»Windig war dein Nachtlager unter freiem Himmel,« begann der Fremde, »deine Esche gab uns Schutz vor dem Sturm, nicht vor dem Wasser der Wolken. Bist du der Kunst mächtig, ein Feuer auf dem nassen Boden zu entzünden, so würdest du meinem Knaben und dir selbst guten Dienst leisten; wo nicht, so laß uns aufbrechen, damit Wärme in die Glieder meines Gefährten komme.«
»Es ist weite Tagfahrt bis in den Bergwald der Thüringe,« versetzte der Führer, »und Zeitverlust möchte Unheil schaffen.« Er befühlte neugierig den Mantel des Fremden. »Du bist doch naß,« setzte er frohlockend hinzu, »auch dich trifft der Regen.«
»Wenn Gott will«, antwortete der andere.
Schnell rüsteten die Männer den Aufbruch, der Fremde holte den Ledersack unter der Baumwurzel hervor und knüpfte die Riemen sorglich an den Sattel des Rosses, das der Jüngling unterdes aus dem Futtersack fressen ließ, dann neigten sich beide noch einmal an dem Holzkreuz und sprachen den Reisesegen. Ingram führte über den Wall und die Grabentiefe in den Bergwald. Heut ritt er schneller als am letzten Tage, aber sein scharfer Blick prüfte wieder jeden Busch und Stein. So oft sie aus dem Wald in ein Wiesental kamen, gab er den Fremden ein Zeichen, zurückzubleiben, und winkte nach einer Weile mit gehobener Hand, ihm zu folgen. Mühselig war der Weg über Baumwurzeln und durch das Sumpfwasser, welches sich an tiefen Stellen des Waldes gesammelt hatte, dann nahm er wohl selbst die Rosse beim Zügel und wies dem Jüngling die trittfesten Stellen. Er war schweigsam wie gestern, aber er war mehr um die Reisenden besorgt. Als sie einmal von der Höhe in ein weites Tal ritten, sagte er: »Hier müssen wir durch freies Land, hört ihr mich Hara rufen, dann wendet so schnell euch die Rosse tragen zum Walde zurück, vielleicht, daß euch die Flucht gelingt.«
Der Fremde lächelte. »Sei ohne Sorge um uns und denke an das eigene Heil.«
»Treibt das Pferd, daß es springe«, mahnte der Führer.
Als sie wieder im Walde dahinritten, begann der Fremde dankbar: »Gutherzig erweisest du dich, und als treu rühmt man deines Volkes Art.«
»Der Thüring ist fest in Liebe und Haß«, sagte der Führer.
»Auch sein Haß ist nicht der eines hinterlistigen Mannes«, versetzte der Fremde lächelnd. »Nicht geradeaus nach Norden geht der Pfad, den du uns führst.«
»Wer Kampf vermeiden will, muß sich wenden, wie der Fuchs, wenn die Hunde bellen. Sieh dort den fernen Feuerschein,« er wies mit der Hand durch die Stämme, »was dort brennt, ist ein Hof.«
»Vielleicht tat‘s der Wetterschlag.«
»Die Röte stieg auf in stiller Nacht.«
Der Fremde sah finster nach dem schwachen Licht hinüber, das am Rand des Horizontes aus der Dämmerung blinkte.
»Du kennst den Hofherrn«, fragte der Fremde.
»Es ist ein Franke,« versetzte der Thüring kalt, »sein Großvater kam weit von Westen her in das Land.«
»Sieht der Thüring ruhig zu, wenn sein Landsmann erschlagen wird?«
»Frage den großen Herrn der Franken und nicht mich, weshalb er seine Volksgenossen von Fremden erschlagen läßt«, rief der Führer. »Einst waren wir Thüringe ein siegreiches Volk, da brachen die Franken ins Land, mit ihnen die Sachsen und Angeln, unsere Krieger fielen auf der Walstatt, und die Fremden teilten sich in die Fluren der Landgenossen. Sie sagen, daß damals der Mehrteil unserer Krieger den Pfad des Todes wandelte. Jetzt sitzt über uns ein Sendbote des fränkischen Königs, er ruft uns zu den Waffen, wenn es ihm gefällt. Ich sah, wie der letzte durch die Wenden erschlagen wurde, seitdem sind wir Waldleute schutzlos, und unsere Alten schlossen Frieden mit den Feinden, frage mich nicht, um welchen Preis, alljährlich sehe ich die Klauen unserer Herdentiere in das Slawenland gehen, aber wenige herauskommen.«
»Auch du trägst Speer und Schwert«, unterbrach ihn der Fremde hart.
»Willst du versuchen, ob sie schneiden?« brach der Thüring los. Er riß seine Jacke auf und wies auf lange rote Narben. »Ich meine, mehr habe ich gegeben als empfangen. Doch es bringt wenig Ehre,« murmelte er, »sich gegen einen Waffenlosen zu rühmen.«
»In guter Meinung rede ich«, begütete der Fremde. »Ich meine, ihr habt doch viele Rosse geschlachtet, denen zu Ehren, die ihr als Götter rühmt und die ich Unholde nenne, und ich fürchte, wohl noch anderes Blut ist geflossen vom Opferstein, noch greulicher dem Gott, dem ich diene, und doch waren eure Götter zu schwach, euch Sieg zu gewähren gegen die Pfeile der Wenden. Nicht für weise halte ich den Mann, der sich auf einen Rohrhalm stützt, wenn ihm die Knie wanken.«
»Der Gott der Schlachten wägt die Lose, wie es ihn gutdünkt, er spendet Sieg, wem er will«, versetzte der Führer.
»Töricht ist deine Rede, wenn ich recht berichtet bin. Denn andere Götter sind es, denen die Wenden opfern, und wenn sie die Leute aus euren Dörfern heimwärts treiben, dann singen sie, daß ihr Gott stärker ist als der eure.«
»Gibt der Christengott Sieg seinen Bekennern? Ich sah doch manchen meiner Landsleute, der das Zeichen des Kreuzes machte, erschlagen auf der Walstatt.«
»Nicht jeder, der das Kreuz schlägt, ist ein Krieger des ewigen Gottes«, antwortete der Fremde nachdrücklich. »Wer Sieg erfleht von dem großen Himmelsherrn, der muß vorher sein eigenes Leben würdig machen der Gotteshilfe, treu leben nach Gottes Geboten und jede niedere Tat meiden. Hoch ist und schwer der Dienst, aber herrlich der Lohn, hier Sieg und Freude, und Glück im Himmel. Und ich sage dir, nicht eher wird euer Volk der Fremden mächtig werden, als bis die Kreuzfahne vor euch zieht und jeder von euch Herz und Gedanken geheiliget hat dem großen Gott der Christen.«
»Lehre auch das den König der Franken oder wer sonst dort gebietet. Denn wir hören, daß der König durch den Christenglauben zu einem Mönch verdorben ist und daß einer seiner Helden die Lande regiert.«
Der Führer wandte sich ab, der Fremde aber sprach zu seinem Begleiter: »Du hörst seine Worte. Der Thüring haßt den Franken und beide den Sachsen, ein Stamm vertilgt den anderen, und die Ehre ihrer Helden ist, Männerblut zu vergießen und das wehrlose Geschlecht fortzutreiben, damit sie ihre Lust an ihm büßen und seine Rücken gebrauchen als Schemel für ihre Füße. Seit ich ein Knabe war in fernem Land, sah ich die Menschen wilde Frevel üben, Rauben und Töten war der Höllenschrei, der aus hunderttausend Kehlen kam. Wahrlich, der Erdgarten ist zu einer Wildnis geworden, überall Wustung und zertrümmerter Bau früherer Geschlechter, wie ein Rudel Wölfe bellen, die noch leben in der Einöde. Und wo noch ein Volk männerreich auf dem Boden haust, den es sich durch Brand und Mord gewann, da leben die Sieger zuchtlos, stets gierig nach Goldschatz und Fleischeslust. Gänzlich verderbt hat der üble Teufel dies Geschlecht, das er besitzt, und doch verstopfen sie die Ohren gegen die Botschaft der Gnade, auch wenn sie das Kreuz schlagen und sich Christen nennen. Keine Rettung gibt es für die, welche nach Gottes Ebenbild aufrecht gehen, als die eine, daß sie alle die harten Nacken beugen dem einen Herrn, von dem geschrieben steht: sanft ist mein Joch.«
In der Landschaft, welche sie jetzt betraten, lagen in den Tälern oder auf halber Höhe der Berge, wo ein kräftiger Quell aus dem Boden rann, hie und da Dörfer und einzelne Höfe fränkischer Ansiedler, die meisten Höfe klein, die Häuser zerfallen, notdürftig geflickt, daneben oft leere Brandstätten. Jeder Hof und jedes Dorf waren umwallt, aber auch Wall und Gräben waren verfallen und zerrissen. Nur wenig Leute sahen sie auf dem Felde, in den Dörfern rannten die Kinder und Frauen an den Hofzaun und starrten den Reisenden nach; stolz grüßte der Führer, und der achtungsvolle Gegengruß zeigte, daß er den Leuten für einen ansehnlichen Mann galt. Zuweilen war am Hausgiebel über dem Zeichen des Besitzers ein Kreuz gemalt, dann segnete der Reisende die Bewohner an der Tür mit dem Christengruß, erstaunt vernahmen ihn die Leute und eilten auf die Reiter zu. Aber der Führer trieb hastig vorwärts und im Trabe der Rosse verklangen die Zurufe und Fragen. Wieder kamen sie an ein Dorf, ohne Zaun standen die hohen Strohdächer, welche fast bis zum Boden reichten, selbst die Fliederbäume fehlten,