Manfredo log. Er dachte, daß sein Oheim ihn vielleicht doch noch retten könne, wenn es ihm gelang, seine politische Aufgabe zu erfüllen. Sternau durchschaute ihn, darum sagte er:
»Glaube nicht, daß du mich betrügst. Je weniger aufrichtig du bist, desto schlimmer wird dein Los. Was will dein Oheim beim Kaiser?« – »Er will ihn abhalten, Mexiko zu verlassen.«
– »Den Grund weiß ich bereits. Wer ist der dicke Mensch, mit dem du heute abend gesprochen hast?«
Manfredo erschrak. Also auch das war verraten.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er. – »Man empfängt niemand bei sich, den man nicht kennt.« – »Ich kenne ihn wirklich nicht. Er kommt zuweilen zum Oheim, um ihm Befehle zu bringen.«
– »Von wem?« – »Von der geheimen Regierung.« – »Aus welchen Personen besteht diese?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wo hat sie ihren Sitz?« – »Auch das ist mir unbekannt.« – »Hm! Empfängt dein Oheim geheime Papiere?«
Manfredo zögerte mit der Antwort.
»Wenn du nicht redest«, drohte Sternau, »werde ich dich so lange prügeln lassen, bis du die Sprache findest. Ich frage dich, ob er geheime Papiere bekommt?« – »Ja.« – »Hebt er sie auf?«
– »Ja.« – »Wo?« – »In einer verborgenen Zelle.« – »Kennst du sie?« – »Ja.« – »Du wirst uns auch dahin führen. Steh auf, und zeige uns, wo die Cortejos stecken!«
Sternau lockerte dem Gefangenen die Beinfesseln so weit, daß derselbe langsam gehen konnte.
»Zunächst werde ich die Instruktion zu mir nehmen, die dieser gute Neffe eines noch besseren Onkels heute von dem Dicken empfangen hat«, meinte Kurt.
Er zog ihm die Papiere aus der Tasche und steckte sie in die seinige. Dann verließen sie das Gefängnis und wurden von Manfredo zu der Tür geführt, hinter der ihre Feinde steckten.
6. Kapitel
Kurt öffnete. Der Schein des Lichtes drang in den dunklen Raum, in dem vier gefesselte Gestalten zu erkennen waren.
»Kommst du, um uns herauszulassen?« fragte einer heisere Stimme.
Es war die Gasparino Cortejos, der glaubte, daß Manfredo käme.
»Herauslassen? Dich, Schurke?« rief Grandeprise, indem er Sternau die Laterne aus der Hand nahm und eintrat. Cortejo starrte ihn an.
»Grandeprise!« stöhnte er. – »Ja, Grandeprise bin ich, und endlich habe ich dich und meinen teuren Bruder! Oh, dieses Mal lasse ich mich nicht täuschen, dieses Mal sollt Ihr nicht entkommen.« – »Wie kommt Ihr hierher?« fragte Gasparino. »Hat der Pater Euch an Manfredos Stelle zum Kerkermeister gemacht? Laßt uns fliehen, und ich belohne Euch mit einer Million Dollar.« – »Mit einer Million? Wicht! Kein Pfennig ist dein Eigentum. Es wird dir alles genommen werden, selbst dein armseliges Leben.« – »Weshalb? Ich habe nichts getan.« – »Nichts, Schurke? Frage den hier!«
Grandeprise ließ das Licht der Laterne auf Sternau fallen, der hinter ihm eingetreten war. Cortejo erkannte diesen.
»Sternau!« knirschte er.
Da begannen auch sein Bruder und seine Nichte sich zu regen. Sie drehten sich um und blickten Sternau an.
»Er ist frei«, rief Josefa kreischend. – »So hat der Teufel uns betrogen«, meinte Landola, indem er einen fürchterlichen Fluch hinzufügte. – »Ja, er hat euch betrogen«, antwortete Sternau, »und Gott hat sein Gericht bereits begonnen. Ihr werdet das Loch nur verlassen, um verhört und bestraft zu werden.« – »Pah!« hohnlachte Landola. »Wer zwingt uns, zu gestehen?« – »Wir brauchen euer armseliges Geständnis nicht. Ihr seid bereits überwiesen. Aber ich würde wohl ein Mittel kennen, euch alle zum Reden zu bringen. Hast du es vergessen, Gasparino Cortejo?«
Dieser antwortete nicht.
»Ich werde es dir ins Gedächtnis zurückrufen«, sagte Sternau.
»Weißt du noch, als ich dich anschnallen und kitzeln ließ, weil ich deinen Geifer zu einem Gegengift brauchte?«
Es ging Cortejo eiskalt über den Körper.
»Graf Emanuel lebt«, fuhr Sternau fort, »aber er ist noch wahnsinnig von dem Gift, das ihr ihm gegeben. Ich brauche Gegengift. Macht euch gefaßt! Ich nehme es mir von keinem anderen Menschen als von euch.«
Damit verließ Sternau mit Grandeprise das Gefängnis und schloß es wieder zu.
»Jetzt sollst du uns zunächst den Plan dieser Gewölbe und Gänge zeigen«, sagte er darauf zu Manfredo, und sie begaben sich nach der Stube des Paters zurück, in dessen Schreibtisch sie den Plan fanden. Wer denselben zur Hand hatte, bedurfte keines Führers, so labyrinthisch die einzelnen Teile auch ineinanderflossen, das sah Sternau sofort.
Nun wollte er die geheimen Schriften des Paters sehen. Er wurde von dem Gefangenen nach der Zelle geführt, in der Señorita Emilia ihre Abschriften genommen hatte. Er blickte die vorhandenen Skripturen oberflächlich durch und untersuchte sodann die Koffer und Kisten. Dabei entdeckte er die Meßgewänder und heiligen Gefäße, die Emilia nicht angerührt hatte, obwohl dieselben ein Vermögen von mehreren Millionen präsentierten.
Sternau sah die Juwelen flimmern und fragte:
»Wem gehört das?« – »Meinem Onkel!« antwortete der Gefangene. – »Ah! Ihm? Woher hat er es?« – »Vom Kloster.« – »Er hat es gewiß geschenkt erhalten?« – »Nein. Er hat es einfach genommen und aufbewahrt. Das Kloster ging ein, da hatte das Zeug keinen Herrn mehr.« – »Schön! Es wird den richtigen finden. Jetzt wollen wir den Gang sehen, der ins Freie führt.«
Auch hier mußte Manfredo gehorchen. In Zeit von zehn Minuten standen sie vor dem geheimen Ausgang, der durch einen Haufen scheinbar zufällig hierher gekommener Steintrümmer maskiert wurde. Es genügte das Fortwälzen von drei oder vier Blöcken, um ein so großes Loch freizulegen, daß ein Mann ganz bequem eintreten konnte.
»Wie herrlich wird das passen!« meinte Kurt zu Sternau, jedoch in deutscher Sprache, um von Manfredo nicht verstanden zu werden. – »Was?« fragte der Doktor. – »Ich meine diesen geheimen Eingang in Beziehung zu den zweihundert Soldaten, die Punkt vier Uhr kommen sollen.« – »Ich verstehe dich. Glaubst du, daß ich diesen Gedanken gehabt habe?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Warum?« – »Weil Sie diesen Menschen nach einem verborgenen Ausgang fragten, nachdem wir von der erwarteten Einquartierung gesprochen hatten.« – »Das stimmt! Wo sollte er sie treffen?« – »Unten, wo der Klosterweg beginnt.« – »Es soll hier eine Demonstration vorgenommen werden, und zwar, um den Kaiser zu verleiten, Mexiko nicht zu verlassen. Wir müssen das hindern, sowohl des Kaisers, als auch Juarez‘ wegen.« – »Auch der Bewohner dieses Städtchens wegen, denn die sogenannten Soldaten, die kommen werden, sind jedenfalls nur zusammengetrommelte Räuber und Plünderer.« – »Das steht zu erwarten. Wie aber werden wir das fertigbringen? Ziehen wir die Stadtbewohner, um Hilfe zu haben, in das Geheimnis?« – »Da würden wir uns der Gefahr aussetzen, verraten zu werden.« – »Leider. Wir müssen allein fertig zu werden suchen. Bist du gewillt, an Stelle des Gefangenen hier die heimlich eintreffenden Truppen zu empfangen?« – »Natürlich!« – »Es kann das aber gefährlich sein.« – »Pah! Ich habe nicht gelernt, mich zu fürchten.« – »Schön! Sie werden aber denken, durch das Tor nach dem Kloster geführt zu werden.« – »Ich werde ihnen sagen, daß der Plan einigermaßen verraten zu sein scheine und daß Juarez einen kleinen Truppenteil gesandt habe, um das Kloster zu besetzen.« – »Schön! Sie werden also einsehen, daß sie ohne Kampf nicht durch das Tor gelangen können.« – »Und daß sie klüger tun, mir durch einen geheimen Eingang zu folgen, in welchem Fall es ihnen leicht sein würde, die Besatzung zu überrumpeln.«