»Und warum kamen Sie nicht?«
Lady Diana sagte es mechanisch. Ihre Sinne arbeiteten fieberhaft. Sie fühlte, daß dies alles nur leichtes Geplänkel war. Der Hauptangriff mußte von anderer Seite kommen … Aber woher?
»Warum nicht? … Ein seltsamer Fall hielt mich einige Tage länger fest!«
Er machte eine Pause.
»Bitte, Herr Dr. Glossin, erzählen Sie, wenn es interessant ist.«
»Interessant? … Für die Allgemeinheit am Ende kaum. Wohl aber für die, die es angeht. Wenn ich nicht fürchtete, unangenehme Erinnerungen zu wecken …«
»Wozu die Umschweife, Herr Doktor, bitte …«
Lady Diana wußte, jetzt würde der Schlag erfolgen. Und trotz der Ungewißheit, aus welcher Richtung er kommen würde, klang ihre Stimme ruhig und fest.
»Wenn es der Wunsch Eurer Herrlichkeit ist … nun wohl … Als die berühmte Sängerin Diana Raczinska die Ehe mit dem Sänger Frederic Boyce einging, prophezeiten Eingeweihte ein schnelles Ende dieses im Kunstrausch geschlossenen Bündnisses. Alle, welche die Spieler- und Trinkernatur von Frederic Boyce kannten. Schon nach einem halben Jahr war die Ehe derart zerrüttet, daß die Scheidung eingeleitet wurde, Diana Boyce wartete nur auf den gerichtlichen Spruch, um einen neuen Bund mit Horace Clinton einzugehen …«
»Sie wollten mir eine interessante Geschichte erzählen … und bringen alte Dinge vor, die mir bei Gott zur Genüge bekannt sind.«
»Die kurze Einleitung war notwendig, Mylady. Ich kam an jenem Abend Ihres letzten Auftretens vom Strand in San Franzisko und verirrte mich in dem Häusergewirr des Hafenviertels. Als ich an einer der Schenken vorbeikam, aus der Toben und Brüllen betrunkener Matrosen erklang, öffnete sich plötzlich die Tür. Von rohen Fäusten gestoßen, flog ein Mann die Stufen hinauf und schlug vor meinen Füßen hart auf das Pflaster.
Angewidert von dem häßlichen Auftritt, wollte ich weitergehen. Da sah ich im Laternenschimmer, wie sich eine Blutlache um den Körper des Betrunkenen bildete. Das Blut entströmte einer starken Wunde im Nacken, die wohl von einem Messerstich herrührte.
Nach einigem Suchen fand ich eine Patrouille, die den Verletzten nach der Polizeiwache brachte. Da ich den Unfall teilweise mitangesehen hatte, mußte ich meine Zeugenaussage darüber abgeben. Inzwischen hatte der Polizeiarzt dem Verwundeten einen Notverband angelegt, ihm das Gesicht von Schmutz und Blut befreit. Der Mann war …«
»Wer?«
Lady Diana fühlte das Blut in ihrem Herzen stocken. Sie senkte unwillkürlich das Haupt. Jetzt mußte der Schlag kommen, der …
»… war Frederic Boyce, Ihr totgeglaubter Gatte.«
»Frederic …«
Lady Diana begann zu taumeln und wäre zu Boden gestürzt, hätte Dr. Glossin sie nicht aufgefangen.
»Fassung, Mylady! Um Gottes willen! Ich bin außer mir. Verzeihen Sie mein Ungeschick.«
Er führte die halb Bewußtlose zu einer Bank und nahm neben ihr Platz.
»Frederic … Frederic …«
Stoßweise rangen sich die Worte wieder und wieder von den blassen Lippen.
»Frederic Boyce ist tot, Lady Diana.«
»Tot?« Die Augen der Lady öffneten sich unnatürlich weit. »Sie … sagten … eben …«
»Frederic Boyce starb zwei Stunden später. Der Stich war tödlich.«
Ein tiefes Aufatmen. Der Körper Dianas straffte sich.
»Ist es die Wahrheit?«
Sie schaute den Doktor an, als wolle sie im Innersten seiner Seele lesen.
Der Doktor entnahm seiner Brieftasche ein Papier und überreichte es ihr.
Lady Diana schüttelte den Kopf und ließ das Blatt sinken.
»Was ist es?«
»Es ist eine Bescheinigung jenes Polizeiamtes in Frisko über den am 9. Mai 1950 erfolgten Tod von Frederic Boyce.«
Lady Diana kreuzte die Hände über ihre Brust und legte den Kopf an die Lehne der Bank. So saß sie lange. Das Bild einer weißen Marmorstatue.
»Erzählen Sie weiter, Herr Doktor.« Sie sagte es mit einer Ruhe und Festigkeit, die Dr. Glossin in Erstaunen versetzte.
»Bei dem Toten fand man keine Papiere. Meine Angaben über die Person wurden von der Polizei mit Zweifeln aufgenommen. Hatten doch vor genau zehn Tagen die Zeitungen über den Tod des Sängers Frederic Boyce im städtischen Spital berichtet. Ich blieb bei meiner Behauptung. Nachforschungen wurden angestellt. Sie ergaben, daß der im Hospital Verstorbene nicht der rechtmäßige Besitzer der bei ihm gefundenen Papiere gewesen war. Er hatte sie dem richtigen Eigentümer in der Trunkenheit entwendet. So wurde der 9. Mai als der Todestag von Frederic Boyce festgestellt.«
Dr. Glossin machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte auf Lady Diana abzuwarten. Vergeblich.
Lady Diana bewahrte ihre statuenhafte Ruhe.
Gereizt fuhr Dr. Glossin fort: »Es ergibt sich die eigentümliche Situation, daß Eure Herrlichkeit mit Lord Maitland oder, wie er damals noch hieß … mit Mr. Clinton getraut wurde, während Ihr erster Gatte noch lebte. Nach dem Gesetz kann Ihnen kaum ein Vorwurf gemacht werden, da Sie im Besitz der freilich falschen Sterbeurkunde waren. Aber … die Stimme der öffentlichen Meinung wiegt schwer für Angehörige des Highlife …«
Lauernd wartete der Sprecher auf die Wirkung seiner Worte.
»Sind Sie fertig, Herr Dr. Glossin?«
Glossin nickte stumm. Lady Diana maß ihn mit einem Blick.
»Wieviel verlangen Sie für Ihre Verschwiegenheit?«
Wie von einem Peitschenhieb getroffen fuhr der Doktor empor: »Mir das? … Sie wollen mir Geld anbieten … Hüten Sie sich. Ich vergesse eine Beleidigung niemals.«
Lady Diana nickte gleichmütig.
»Was verlangen Sie sonst, Herr Doktor?«
»Ich bitte nicht weiter in diesem Ton. Ich könnte in Versuchung kommen, das Gespräch abzubrechen … Nicht zu meinem Schaden.«
»Wozu erzählen Sie mir diese Geschichte, Herr Doktor?«
Glossin biß sich wütend auf die Lippen. Er glaubte, seine Schlinge gut gelegt zu haben. Ein gefälschtes Todesattest einer amerikanischen Polizeistation … für Dr. Glossin war die Beschaffung lächerlich einfach gewesen. Und er hatte Lady Diana damit einer wenn auch unabsichtlichen Bigamie überführt. Seine Stellung schien so stark, und trotzdem fühlte er sich in die Enge getrieben.
»Es wird der Tag kommen, Lady Diana, an dem Sie diese Worte bereuen. Der Tag, an dem Sie mir freiwillig die Hand zu einem Bündnis bieten werden. Dann werde ich Sie an den heutigen erinnern.
Heute bitte ich Sie nur um eine einfache Gefälligkeit, die Ihnen keine Mühe bereitet, für mich sehr viel bedeutet.«
Lady Diana schaute sinnend auf ihre schlanken, weißen Hände. Sie zweifelte, ob sie sie jemals dem Doktor Glossin zum Bündnis reichen würde.
Sie hatte in diesem Kampfe gesiegt. Aber innerlich war sie bewegter und erschütterter, als es äußerlich erschien. Wenn sie dem unbequemen Gast mit einer einfachen Gefälligkeit den Mund stopfen konnte, wollte sie es tun.
»Was ist es, Herr Doktor?«
»Ich muß zur Erklärung weit zurückgehen und in die Hände Eurer Herrlichkeit eine Beichte ablegen. Ich war nicht immer amerikanischer Bürger. Im Jahre 1927 lebte ich als britischer Untertan in Mesopotamien. Ein Ingenieur war dort tätig. Er machte eine Erfindung, die dem englischen Reiche gefährlich