Der Oelprinz. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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darum ersucht. Der Scout ließ sich sein Geld geben und ritt gegen unsern Willen fort. Er wollte uns den Finders verraten; da sprang ich ihm nach, ereilte ihn und schwang mich hinter ihm auf das Pferd. Als ich ihn mit dem Revolverkolben betäubt hatte, hielt ich das Tier an und warf ihn herunter; nun zieht es ihn an meinem Lasso hinter sich her.«

      »Tausend Donner! Nacheilen, aufs Pferd springen, betäuben, herunterwerfen! Du bist ja der reine, richtige Old Shatterhand geworden! Braver Bursche! Werde es deinem Vater erzählen. Du hast den Verräter vielleicht gar erschlagen?«

      »Nein; er ist nur betäubt.«

      »Wahrhaftig, der wirkliche Old Shatterhand! Und das alles so ruhig, ohne einen Schuß oder sonstigen Lärm, wenn ich mich nicht irre!«

      Der Jüngling antwortete einfach und bescheiden —

      »Lärm durfte doch nicht sein, weil die Feinde sich in der Nähe befinden.«

      »All right; hast deine Sache so brav gemacht, daß jedes Lob überflüssig ist, Komm jetzt mit nach dem Lager! Wir wollen uns beeilen, mit den Finders fertig zu werden. Es ist besser, sie nicht lange warten zu lassen.«

      Es ging wieder dem Feuer entgegen. Dem Scout kehrte infolge der Schmerzen, welche das auf der Erde schleifen verursachte, die Besinnung zurück. Er begann zu wimmern, doch wurde nicht darauf geachtet, bis das Lager erreicht worden war. Dort raffte er sich langsam auf. Der Lasso war ihm um die Hände gebunden, unter den Armen hindurchgeschlungen und dann an den Sattel befestigt worden. Es läßt sich leicht denken, wie er empfangen wurde. Er starrte finster vor sich nieder und beantwortete kein an ihn gerichtetes Wort. Ebenso schweigsam verhielt sich Schi-So zu dem Lobe, welches ihm von allen Seiten gebracht wurde. Er ging ganz still davon, konnte es aber doch nicht verhindern, daß Frau Rosalie ihn sehr fest beim Arme ergriff und fragte:

      »Herr Schi-So, haben Se vielleicht eenmal die Geschichte von der verzauberten Prinzessin gelesen?«

      »Welche?« antwortete er. »Es gibt sehr viele Geschichten, welche diesen Titel haben.«

      »Ich meene nämlich diejenigte Prinzessin, die in eenen Kirchturmknopf hineingezaubert war.«

      »Die kenne ich nicht.«

      »Der Kirchturm war hundertundelf Ellen hoch; darum mußte derjenige, der die Prinzessin erlösen wollte, hundertundelf Heldenthaten verrichten, uff jede Elle eene. Viele tausend Jahre hat das arme Wurm im Knopfe geschteckt, ohne daß es jemand nur bis zur dritten oder vierten Heldenthat gebracht hat, bis endlich een junger Rittersmann aus Schleswig-Holschteen kam und alle hundertundelf Heldenthaten, eene nach der andern, mit dem Schwerte um das Leben brachte. Da schprang der Kirchturmknopf uff und entzwee und die erlöste Prinzessin trat holdselig heraus, reichte dem Erretter die rechte Hand und führte ihn hinunter in die Sankristei.«

      »So!« lächelte Schi-So. »Und die Nutzanwendung dieser ebenso schönen wie rührenden Geschichte?«

      »Nutzanwendung? Was meenen Sie damit? Was soll das heeßen? Wenden Se den Nutzenwenigstens nich zu Ihrem Schaden an! Ich habe Ihnen von diesem Turmknopf erzählt, weil ich sehe, daß Sie ooch so een tapferer Schleswig-Holschteener sind.

      Gibt es bei den Indianern ooch verzauberte Prinzessinnen?«

      »Nein.«

      »Jammerschade! Ich gloob, Sie brächten’s ooch bis hundertundelf. Rechnen Sie uff meine Hochachtung und uff meine Dankbarkeet!«

      Sie wollte noch weiter sprechen, wurde aber von jemand fortgeschoben, der sich zwischen sie und ihn drängte. Es war der Kantor, welcher, seine Hand ergreifend, sagte:

      »Teurer Freund und junger Mann, Sie wissen, daß ich im Begriffe stehe, eine große Heldenoper zu komponieren?«

      »Ja; Sie haben uns das oft und wiederholt gesagt.«

      »Und daß diese Oper zwölf Akte haben wird?«

      »Ich glaube allerdings, daß es zwölf waren, von denen Sie sprachen.«

      »Schön! In welchem Akte wollen Sie erscheinen?«

      »Warum ich?«

      »Weil Sie ein Held sind, wie ich ihn für meine Komposition brauche. Sie werden auftreten, indem Sie den Verräter zu Pferde am Lasso über die Bühne schleppen. Also bitte, in welchem Akte?«

      Ueber das sonst so ernste Gesicht des Mestizen glitt ein fröhliches Lächeln, als er antwortete:

      »Sagen wir im neunten.«

      »Schön! Und wollen Sie ihn in Dur oder in Moll über die Bühne schleppen?«

      »In Moll.«

      »Gut; da werde ich C-moll wählen, denn dies hat den Dominantsextaccord von G und ist im ersten Grade mit dem herrlichen Es-dur verwandt. Und als Taktart wählen wir nicht Dreiviertel- oder Sechsachtel, – sondern den Viervierteltakt, weil das Pferd, auf welchem Sie auf der Bühne erscheinen werden, gerade vier Beine hat. Sie sehen, daß alles stimmen wird. Ich werde mir das alles gleich notieren.«

      Er zog sein Merkbuch aus der Tasche. Da erklang hinter ihm eine Stimme:

      »Ich habe Ihnen auch etwas zu notieren, Herr Kantor.«

      Er drehte sich um und sah Sam vor sich stehen. In höflichem Tone antwortete er:

      »Bitte, bitte, Kantor emeritus! Es ist nur der Vollständigkeit halber. Da ich nicht mehr im Amte bin —«

      »So treiben Sie sich da draußen vordem Lager herum!« unterbrach ihn Sam. »Wer hat Ihnen denn geheißen, das Lager zu verlassen?«

      »Geheißen? Die Kunstbegeisterung trieb mich hinaus, erst lento, dann vivace und endlich gar allegrissimo. Sie wissen, wenn die Muse befiehlt, dann muß ihr jünger gehorchen.«

      »Da bitte ich Sie, Ihrer Muse den Abschied zu geben, denn sie meint es nichts weniger als gut mit Ihnen.«

      »Wieso?«

      »Weil sie Sie auf Wege treibt, wo Sie leicht verunglücken können.«

      »Daß ich nicht wüßte, werter Herr. Ich brauchte für meine Oper einen Doppeltriller; da ich denselben nicht hier im Lager finden konnte, so verließ ich dasselbe, um mir draußen in der Einsamkeit, wo mich niemand stört, einen auszusinnen.«

      »Da setzten Sie sich auf die Erde nieder?«

      »Ja.«

      »Und warteten, ob der Triller kommen würde? Aber statt seiner kam ein fremder Mann, der Sie nicht sah, und stolperte über Sie weg!«

      »O, er stolperte nicht nur, sondern er stürzte wirklich hin, lang über mich hinweg. Im nächsten Augenblicke hatte er mich beim Halse, gerade so, wie man eine Violine bei dem Halse faßt.«

      »Dann gab es ein Duett!«

      »Eigentlich kein Duett; wir sprachen nur ein wenig mit einander.«

      »Sie deutsch, er englisch, und keiner verstand den andern!«

      »Das ist kein Wunder. Wer mich verstehen will, darf mir doch nicht den Hals zusammenpressen. Das konnte er sich denken! Uebrigens benutzte ich die Gelegenheit, als er mich einmal locker ließ, ihn und den Ort zu verlassen.«

      »Wohl auch allegro oder allegrissimo?«

      »Es war schon mehr con fretta, denn ich hatte ihn in dem Verdachte, mich abermals fesseln zu wollen.«

      »Das wollte er allerdings, und noch viel mehr als das! Wissen Sie, wer er war?«

      »Nein; es gab im Laufe der kurzen Unterredung keine Gelegenheit, uns einander vorzustellen.«

      »Das glaube ich wohl. Es war überhaupt nicht auf solche Höflichkeiten, sondern auf Ihr Leben abgesehen.«

      »Auf mein Leben?« fragte der Kantor sehr erstaunt.

      »Allerdings. Der Mann, welcher über Sie hinwegtrillerte, gehörte zu den Finders, welche uns überfallen und ermorden wollen.«

      »Sollte man dies glauben!«

      »Viel leichter zu glauben, als zu bezweifeln. Sie wußten, daß die Feinde sich da drüben befinden und liefen trotzdem hinaus und nach dieser Richtung hin. Sie scheinen nicht recht bei