»Gut, Herr Doktor, ich werde mit meinem Gatten sprechen. Was geschehen kann, um Ihnen die gewünschte Auskunft zu geben, soll geschehen.«
Lord Gashford, der englische Premier, hatte sein Kabinett zu einer Besprechung bitten lassen. Die Männer, welche vor dem Lande und dem Parlament die Verantwortung für den gesicherten Fortbestand des britischen Weltreiches trugen, waren im kleinen Konferenzsaal in Downing Street versammelt. Lord Gashford blickte sorgenvoll und sah überarbeitet aus. Er eröffnete die Sitzung mit einem kurzen Überblick über die politische Lage.
»Die Politik Großbritanniens hat seit zwei Jahrhunderten auf dem Grundsatze geruht, Kräfte, die dem Reiche gefährlich werden konnten, gegeneinander zu binden. Das Prinzip des Gleichgewichts, zuerst für Europa erfunden, konnte nach dem Weltkriege erfolgreich auf die überseeischen Mächte angewendet werden. Der Streit zwischen Amerika und Japan setzte uns in die Lage, Afrika von den letzten Überbleibseln europäischer Kolonien zu säubern. Leider haben diese Streitigkeiten mit dem vollkommenen Siege der nordamerikanischen Union geendet. Die Kraft der Union ist nicht mehr durch eine genügende Gegenkraft gebunden.
Das ist die Lage seit dem zweiten Frieden von San Franzisko. Unsere Politik ist bestrebt gewesen, die romanischen Staaten Südamerikas in einen Gegensatz zur nordamerikanischen Union zu bringen. Die Erfolge sind leider nur gering. Unsere Bemühungen, Japan zu stützen, haben bedauerlicherweise beklagenswerte Folgen gehabt. Kanada ist in so enge Beziehungen zur Union getreten, daß es heute nur noch formell zum Reich gehört. Australien steht im Begriff, gleichfalls Anschluß an das Zollgebiet der Vereinigten Staaten zu nehmen. Diese Umwälzungen vollziehen sich mit der Macht elementarer Ereignisse. Wenn die Union weise wäre, ließe sie die Zeit ruhig für sich arbeiten. Aber an ihrer Spitze steht eine Person von unbezähmbarem Ehrgeiz.
Wir müssen stündlich auf den Ausbruch des Krieges gefaßt sein. Wir stehen Erscheinungen gegenüber, die sich in keiner Weise irgendwie vorausberechnen lassen. Ich denke dabei an das Wort eines meiner Vorgänger vom politischen Alkoholismus. In jedem Falle müssen wir jeden Moment in der Lage sein, die Herausforderung anzunehmen und für den Bestand des Reiches zu kämpfen.«
Vincent Rushbrook, der Erste Lord der Admiralität, erhielt das Wort:
»Unsere maritimen Maßnahmen sind in erster Linie darauf gerichtet, den Seeweg nach Indien zu beherrschen. Eine Flotte von achthundert U-Booten liegt tiefgestaffelt auf dem Bogen von Lissabon nach Marokko. Ihre Basis wird durch unsere beiden großen Seefestungen von Gibraltar und Ceuta gebildet. Ihre Vorpostenboote haben auf der Länge von Island fremde U-Boote gesichtet. Seitdem … es sind jetzt drei Tage … sind unsere Boote und die Festungen in höchster Bereitschaft. Zwei Sekunden nach dem Alarm können die Rohre von Gibraltar und Ceuta feuern. Dieser Zustand läßt sich aber nicht monatelang aufrechterhalten. Die Nerven der Besatzungen leiden darunter. Meine Leute wollen lieber heute als morgen kämpfen. In vier Wochen werden sie zerrüttet sein, wenn es nicht zum Schlagen kommt.
Auf der Landenge von Suez liegt eine Flotte von 30 000 Flugzeugen. Ich sehe nicht, wie ein Gegner in das Mittelmeer eindringen könnte.«
Der Premier ergriff von neuem das Wort.
»Es ist gut, wenn die Flotte den Seeweg nach Indien sichert. Aber auch die Beherrschung des Landweges bleibt erwünscht. Warum haben wir Konstantinopel vor 20 Jahren genommen, wenn wir die Straße nicht benutzen? Die gerade Linie geht über Brüssel, Linz und Belgrad nach Konstantinopel.
Sie lieben uns nicht auf dem Kontinent. Der Russe hat leider die irrtümliche Meinung, daß wir an allem seinem Unglück seit 1904 schuld gewesen sind. Der Deutsche wird immer noch von der eigenartigen Idee beherrscht, daß wir vor 40 Jahren nicht für die Heiligkeit der Verträge gegen ihn gekämpft haben. Der Franzose, der Spanier und der Italiener sind verstimmt, weil wir sie aus Afrika entfernt haben.
Ich muß leider sagen, daß wir in den letzten 30 Jahren zu wenig Wert auf die Bildung der öffentlichen Meinung in Europa gelegt haben. Wir haben es nicht ungern gesehen, daß Rußland sich allmählich vom Bolschewismus säuberte. Es war uns bis zu einem gewissen Grade willkommen, daß Deutschland im Bündnis mit dem genesenden Rußland den Versailler Vertrag revidierte.
Wir übersahen dabei, daß durch die Verständigung zwischen Deutschland und Rußland eine Macht geschaffen wurde, die sich im Laufe der Zeit automatisch zu einer Übermacht Frankreich gegenüber entwickeln mußte. Die Folge war die Verständigung zwischen Frankreich und den beiden Oststaaten. Es kam zu der Bildung der deutsch-französischen Industriegemeinschaft.
Vom ersten Tage meiner Amtszeit an habe ich es als meine wichtigste Aufgabe betrachtet, diese Gemeinschaft zu lockern. Wir haben es versucht, den Chauvinismus in den betreffenden Ländern nach Kräften zu fördern. Leider sind die Erfolge nicht sehr bedeutend. Der große Vorteil der Industriegemeinschaft ist zu augenfällig. Immerhin müssen wir in dieser Richtung weiterarbeiten. Ich komme zu dem Ergebnis, daß England moralische Eroberungen auf dem Kontinent machen muß.«
William Chopper, der Presseminister, erbat sich das Wort:
»Für moralische Eroberungen braucht man eine gewisse Zeit. Außerdem … die kontinentale Presse ist in festen Händen. In Afrika und Asien können wir jeden Tag englische Zeitungen gründen. In Deutschland eine deutsche, in Frankreich eine französische Zeitung neu zu schaffen, ist sehr schwer für uns. Wir können nur den englischen Korrespondenten dieser Zeitungen durch unsere eigene Presse bestimmte Ansichten in solcher Weise einimpfen, daß sie dieselben schließlich für eigene und durchaus dem Vorteil des Kontinents dienende Ideen ansehen.«
Lord Gashford sprach weiter:
»Jede feindselige Haltung des Kontinents muß verhindert werden. Wir brauchen die volle Kraft der europäischen Industrie für uns. Sie werden auf dem Kontinent bereit sein, für beide Parteien zu liefern. Auf dem kurzen Wege über den Pol werden die amerikanischen Lastflugschiffe aus Europa an Kriegsmaterial wegschleppen, was sie kaufen können. Das muß verhindert werden. Der Kontinent darf nicht an beide Parteien liefern. Er muß ein Interesse an unserem Siege haben …«
Sir James Morrison, der Erste Lord des Schatzes, fiel seinem Kollegen ins Wort:
»Es gibt eine Möglichkeit … Alle Staaten des Kontinents schleppen die Kette amerikanischer Schulden hinter sich her. Wir müssen ihnen die Annullierung dieser Schulden versprechen. Dann haben sie ein Interesse an unserem Siege. Es wird zu überlegen sein, was sich für diese Versprechen einhandeln läßt. Lieferung von Kriegsmaterial ausschließlich an uns. Durchzugsrecht für unsere Truppen. Wenn möglich direkte Unterstützung. Ich glaube, daß sich viel mit dem Versprechen erreichen läßt …«
Die Verhandlung löste sich in lebhafte Einzelgespräche auf. Der Plan des Finanzministers war einleuchtend. Er war genial und wie alle genialen Sachen verblüffend einfach.
William Chopper übernahm es, die Idee mit der nötigen Vorsicht in die europäische Presse gelangen zu lassen. Es war notwendig, daß von privaten Stellen gleichzeitig in tausend Zeitungen die Möglichkeit, aus der amerikanischen Verschuldung herauszukommen, in Europa ventiliert wurde. Von drei Monaten, die er ursprünglich für die Durchführung dieser Propaganda verlangte, ließ sich der Presseminister auf zehn Tage herunterhandeln.
Lord Gashford sprach:
»Es ist widersinnig, die afrikanischen Rohstoffe und Bodenschätze erst nach England zu schaffen und hier zu verarbeiten. Wir müssen in Afrika eine Kriegsindustrie aus dem Boden stampfen. In der Umgebung der großen Kraftwerke des Sambesi und Kongo. Meine Herren, ich halte es sogar für möglich, daß die britische Regierung bei Kriegsausbruch nach Äquatoria übersiedelt.«
Betretenes Schweigen folgte dieser Mitteilung. Die englische Regierung sollte die britische Insel aufgeben, sollte London verlassen? Das war nach der politischen Tradition etwas ganz Unerhörtes.
Lord Gashford bemerkte es wohl und fühlte sich zu einer Erklärung verpflichtet.
»Es ist unseren Agenten gelungen, einen Plan unserer Gegner aufzudecken. Ich kann ihn nicht anders