Einige Minuten später rückten die Leute gegen die Hazienda vor. Diese wurde umzingelt, und dann begannen die Mexikaner, die Planken vorsichtig zu übersteigen. Es sollte ihnen dies aber nicht so ganz unbemerkt gelingen.
Eben stand einer der Posten auf der Erhöhung und blickte in das beinahe undurchdringliche Dunkel hinaus, da war es ihm, als ob er ein unbestimmtes, eigentümliches Geräusch vernehme. Sehen konnte er bei dieser Finsternis nichts, daher legte er sich auf die Erde und horchte. Das Geräusch wurde jetzt stärker und bestimmter; es war ganz nahe, es klang wie Schritte vieler Menschen, und – da knackte es auch gerade vor ihm an den Planken.
»Halte-là. Qui vive?« rief er laut. »Halt, wer da?«
Er blieb vorsichtig am Boden liegen, hielt aber sein Gewehr schußbereit und lauschte auf eine Antwort. Es erfolgte keine. Einige Sekunden lang war alles still; dann war das Knacken der Planke von neuem zu hören.
»Wer da?« fragte er abermals. »Antwort, oder ich schieße!«
Da sah er gerade vor sich einen Kopf über der Planke erscheinen. Ein Mensch wollte hereinklettern. Rasch richtete er sein Gewehr empor und drückte ab.
Der Schuß knallte laut durch die Nacht. Die Soldaten, durch ihn alarmiert, sprangen von ihren primitiven Lagern auf und griffen zu den Waffen, aber bereits zu spät, denn als der Schuß erschollen war, rief draußen eine laute Stimme:
»Zum Teufel! Wie dumm! Aber hinein, vorwärts!«
Es war der mexikanische Anführer. Seine Leute gehorchten. Kaum hatten sie den Ruf gehört, so sprangen sie von allen Seiten über die Planken und fielen über die Franzosen her, die trotz der Dunkelheit leicht von den eigenen Leuten zu unterscheiden waren. Einige vergebliche Schüsse krachten; Flüche erschollen; ein Todesschrei ertönte hier und da; dann war es still.
An einigen Fenstern der Hazienda wurde es licht. Eins derselben wurde geöffnet. Der Kapitän, vom Schlaf aufgeschreckt, hatte schnell Licht angebrannt und blickte herab. Sein Kopf war im Schein des Lichtes deutlich zu sehen.
»Was gibt es da unten? Warum wird geschossen?« rief er herab. – »Um deinen Kopf zu sehen, Tölpel!« rief der Mexikaner von unten hinauf.
Bei diesen Worten zielte er empor und drückte ab. Seine Kugel fuhr dem Offizier mitten durch den Kopf. Es lebte kein einziger Franzose mehr.
Die Vaqueros, die im Erdgeschoß lagen, hatten sich beim ersten Schuß erhoben und sofort einige Kienspäne angebrannt. Sie eilten hinaus; aber bereits an der Tür trat ihnen Cortejo entgegen und sagte:
Zurück! Wir sind Freunde!« – »O Dios! Señor Cortejo!« rief ein alter Hirte, der ihn kannte. – »Ja, ich bin es. Wir haben die Franzosen niedergemacht Ich hoffe, ihr seid gute Mexikaner und haltet euch zu uns. Wo ist Arbellez?« – »In seinem Schlafzimmer jedenfalls.« – »Gib mir den Span!«
Der Alte ließ sich den langen, brennenden Span aus der Hand nehmen. Als er sah, wer hinter Cortejo folgte, rief er überrascht
»Señorita Josefa! Welch ein Wunder!«
Das Mädchen beachtete sein Erstaunen gar nicht. Sie folgte ihrem Vater nach oben.
Pedro Arbellez war natürlich von dem Schießen erwacht Er sprang aus dem Bett und brannte Licht an. Es ertönten mehrere Schüsse; es handelte sich also um ein ernstes Ereignis. Er warf sich, so schnell es ging, in seine Kleider und wollte seine Stube verlassen, als Marie Hermoyes eintrat
»Oh, Señor, was mag los sein?« fragte sie beängstigt – »Ich weiß nicht«, antwortete er. – »Das ist ja ein Kampf! Hört Ihr die Rufe?« – »Ein Kampf? Mit wem sollten die Franzosen kämpfen? Wer sollte die Hazienda überfallen? Es wird sich um ein Mißverständnis handeln.« – »Oh, dann wäre das Schießen bereits aus. Hörtet Ihr diesen Schrei? Mein Gott!« – »Santa Madonna, das war ein Todesschrei!« – »Jetzt wieder einer und noch einer!« – »Man kommt jetzt die Treppe empor. Wer mag es sein?«
Der Haziendero wollte hinaus, aber die Tür wurde bereits vorher geöffnet. Zwei Personen standen unter derselben, von einem Kienspan beleuchtet.
»Cortejo!« rief Arbellez erschrocken. – »Josefa!« rief Marie Hermoyes.
Sie hatte das Mädchen trotz der Verkleidung sofort erkannt.
Cortejo hatte ein gespanntes Pistol in der Hand, seine Tochter ebenfalls. Hinter ihnen wurden die finsteren Gestalten seiner Mexikaner sichtbar.
»Ja, ich bin es«, sagte er, eintretend und die Tür hinter sich und Josefa verschließend. – »Mein Gott, was wollt Ihr?« fragte Arbellez. – »Das werdet Ihr sogleich sehen. Setzen wir uns.« – »Ja, setzen wir uns!« fügte Josefa hinzu, indem sie auf einem Stuhl Platz nahm und mit ihren runden, kalten Eulenaugen die beiden erschrockenen Leute triumphierend betrachtete. »Wer soll das Verhör führen, Vater?« – »Ah, du willst dir einen Spaß machen«, sagte er. »Gut, sprich du!«
Damit lehnte Cortejo sich in eine Hängematte und warf den brennenden Span zu Boden. Dieser war hier unnütz, da ja ein Licht brannte. Während er mit der Pistole spielte, ruhte sein Auge mit dem Ausdruck des Hohnes und des Hasses auf Arbellez und Marie.
Seine Tochter setzte inzwischen den Hahn ihrer Pistole in Ruhe und sagte zu dem Haziendero:
»Ihr fragt, was wir hier wollen? Gericht halten wollen wir!« – »Gericht?« fragte er. »Über wen?« – »Über Euch und diese da.«
Bei diesen Worten zeigte Josefa auf Marie Hermoyes.
»Ihr scherzt, Señorita«, meinte Arbellez. »Wir haben Euch ja nichts getan. Ich bin erstaunt, Euch hier zu sehen, Señor Cortejo. Wollt Ihr nicht die Güte haben, mir Euer Erscheinen auf meiner Hazienda zu erklären?« – »Diese Erklärung werde ich Euch an Stelle meines Vaters geben«, erwiderte Josefa. »Habt Ihr in jüngster Zeit von uns gehört?« – Ja«, antwortete der Haziendero. »Darf ich es jedoch sagen? Ich habe es nicht geglaubt.« – »Sagt es! Ich befehle es Euch!«
Der Alte trat einen Schritt zurück und erwiderte:
»Ihr sprecht vom Befehlen? Jedenfalls bin ich es, der hier zu befehlen hat!« – »Da irrt Ihr Euch sehr«, antwortete Josefa stolz. »Ich bin jetzt Herrin der Hacienda del Erina, um welche Ihr uns betrügen wolltet!« – »Wenn Ihr in diesem Ton sprecht, werde ich meine Vaqueros rufen!« – »Ruft sie!« sagte Josefa höhnisch.
Arbellez trat wirklich an die Tür. Aber als er sie öffnete, blickten ihm die wilden Gesichter einiger Mexikaner entgegen, die von Cortejo den Befehl erhalten hatten, sich hierher zu postieren. Er fuhr erschrocken zurück:
»Wer ist das? Was wollen diese Leute?« – »Das ist meine Ehrengarde«, antwortete Josefa. »Ich will Euch sagen, daß wir mit dreihundert Mann die Hazienda überfallen haben. Die Franzosen sind getötet, und Ihr befindet Euch in meiner Hand.« – »Ich? In Eurer Hand? Ihr irrt Euch, Señorita. Ihr mögt die Franzosen überfallen und töten; ich aber bin ein freier Mexikaner, dem Ihr nichts anhaben könnt!« – »Ihr seid es, der sich irrt. Ihr seid kein freier Mexikaner, sondern unser Gefangener. Merkt Euch das! Beantwortet mir meine Frage von vorhin: Was ist es, was Ihr in jüngster Zeit von uns gehört habt?«
Pedro Arbellez konnte sich nur schwer in die Situation finden, sie war ihm fast unbegreiflich. Er sollte der Gefangene dieser beiden Leute sein? Früher hätte er sich zur Wehr gesetzt, jetzt aber war er alt, schwach und krank, es fehlte ihm die Energie der jüngeren Jahre; er sah die Waffen, die sich in den Händen der beiden befanden, er hörte ein wüstes Schreien, Rufen und Jauchzen, das jetzt durch die Räume der Hazienda erschallte, und das vermehrte seine Bestürzung.
»Antwortet!« gebot Josefa.
Und als Arbellez nicht sofort gehorchte, spannte sie den Hahn ihrer Pistole.
»Oh, Señor, redet, gebt Antwort! Ihr werdet sonst erschossen!« bat Marie Hermoyes. – »Ja, wenn Ihr beide mir nicht unbedingt gehorcht, werdet Ihr ohne Barmherzigkeit erschossen«, drohte Josefa, die sich in der Rolle eines Räuberhauptmanns ganz behaglich fühlte. »Also, was habt Ihr gehört?« – »Daß Señor Cortejo Präsident werden will«,