht, jetzt erst noch einmal den Baron darum zu bitten, aber es ließ sich Nichts mehr an der Sache thun. Er warf einen Blick nach Helenen hinüber, die das Flüstern bemerkt und dessen Bedeutung errathen haben mochte, denn sie erbleichte sichtbar.
Herr von Pulteleben war aber in diesem Augenblick viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, um das zu bemerken oder zu beachten. Er trat zum Baron und flüsterte diesem einige Worte leise zu.
»Mein lieber junger Freund,« sagte der Baron achselzuckend, »hier unten von der Tafel? Wünschen Sie das wirklich?«
»Ich bitte Sie dringend darum im Namen der Frau Gräfin.«
»Bitte, lieber Baron,« winkte ihm auch die Dame von ihrem Platze zu.
»Hm,« sagte der Baron und wischte sich mit der Serviette den Mund – »hm – es ist – eigentlich gegen meine Grundsätze, aber – wenn Ihnen damit ein Gefallen geschieht, junger Freund« – und er stand dabei langsam von seinem Stuhl auf und legte seine Finger auf den Fuß des vor ihm stehenden, erst gefüllten Glases, während er mit der andern Hand leicht seinen Messerrücken dagegen schlug.
»Meine Herrschaften!«
»Wollen Sie Käse?« fragte Jeremias, der das Anschlagen des Glases gehört hatte und mit dem Käseteller auf den Baron zufuhr.
»Meine Herrschaften!« wiederholte der Baron, indem er Jeremias mit seinem Teller verächtlich den Rücken zukehrte und alle Gäste ihn erwartungsvoll ansahen. »Es ist mir die sehr angenehme und ehrenvolle Pflicht geworden, die Namen zweier junger Leute neben einander zu nennen, die gesonnen sind, hinfüro eben so neben einander durch dieses Leben zu wandern. Ich weiß, daß Sie alle von Herzen in meine Wünsche einstimmen werden, daß ihnen nämlich eben dieses Leben nur Rosen und keine Dornen, nur Sonne und keinen Schatten …«
»Hübsch in Brasilien,« sagte Jeremias halblaut.
»Nur Freuden und keine Leiden bieten möge,« fuhr der Baron fort, »und ich bitte Sie deshalb, mit mir anzustoßen auf das Wohl von Comtesse Helene und Herrn Arno von Pulteleben – Sie leben hoch!«
»Hoch! Hoch!« rief Alles, von den Stühlen aufstehend und die Gläser erhebend und gegen einander stoßend.
»Jetzt ist die Bombe geplatzt,« sagte Jeremias, und sprang an einen Nebentisch, wo er sich ebenfalls ein Glas bis zum Rande mit Rheinwein füllte.
Neben Helenen war Felix von Rottack aufgestanden, und ihr sein Glas entgegenhaltend, sagte er artig, aber kalt:
»Erlauben Sie, Comtesse, daß ich der Erste sei, der Ihnen seinen aufrichtigen Glückwunsch zu Ihrer Verlobung mit Herrn von Pulteleben bringt – es ist ja auch das Einzige, was wir anderen armen Teufel bringen können, die außerdem nur noch den Glücklichen beneiden mögen, daß er die – schönste Blume Santa Clara's pflücken darf.«
Helene, als sie ihr Glas mit dem seinigen berührte, sah scheu zu ihm auf, denn sie fühlte das Bittere im Tone. Jeder Blutstropfen hatte dabei ihr Angesicht verlassen, und ein so tiefer Schmerz lag in diesem Moment in ihren Zügen, daß Felix unwillkürlich davor erschrak und mit leiser, herzlicher Stimme hinzusetzte: »Sein Sie glücklich!«
Herr von Pulteleben mußte um den ganzen Tisch herum, um zu seiner Braut zu gelangen. Er hatte erst auf des Barons Toast noch Etwas erwiedern wollen, aber es ging nicht; der Spectakel war zu groß geworden, und er drängte sich jetzt nur zwischen die Übrigen hinein, um nicht ganz aus dem Weg gesetzt zu sein.
»Das ist ja in der That eine große Überraschung,« sagte die Frau Pastorin, die das Geheimniß schon einige Tage früher als die betreffenden Personen selbst gewußt hatte – »ei, da gratulir' ich ja recht von Herzen und von ganzer Seele und mit ganzem Gemüth, und der Herr gebe seinen reichsten Segen dazu – und was man Ihnen sonst noch alles Gute wünschen kann!«
Helene stieß mit Allen an – sie wußte gar nicht mit wem – sie bemerkte auch kaum, daß ihr Bräutigam sich ihr nahte und verlegen sein Glas mit dem ihrigen berührte; sie hörte nur, wie er flüsterte:
»Meine liebe, liebe Helene – o, daß ich Sie jetzt so nennen darf!«
Der Herr Director Reitschen, der eben sein Glas erhoben hatte, fühlte sich leise am Ellbogen berührt und wandte sich danach. Er sah auch Jeremias mit dem gefüllten Pokal vor sich; ehe er es aber verhindern konnte, stieß der kleine Bursche, ihm freundlich und vertraulich zunickend, mit ihm an und leerte seinen Wein dann auf einen Zug.
Der Baron war ein entsetzter Zeuge dieser Zwischenscene gewesen.
Die Gläser wurden wieder gefüllt, und vielleicht zum Beweis, wie unvorbereitet ihnen Allen diese Nachricht kam, las der Herr Pastor jetzt ein langes Gedicht ab, das er zur Feier dieser »unerwarteten« Gelegenheit verfaßt hatte.
Während sie übrigens standen, zog ihnen Jeremias, der seine besonderen Gründe haben mochte, den Nachtisch nicht zu lange auszudehnen, vorsichtig die Stühle weg, stellte sie in die Ecke und meldete zugleich, daß der Kaffee im andern Zimmer servirt sei. Die Übrigen sahen es auch alle, nur Beckstein, mit seinem etwas unleserlich geschriebenen Gedichte beschäftigt, hatte nicht darauf geachtet, wollte sich nach Beendigung desselben wieder niedersetzen und wäre mitten in die Stube geschlagen, wenn ihn der dicht hinter ihm stehende Rohrland nicht noch gefaßt und gehalten hätte.
Der Kaffee wurde im andern Zimmer servirt, und dort hatte sich Felix wieder von den Übrigen zurückgezogen. Günther, der es bemerkte, trat zu ihm und sagte freundlich:
»Ziehe doch nicht ein so furchtbar grämliches Gesicht, Felix. Siehst ja, bei Gott, aus, als ob wir nicht zu einer Verlobung, sondern viel eher zu einem Begräbniß geladen wären!«
»Es hat auch so etwas Ähnliches,« sagte der junge Mann düster; »aber wahrhaftig, Günther, ich – wollte, ich wäre gar nicht hierher gekommen. Ich fühle, daß ich anfange bitter und vielleicht ungerecht zu werden, und – Andere entgelten lasse, was – möglicher Weise Andere gar nicht verschuldet haben.«
»Du bist und bleibst ein Träumer,« sagte Günther; »aber warte nur; wenn ich Dich erst im Walde draußen habe, will ich Dich schon curiren. Morgen früh um acht Uhr geht's an die Arbeit.«
»Ich wollte, ich wäre schon draußen. Glaubst Du nicht, daß wir uns jetzt empfehlen könnten?«
»Nur noch einen Augenblick; ich muß Etwas mit dem Director besprechen, was mir morgen einen Weg erspart, und habe ihm bis jetzt nicht beikommen können.«
»So eile Dich, mir brennt der Boden unter den Füßen.«
Günther mischte sich wieder unter die Gesellschaft, um des Directors habhaft zu werden, der gerade mit dem Pastor in einer sehr eifrigen Debatte über die Einführung von Futterkräutern in die Colonie verhandelte.
Die Frau Gräfin ging mit Herrn von Pulteleben Arm in Arm im Saale auf und ab, während Jeremias gerade mit dem Kaffee hereingetreten war, und der Baron stand