Hann Klüth: Roman. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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schrillen Wehlaut – und zog sein glattrasiertes Gesicht in hundert Falten – und alle starrten sie auf Line hin.

      »Aber du liebe Güte, wer hat dir denn so was eingeredet?« stotterte endlich Frau Dörthe.

      Allein, Line befand sich zu sehr in ihrem Recht.

      »Das hat mich oll Kusemann erzählt,« brachte sie rasch hervor und stand beleidigt auf, »und Hann hat es auch gesagt.«

      »Oll Kusemann?« wiederholte Frau Dörthe nun ehrlich empört und dabei ein wenig triumphierend – »Jochen, hast's woll gehört? – Das is ja der oll Lügenlotse hier. – Und Hann? Hann is weiter nichts als ein Dummkopf.«

      »Ja, dumm is er man,« pflichtete Line bei. Dann verzog sie das kirschrote Mündchen zu einem spitzbübischen Lächeln.

      Da wurde das Idyll häßlich unterbrochen.

      Im gleichen Moment vernahmen alle auf dem Schiff so namenloses, tobendes Geheul aus dem Krankenzimmer herabschrillen, daß alle zusammenschreckten und verlegen auf die Planken sahen.

      Als sie wieder aufblickten, lag Line lang auf dem harten Uferboden ausgestreckt, die Stirn auf kleinen Kieselsteinen, und wühlte mit den Fingern in Gras und Erde herum.

      »Was machst du da?«

      »Er soll nich sterben! – soll nich sterben,« raste die Kleine in wütendem Trotz und schleuderte allerlei Steine von sich. – »Wozu muß denn gerade er sterben? – Kann es nich Hann sein?«

      Die Kapitänin sah wieder zu ihrem Gatten empor. Der aber hatte das Kinn auf die Harmonika gelehnt und schien nachzudenken.

      »Lütting, du mußt zu dem lieben Gott bitten,« entschied die Frau endlich überzeugt und nickte dreimal sehr stark mit dem Kopf. »Das ist das einzigste Mittel.«

      Aber bei Line verfing es nicht. Immer erregter schlug sie auf das Bollwerk und schluckte vor Wut und Tränen: »Das hab ich alles schon versucht. Aber es hat mir nichts genützt. Vielleicht weil ich gar nich sein richtiges Kind bin,« setzte sie hinzu, »wie die andern. Ich heiß ja auch nich Line. Ich heiß ja Aline. Und draußen auf dem Bodden, da haben sie mich gefunden.«

      Damit erhob sie sich auf den nackten Knien und zeigte auf die graue Wasserfläche der See hinaus, als ob sie dort draußen etwas Schreckliches und Merkwürdiges zugleich erspähe.

      Seltsam, wie sich dabei die Augen des Kindes veränderten. Etwas Wildes, Dunkelleuchtendes flackerte darin auf. Es war jetzt bereits klar, daß in diesem kleinen Wesen die Phantasie mächtig schaffe und wirke.

      Unvermittelt fuhr sie empor.

      »Malljohann,« schrie sie zu dem Fellbraunen hinauf: »Spiel wieder – ich will eins tanzen.«

      »Was? Jochen, untersteh dich,« – rief Frau Dörthe fassungslos dagegen, »pfui, was für ein Gör – ihr Vater stirbt da oben, und dann will sie so was!«

      »Doch, doch, wenn der liebe Gott mir nicht hilft, dann tanz ich,« schrie Line noch einmal und wirbelte bereits, wie zum Hohn, auf einem Fuße herum.

      Und dann geschah etwas Unvorhergesehenes!

      Malljohann ließ plötzlich mit aller Macht den unterbrochenen Walzer ausklingen. Die Glöcklein klirrten, die Pfeifen brausten, und die Kleine begann sich graziös und sicher herumzudrehen, bis ihr rotes Röckchen um die nackten Beine flatterte und die beiden Schifferjungen begehrlich zu ihr hinüberglotzten. Und immer, wenn sie sich zur Kapitänin wandte, streckte sie drollig die Zunge heraus.

      »Jochen, willst du woll?« tobte diese noch einmal kirschbraun vor Zorn.

      Aber der Mann auf dem Kajütendach winkte mit dem Kopf zu Line herüber, und aus dem sonst so schweigsamen Munde brach ein merkwürdiges Knastern: »Gurr – gurr – Klabautermann.«

      Da erschrak Frau Dörthe und schwieg. Jetzt wußte sie es. Jochen hatte sich ebenfalls für den Seezwerg entschieden. Und Jochen war ein tiefer und gründlicher Geist.

      Und mit heimlichem Schauder sah sie mit an, wie Line sich röter und immer röter tanzte, gerade unter dem Fenster des gequälten, hinsterbenden Lotsen, der von Zeit zu Zeit dazwischenheulte.

      II

      Der Erwartete war gekommen.

      Hann hatte ihn mit der roten Jolle von der Landzunge herübergeholt.

      Es war der Schäfer von Ludwigsburg. Ein Heilkünstler, gegen den alle Professoren drin von der kleinen Universität zu lächerlichen Pfuschern herabsanken.

      Ein Mann im Besitz wunderbarer Naturkräfte und dabei von wirklich frommer Gesinnung.

      Menschen- und Tierarzt zugleich, der durch ein getragenes, feierliches Schweigen überall, wo er erschien, eine direkt priesterliche Stimmung erzeugte.

      Dieser war oben.

      Unten zu ebener Erde, dicht neben der Treppe, die zu dem Schlafzimmer hinaufführte, in einem kahlen Raum, der wie mit Waschblau gefärbt schien, warteten inzwischen die beiden ältesten Söhne des Lotsen, während Line auf der untersten Stufe der Treppe saß und gedankenvoll auf das leise Murmeln lauschte, das seit einiger Zeit aus der Krankenstube herunterquoll.

      Sie stützte den Kopf auf und schüttelte sich leicht wie im frostigen Winde.

      Dort oben trieb der Zauberer nun sein Wesen, denn hexen konnte er, daran zweifelte Line nicht einen Augenblick. Der Lügenlotse, oll Kusemann, hatte ihr ja auch erst neulich in seinem Wetterhäuschen an der See erzählt, wie Schäfer Sturm vor einiger Zeit kurz vor Mitternacht auf dem Moorluker Kirchhof aufgetaucht und dort zwischen allerlei Kreuzen suchend auf- und abgeschritten sei. Vor dem Grabe eines längst verstorbenen Fischers wäre er dann stehen geblieben und hätte einen Zettel auf dessen Hügel gelegt. – Einen Zettel. – »Denk' bloß, Lineken, einen Zettel mit wunderbaren Buchstaben beschrieben.« Der Tote aber sei der alte Glückspeter gewesen, der, solange er lebte, den unheimlichen Fischzug besessen und stets sein Netz mit Hunderten von Heringen ans Tageslicht gefördert habe. – Und richtig – Line zuckte in der Erinnerung förmlich in die Höhe und starrte mit weitgeöffneten Augen vor sich hin – als die Kirchhofsuhr Mitternacht schlug, da habe sich das Grab mit einem Schlag geöffnet und —

      Oben ächzte die Tür und fiel schallend wieder ins Schloß.

      »Tu mir nichts,« rief Line halblaut in ihrem Traum und streckte die Hände aus.

      Aber es war kein Gespenst, das da die Treppe herunterwehte, sondern Hann polterte herab und stieß mit seinem schweren Stiefel gegen ihren Rücken.

      »Au – dummer Junge – nimm dich doch in acht!«

      »O Lining, ich wollt ja nich – ich soll bloß – « damit fiel der fünfzehnjährige, gedrungene Bursche bereits in den lichtblauen Raum hinein und hob vor seinem ältesten Bruder ordentlich bittend die Hände in die Höhe.

      »Was willst du, Hann?«

      »O Paul – Pauling – nich wieder böse sein.«

      »Nein, aber ich soll doch nicht etwa hinaufkommen, solange der da oben ist?«

      »Das nich, aber du sollst – «

      »Was?« unterbrach der junge Theologe ungeduldig.

      »Du sollst mir das Buch geben.«

      »Welches Buch?«

      »Oh, die Bibel, Pauling.«

      »Die Bibel?«

      Für Schäfer Sturm!

      »Was will der mit ihr?«

      »Das darf ich dir nich sagen.«

      Der Student streckte die Hand aus. Wie er so dastand mit seiner mageren Gestalt und dem abgezehrten, verarbeiteten Kopf, hatte er etwas Hartes und Eckiges.

      »Hann – « Rasch und stoßend redete er, gleich einem, der die Sprache nicht recht meistert, und deshalb hatten seine Worte etwas Unbeholfenes, Stammelndes, das zum Herzen drang. »Hann – ich hab' dir nie was getan.«

      »Ne – ne,« schluckte der Junge.

      »Mir kannst