Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
natürlich in unser aller Interesse, daß diese superklugen Leute recht behalten. Inzwischen wirst du mir wohl beistimmen, wenn ich für meine alte Dame anspannen lasse. Ich habe vor Tisch nämlich dort drüben in Sorquitten noch Verschiedenes anzuordnen. In meiner wenig anziehenden Art, natürlich. Na, mir bleibt wenigstens der Trost, Cousinchen, daß dir über den schnellen Abschied nicht das Herz brechen wird, was?« Damit richtete sich Herr von Stötteritz auf, schüttelte sich, als wenn er in der trockenen Luft von einem Platzregen durchnäßt wäre, und rief schallend über den Hof nach seinem Kutscher.

      Mächtig ausholenden Schrittes suchte er den Hauseingang zu erreichen, um seine Mutter von der bevorstehenden Abfahrt zu unterrichten, jedoch mitten zwischen den Pfosten sah er sich noch einmal zurückgehalten. Dicht neben ihm stand Johanna, und sie griff jetzt rasch nach dem Arm des sie Überragenden, um ihn ein wenig hin und her zu zausen, als ob sie den Unwirschen zur Besinnung zu bringen wünsche.

      »Fedor, du wirst doch wegen einer solch kleinen Meinungsverschiedenheit nicht böse sein?« mahnte sie eindringlich.

      Der Riese sah sie ungewiß von der Seite an, knurrte etwas Unverständliches, aber ihr herzlicher Ton verfehlte nicht den beabsichtigten Eindruck.

      »Fällt mir ja gar nicht ein,« rang er sich noch immer etwas unwillig ab, obwohl ihm dieses verdammte Schuljungengefühl unter ihren Augen nicht recht weichen wollte. »Wieso böse? Habe für solche Geschichten wie Familienfehde oder dergleichen absolut kein Verständnis. Im übrigen bist du ja auch eine ausgewachsene Person, und meine Mutter sagt immer ›aufgenötigte Suppe schmeckt schlecht‹. Also lassen wir's! – He,« rief er laut aus der Tür heraus, »Friedrich, fahr' mal hier vor, ganz dicht ran. Und du, Hans,« wandte er sich in seinem gewöhnlichen Befehlshaberton zu seiner Begleiterin, »laß mal auf der Stelle den Tritt hinsetzen. Meine alte Dame behauptet sonst wieder, sie wäre keine Seiltänzerin. Also allons, Kinder, ein bißchen Musik in die Knochen, und dalli, dalli.«

      IV

      Dicht an der Chaussee, die sich an Maritzken vorüberschlängelte, hart an der Grenze eines hochwogenden, schwer nickenden Weizenfeldes, da gab es einen lauschigen, einen heimlichen Platz. Ein alter, verkrüppelter Kirschbaum senkte hier sein Geäst so niedrig und struppig herab, daß unter seinem Dach kühler, wohltuender Schatten wohnte, selbst wenn um ihn herum das heiße Sonnenlicht in Wogen über die Landstraße fortspülte. Die astumzäunte Rundung war so recht ein Schlupfwinkel, um sich dort verkriechen und zwischen den herniederhängenden Zweigen hindurchblinzeln zu können, auf alles, was sich auf der Landstraße begab. Hier hatte der Rotkopf der Grothe-Marjellen, die kleine Isa, als sie noch kurze Kleider trug, oft wie ein Hund zusammengekauert gelegen, und es war ein herrliches Vergnügen gewesen, wenn sie den vorüberlaufenden Dorfjungen aus ihrem sicheren Versteck heraus kleine Kieselsteinchen gegen die Mützen werfen durfte. Hei, und wie gut sie treffen konnte! Ja, das verstand sie wundervoll. Und so oft eine der plumpen Kopfbedeckungen in den weißen Sand rollte und vom Wind noch überdies wie ein kurbelndes Rad hinweggefegt wurde, dann war unter den Kirschbaumzweigen in früheren Zeiten häufig ein verdecktes Lachen aufgequollen, ein unbestimmbares, schadenfrohes, kaum vernehmliches Jauchzen, das auf Mitleidsempfindungen der versteckten Übeltäterin keine allzu bestimmten Rückschlüsse freigab. Inzwischen war Fräulein Isa jedoch eine junge Dame geworden. Und wenn auch ihre Gewänder noch manchmal wild und zerknittert an der geschmeidigen, gertenhaften Gestalt herabflatterten, und obwohl es dem Rotkopf noch immer keine Sorgen bereitete, sich gelegentlich unter den alten Kirschbaum mit aufgestützten Ellenbogen auf das grüne Wiesengras zu betten, bis die Feuchtigkeit kalt an ihrer Brust zitterte, – seit ein paar Wochen war ihr leider selbst diese harmlose Erfrischung von der ältesten Schwester, die so gar kein Verständnis für derartige Freuden besaß, verkümmert worden. Eines Morgens lehnte nämlich eine grün angestrichene Bretterbank an dem alten Kirschenstamm, und seit dieser unwillkommenen Entdeckung saß Isa Grothe zur heißen Mittagszeit lässig vornübergebeugt auf dem neuen Sitz und ließ ihre braunen Goldaugen gierig auf einem gelben Büchlein in ihrem Schoße ruhen, das sie ihrer sorglosen Schwester Marianne heimlich entwendet. Himmel, da standen ganz absonderlich verirrte Dinge drin, die Fräulein Isa selbstverständlich längst ahnte und billigte, von denen sie jedoch nie geglaubt hätte, daß sie das Blut so angenehm aufpeitschen könnten. Selbst hier draußen auf dem langweiligen Lande.

      Langsam röteten sich die Wangen in dem feinen Gesichtchen, und ab und zu riß das junge Geschöpf halb unbewußt heftig an den herniederhängenden Zweigen herum, als ob sie unwillig sei oder irgend etwas nicht mehr länger erwarten könne. Der Kirschbaum rauschte dann über ihr, und hereinfallende Sonnenstrahlen schossen wie weißglühende Pfeile über das gelbe Buch fort, bis Fräulein Isa gestört mit der Hand nach ihnen schlug.

      Eben zupfte die wohlgepflegte weiße Hand in den Blättern herum, denn die Leserin konnte vor fieberhafter Neugier nicht erwarten, die nächsten Seiten umzuwenden, da knisterte etwas in den Zweigen, ein Schatten fiel dunkel und verdeckend auf das Buch, und die Emporzuckende erkannte mit einem leisen Ruf der Überraschung, wie eine Frauengestalt sich eilfertig von der Seite durch die herabhängenden Äste hindurchdrängte.

      Im nächsten Moment hatte die Kleine zuvörderst das geraubte Buch unter die Bank geworfen.

      »Marianne!«

      »Jawohl, guten Tag, Isa.«

      »Guten Tag. Wie kommst du hierher?«

      »Ich?«

      Die Brust der sonst so unempfindlichen Marianne atmete stark, es schien, als hätte sie einen heftigen Lauf hinter sich. Ja sogar der keck geschnittene enge Lodenrock zeigte Spuren von Gräsern und Kletten, die an ihm hängen geblieben waren. Dazu blitzten die schwarzen Augen, und aus den dunklen Haaren hingen ein paar Löckchen regellos in den Nacken hinab. Hastig stützte sich das schöne Mädchen mit der Rechten auf die Banklehne und beugte sich spähend vor, so daß ihre weiße Leinenbluse beinahe die Wange der Schwester streifte.

      »Isa,« flüsterte sie hastig, »dort hinten kommt jemand, der mich sucht.«

      Jetzt warf auch die Jüngere einen schnellen Blick auf den Feldweg, der hinter dem Kirschbaum quer auf die Landstraße zustrebte, und ganz fern, schon in den tanzenden Sonnennebeln, erkannte sie das gleißende Funkeln einer Uniform.

      »Ich weiß, wer dich sucht,« sagte sie sehr bestimmt, und in den großen Goldaugen schwamm ein Ausdruck, als ob das junge Ding die sonderbare Lage durchaus begriffe.

      »Jawohl, Fritz Harder,« fiel hier Marianne ungeduldig ein, »wenn er dich etwa anreden sollte, dann bitte erzähle nicht, daß du mich gesehen hättest. Kann ich mich darauf verlassen?«

      Auf diese dringende Frage erteilte die Siebzehnjährige keine Antwort. Aber über ihre Wangen ging es wie ein Schauer von Röte und Blässe, und in den weit aufgetanenen Augen schimmerte etwas Ernstes, ja beinahe Ängstliches, was zu dem schnippischen Wesen der frühreifen jungen Dame kaum zu passen schien. Ihre Fäuste ballten sich, und es war ein abschätzender Blick, mit dem sie ihre ältere Schwester, die so völlig ihr Gleichmaß verloren hatte, vom Kopf bis zu den Zehen musterte. Der kleine zuckende Mund jedoch öffnete sich nicht, und so dauerte das unerwartete Schweigen fort.

      »Du hast mich wohl nicht verstanden?« drängte Marianne ungehalten weiter, und indem die Eilfertige den straff herabgestreckten Arm der Jüngeren schüttelte, als wollte sie ihre eigene Gegenwart dadurch deutlicher bekunden, schärfte sie der unwillig sich Reckenden mit heißer Stimme noch einmal ein: »Du wirst also nicht sagen, daß ich hier vorüber ging.« In jähem Übergang preßte Marianne plötzlich ihre Wange gegen die der Kleinen, umfing sie mit beiden Armen, drückte sie an sich und schmeichelte immer noch mit mühsam erkämpftem Atem: »Nicht wahr, mein Liebling, du tust mir den Gefallen? Es ist alles nur ein Scherz, verstehst du? Du wirst mich nicht verraten, nicht?«

      Da wand sich Isa los. »Ich werde gar nichts sagen,« erklärte sie kurz, während sie sich mit einer jugendlich eckigen Bewegung wieder auf die Bank niederließ. »Was gehen mich deine Spielereien an?«

      Und in einem plötzlichen Rache- und Machtgefühl bückte sich der geschmeidige Körper, holte das versteckte Buch hervor und indem sie es recht sichtbarlich ins Sonnenlicht hielt, vertiefte sie sich scheinbar von neuem eifrig in die unterbrochene Lektüre. Marianne aber zuckte geringschätzig die Achsel, als bedaure