»Unglück und Talent, quels titres auf unsere Theilnahme, Monsieur,« sprach die Modistin mit einer pathetischen Gebärde.
Die Frau Oberstlieutenant brauchte nur einige Proben der Kunstfertigkeit Sophie Müllers an Madame Vernon zu schicken, um ihr Mitgefühl für die arme Wittwe zu erwecken. Amélie hatte ihr sogleich geschrieben und sie eingeladen, nach Wien zu kommen. Seit einem halben Jahre war sie da, stellte ihre Begabung und ihren Fleiß ausschließlich in den Dienst des Hauses Vernon und dürfte keinen Grund haben, es zu bereuen. Sie wurde besoldet wie keine zweite. Ihre Verhältnisse müssen sich jetzt schon gebessert haben.
»Müssen sich? Sie wissen nichts Genaues darüber?« fragte Brand.
»Das nicht. Frau von Müller spricht nie von sich. Sie ist sehr stolz, sehr zurückhaltend.« »Jawohl, sehr stolz.« Er beugte sich vor auf dem niederen Fauteuil, den Madame Amélie ihm angewiesen hatte, und wieder mußte sie den forschenden Blick seiner ernsten, grundehrlichen Augen eine ganze Weile hindurch aushalten und that es mit der Unbefangenheit eines vortrefflichen Gewissens. Plötzlich gab sie ihrem Kopfe einen kleinen Ruck, ein muthwilliges Lächeln glitt verschönernd über ihr derbes Gesicht, und sie sprach:
»Ja, ja, Monsieur, ich bin eine gute und brave personne, man kann auf mich zählen.«
Brand verneigte sich: »Gut und brav, ich bin überzeugt. Aber außerdem auch Gedankenleserin. Ich bewundere. Eine echte Künstlerin freilich hat immer etwas Divinatorisches.«
»O Monsieur!« Ihre Augen glänzten vor Freude über diese Schmeichelei: »Vous êtes aussi aimable que célèbre.«
Er lehnte ab; »Loben Sie mich nicht. Ich habe große Schwächen.«
»Zum Beispiel?«
»Unter Anderem eine gewisse Schwäche für Damen-Mode-Artikel,« erwiderte er scherzend. »Ich wäre zum Beispiel neugierig, die Putzgegenstände zu sehen, die Frau Major Sophie von Müller Ihnen eben geschickt hat. Ich möchte diese Putzgegenstände sogar an mich bringen.«
Amélie war erstaunt: »Sind Sie verheirathet?«
»Nicht im Geringsten. Aber ich habe Cousinen und sogar Nichten« …
»Die Brand heißen?« Beinahe wäre der Zusatz: »Brand tout court« ihr entwischt, doch verschluckte sie ihn noch rechtzeitig.
»Brand und anders,« erwiderte Dietrich.
»Anders?« Sie war auf einmal merkwürdig kühl geworden, sie bedauerte, auch nicht über ein Stück im Magazin verfügen zu können, der Bedarf war so groß, der Vorrath so klein, man mußte doch einige Auswahl haben für die älteren, werthen Kunden.
»Ich würde höhere Preise bezahlen als Ihre ältesten, werthesten Kunden,« sagte Dietrich langsam, nachdrücklich, aber auffallend sanft und fast liebreich.
»Bedaure. Ich habe eine große Verehrung für Herrn Rittmeister Brand, aber seine Nichten müssen warten.«
Da ergriff er ihre kleine, harte, bräunliche Hand und führte sie rasch an seine Lippen: »Respekt vor Ihnen Madame! Ihr Verdacht ist ganz unbegründet – Ihre brave Gesinnung steht wie ein Fels. Ich sehe voraus, daß sich eine gute Freundschaft zwischen uns bilden wird.«
Entzückt über seinen Handkuß, aber doch noch etwas unsicher, bat Amélie, ihr zu verzeihen, wenn sie ihm Unrecht gethan habe.
»Ich verzeihe jeder Frau jeden, auch den schnödesten Verdacht gegen jeden Mann in dem einen Punkte,« entgegnete er. »Wir verdienen es nicht besser – im Allgemeinen.«
Seine Worte wirkten wie ein Petroleumguß in glimmendes Feuer. Sie richtete sich auf, sie rückte näher zu ihm und brach flammend und hochathmend in einen Hymnus des Lobes aus. Rittmeister Brand war mehr als liebenswürdig und berühmt, er war einzig. Er kannte sein Geschlecht. O, und sie ebenfalls, wenn auch nur in einem Exemplar, in dem freilich die Fehlerhaftigkeit de tout le genre masculin vertreten war. O, wenn er ahnen könnte! wenn er wüßte …
Ein diskretes Klopfen an der Thür unterbrach sie.
Fräulein Julie zeigte sich, sie trug ein Karton unter dem Arme und meldete, die Fürstin A. habe sich für den Nachmittag ansagen lassen und da mußte Madame doch bestimmen, ob die heutige Sendung Sophie Müllers sogleich oder erst zuletzt vorgezeigt werden solle. Mit zierlichst gerundeten Handbewegungen entnahm sie dem eleganten Behältnisse nach einander vier Hüte und stellte sie auf Haubenstöckchen vor die Gebieterin hin:
Nein, das waren wieder Sachen! Sachen! Nicht eines dieser »Huterln« würde auch nur einen Tag alt werden im Salon. Die Fürstin A. würde gewiß zwei Stück nehmen und Prinzessin B. die andern zwei; sie waren wie geboren für die beiden Damen, und nur auf ihren Häuptern wollte Fräulein Julie sie sehen. Der Baronin C. dürften sie gar nicht vor Augen kommen, die kauft sonst den wirklichen Damen alle vier auf einmal weg.
Amélie prüfte jeden einzelnen Hut genau: »Ja, Madame Müller ist erstaunlich, sie übertrifft sich bei jeder neuen Leistung. Was für Ideen sie hat! Sehen Sie nur, Mr. Brand, wie die Aigrette auf diesem Spitzenhut placirt ist. Welche Grazie und welcher Geschmack in der Wahl der Farben, eine hebt die andere, und keine schlägt die andere. Den Hut verkaufen wir als Modell.«
»So schön! so schön!« fiel Julie ein, »und diese Nettigkeit! Alles wie aus dem Ei geschält.«
Brand blieb stumm und betrachtete die Hüte mit tief innerlichster Rührung. Dieses schimmernde, phantastische, kostbare Zeug hat der Mangel geschaffen, die Armuth hat es gemacht für den übermüthigsten Luxus. Die Schönheit dieses Zeuges ist wie Hauch, einige Regentropfen vernichten sie. Und dafür den Schlaf der Nächte, das Licht der Augen … Dafür!
Wieder wurde geklopft und angezeigt, daß der Wagen der Fürstin vorgefahren sei. Fräulein Julie raffte hastig ihre Waaren zusammen und eilte in den Salon.
Madame Amélie und Brand waren zugleich aufgestanden. Er verabschiedete sich sehr bewegt und sagte: »Der Wittwe meines Freundes muß geholfen werden. Helfen Sie mir helfen. Über das wie müssen wir uns berathen. Wann darf ich wiederkommen?«
»Kommen Sie morgen,« sprach sie huldvoll.
IX
Am selben Nachmittage lief Peter zu seiner Magdalena hinüber. Er hatte es sehr eilig, blieb aber doch einen Augenblick in Bewunderung vor dem breiten »hauchrein« geputzten Auslagenfenster des Ladens stehen. Wie köstlich sah der heute wieder aus, in seinem Reisig- und Blumenschmuck! Ein zierliches Gärtlein, in dem Schinken, geräucherte Zungen und Fische und allerhand Pasteten wuchsen. Auf der Marmorplatte im Fenster erhoben sich zwischen üppigen Hortensienstöckchen die appetitlichsten Wurstpyramiden, schimmerten rothe und gelbe Aspicrotunden. Hinter der frischlackirten Tafel, neben der großen Wage, deren Schüsseln wie Gold glänzten, prangte sie, die Herrin, in ihrem unverwüstlich jugendlichen Flor. Ihr Häubchen schien mit Schneeflocken garnirt, ihr kurzärmeliges Kleid und ihre Wangen hatten die selbe Centifolienrosenfarbe. Der Latz der weißen, mit einem Spitzenstreifen besetzten Schürze bedeckte die mächtige Brust, warf nicht eine Falte, hatte nicht das kleinste Flecklein. Frau Magdalena zerlegte eben mit spielender Meisterschaft ein junges, fettes Huhn.
Ein Herr, der vorüberging, warf einen Blick in den Laden, lächelte und sagte: »Zum Hineinbeißen!«
Peter sah ihn unwirsch an; er wußte nicht, ob das Huhn gemeint sei oder die Frau, rasch trat er ein und befahl ihr, verdrießlich wie Einer, der gerade einen kleinen Anfall von Eifersucht gehabt hat, das Huhn auf einem Teller anzurichten.
»Das thu’ ich ohnehin«, sagte sie, »es gehört für den Hofrath im zweiten Stock.«
Peter schüttelte den Kopf: »Wird nicht gehen: dem Hofrath giebst ein anderes, das da nehm’ ich gleich mit für meinen Herrn Rittmeister, der heute vergessen hat, ins Gasthaus zu gehen.«
»Was? Vergessen! Der was vergessen, das ist ja wie wenn die Uhr am Stephansthurm stehen geblieben wär.« Sie hatte das Huhn schon auf ein Schüsselchen gelegt, umgab es mit Rauten aus Aspic, verzierte es geschmackvoll mit kleinen Bouquets aus Petersilie, stellte das Ganze auf