Diese Passivität ist schwerer zu besiegen, als selbst ein aktiver Widerstand, wie jeder erfahrene chinesische Missionär bestätigen wird. Ich war nicht als ein solcher nach Hongkong gekommen und daher durfte ich mir wohl erlauben, von einem religiösen Streite mit Kong-ni abzusehen. Ich antwortete deshalb.-
»Und dieser Mann ist ein Fu-yuen?«
»Ein Fu-yuen,« nickte er.
»Also einer der höchsten Beamten des Landes!«
»Er ist ein Kuang-fu (Mandarin) mit dem roten Knopfe. Er ist sehr mächtig, aber bereits sehr alt. Der Hoang-schan[49] hat ihm die Erlaubnis gegeben, zwei Pfauenfedern zu tragen und von seinem Amte auszuruhen.«
Also ein pensionierter Beamter! Einflußreich aber mußte er sein, da er ein Mandarin des ersten Ranges war und zwei Pfauenfedern tragen durfte, während nur die vornehmsten Ko-lao[50] deren drei, die Ta-hia-su[51] deren gewöhnlich aber nur eine tragen dürfen.
»Hat er keinen Sohn?« erkundigte ich mich weiter.
»Er hat einen.«
»Aber darf er denn nach eurem Gesetze einen zweiten nehmen?«
»Das Gesetz erlaubt es nicht, aber der Kaiser erlaubt es.«
»Ist dieser Sohn bei ihm?«
»Nein; er ist bei dir.«
Ich blickte überrascht auf.
»So sprichst du von deinem Vater und bist der Sohn eines Unterstatthalters?«
»Ja. Willst du mein Bruder werden?«
Das war nun allerdings beinahe abenteuerlich. Wollte er mich durch dieses Angebot dafür belohnen, daß ich ihm das Leben gerettet hatte? Ich war nicht gewillt, einen solchen Vorteil zurückzuweisen.
»Ja,« antwortete ich daher.
»Du sprichst unsere Sprache. Kannst du sie auch schreiben?«
»Nur die Siang-hing[52], und das ist wenig genug.«
»So wirst du mir diktieren, und ich werde schreiben.«
»Was?«
»Du wirst eine Schrift verfassen, welche wir dem Ly-pu[53] einsenden. Der Sohn eines Fu-yuen muß ein Gelehrter sein, um Nan, Phy, Hèu oder Kung[54] werden zu können.«
Das war frappant! Fast kam es mir vor, als ob dieser Chinese Komödie mit mir spiele. Ein deutscher »Weltläufer« sollte sich in China um einen akademischen Grad bewerben! Ich ging auf den Spaß sofort ein:
»Was soll ich werden? Ein Sieu-tsai, Keu-jin oder vielleicht gar ein Tsin-sse?«
»Du bist sehr weise und kannst ein Tsin-sse werden. Um das gleich zu können, wirst du drei Schriften verfassen, für jeden Grad eine. Diese werden dem Ly-pu übergeben, und du kannst dann gleich durch eine einzige Prüfung den höchsten Rang erwerben.«
»Ich werde es thun. Wann kannst du schreiben?«
»Wann es dir gefällt.«
»So werden wir sofort das Schiff verlassen, um Papier, Tusche und Pinsel zu bekommen.«
»Willst du mir eine Bitte erfüllen?«
»Welche?«
»Laß mich allein aussteigen; ich werde dir schnell bringen, was du brauchst!«
»Ist mir auch recht,« lächelte ich, denn ich bekam den guten Kong-ni in Verdacht, daß er mir so fulminante Anträge gemacht habe, um mir mit seinem Danke nur auf gute Weise durchbrennen zu können. »Wie heißt dein Vater?«
»Phy-ming-tsu.«
Also nach unsern europäischen Begriffen ungefähr ein Graf!
»Wo wohnt er?«
»Das wirst du bald erfahren!«
Ich wollte mich weiter erkundigen, wurde aber von meinem alten Frick Turnerstick durch einen Ruf unterbrochen, der so eigentümlich war, daß ich mich sofort umwandte.
Wir waren während meines Gespräches mit Kong-ni zwischen einem Engländer und einem Holländer vor Anker gegangen und wurden von zahlreichen Booten umschwärmt, deren Insassen der Bemannung unsers Schiffes alles mögliche zum Verkaufe anbieten wollten. Ein Fruchthändler hatte sich bereits an das hinabgeworfene Tau gelegt, und er war es, dem der possierliche Zuruf des Kapitäns galt:
»Guteng Taging! Was hasteng dung zung verkaufang?«
Der Chinese hatte ihn natürlich nicht verstanden, ahnte aber, was er meinte.
»Li-chy, Li-chy!« rief er herauf, indem er seinen Fächer als Schallbrecher an den Mund hielt. »Li-chy[55], Li-chy! Si-kua,[56] Si-kua!«
Der Kapitän winkte mir.
»Charley, kommt doch einmal her! Was brüllt denn eigentlich der Kerl herauf? Was ist Li-chy?«
»Er meint die Nüsse, welche im Boote liegen. Sie sind sehr gut und schmecken fast wie Melonen.«
»Und dieses Si-kua?«
»Wassermelonen.«
»Alle Wetter, kann er das nicht gleich sagen!«
Er bog sich über die Regeling und winkte hinab.
»Wir werding kaufang! Kommung zumong Fallreeping heraufeng!«
Er gab Befehl, das Fallreep niederzulassen, und der Chinese brachte an einem über die Achsel gelegten Bambusstabe eine ziemliche Menge seiner in Matten gewickelten Früchte herauf.
»Seht, Charley, der Mann hat mich verstanden! Freilich, es ist etwas außerordentlich Erhebendes, zu wissen, daß man die Sprache fremder Nationen spricht. Das habe ich Euch zu verdanken, Charley, Euch und meinem ungemeinen Talente für fremde Sprachen, an dem ich bisher unbegreiflicherweise so sehr gezweifelt habe. Ich werde dem Kerl den ganzen Kram abkaufen!«
Der Händler hatte seine Matten ausgebreitet. Turnerstick trat zu ihm, zeigte auf die Li-chy und klopfte ihm sehr herablassend auf die Achsel.
»Was kosteng die Nüssang?«
Der Gefragte hob, da er die Pantomime wohl verstanden hatte, eine Handvoll der Li-chy empor und antwortete:
»Y tsien!«
»Seht Ihr’s, Charley, daß er mich schon wieder verstanden hat? Aber er scheint das Chinesische schwerer zu sprechen, als er es versteht! Was meint er mit seinem Y tsien?«
»Das heißt: ein Tsien.« »Was ist ein Tsien?«
»Die kleine Münze, welche Ihr hier an seinem Halse an die Schnur gefädelt seht. In Europa nennt man sie Sapeke, der Mongole sagt Dehos und die englisch sprechenden Völker heißen sie Cash. Sie unterliegt einem nicht ganz unbedeutenden Kurs, und es gehen zweihundertfünfzig bis dreihundert auf eine deutsche Mark.«
»So bekomme ich also eine Handvoll Nüsse für einen Drittelpfennig?«
»Allerdings. Es ist hier alles ungeheuer billig.«
»Well; so werde ich weiter fragen!«
»Thut es, Sir!« antwortete ich in lustiger Neugierde auf sein weiteres Chinesisch.
Er zeigte auf die Melonen.
»Der Preising von diesong Meloneng?«
Der Chinese hob zwei der schönsten hervor.
»San tsien!«
»San tsien?« meinte Turnerstick. »Der Kerl spricht ein schauderhaftes Chinesisch. Was