Der Wirt starrte Amadée verblüfft an, verlor sichtlich die Fassung und stammelte: »Nein, mein Herr, ich kenne Sie nicht!«
»Jacques Pajol!« schrie Amadée stärker. »Jacques Pajol! Sohn der Marketenderin und Wäscherin Jeannot vom Regiment Provence! Kennst du den Sergeanten Amadée nicht?«
Er schwang den Stock. Der jetzige Wirt und ehemalige Trommelschläger hüpfte entsetzt umher.
»Jacques Pajol, hör mich an!« befahl Amadée. »Unser Gepäck befindet sich an Bord unseres Schiffs. Wenn besagtes Gepäck, und zwar das des Grafen de Vignerolles, dessen Doppelgänger du bist, und das der Barone Lassalle und Hauterouge und des Monsieur Ducalle, in einer Stunde noch an Bord des Schiffes sind und die Erlaubnis zur Ausschiffung nicht erteilt ist, so wird dieser mein Stock auf deinem Rücken einen Cotillon aufführen!«
»Parbleu!« rief Brodin. »Was soll das bedeuten, Herr Sergeant?«
Amadée wiederholte trocken seinen Befehl.
Pierre Brodin alias Jacques Pajol war weit entfernt, durch die Entdeckung seines ursprünglichen Namens und Berufs niedergeschlagen zu sein, und wußte zum bösen Spiel gute Miene zu machen. Er sprang auf Amadée zu, drückte ihm die Hände, machte tausend Kratzfüße vor dem Grafen und schien ganz Jubel und Entzücken zu sein.
»Gnädiger Herr der Herrschaften von Pontbleu«, unterbrach Amadée endlich die Lustigkeit des Wichtes, »wir müssen Sie, wie gesagt, bemühen, sich mit Ihrer eigenen Reise-Equipage auf das Zollamt zu verfügen und unser Gepäck aus den Händen dieser Behörde zu erlösen, ansonsten unser Stock doch unvermeidlicherweise ein Menuett auf Ihrem Rücken tanzen müßte!«
»Was?« schrie Jacques Pajol. »In meinem eigenen Haus?«
»Pah! — Chevalier de ›Mazanaras‹! Allons, fort mit dir!«
Jacques Pajol flog wie ein Ball umher, aus einer Hand in die andere.
»Ma foi! Morbleu!« schrie er. »Wer wird mir aber mein Estaminet besorgen?«
»Wir alle!« riefen unsere Diener.
Pajol kratzte sich jedoch hinter den Ohren. Ducalle machte dem Zögern durch den Vorschlag ein Ende, die Demi-Escalins Halbschillinge für ihn einzunehmen. Nachdem Pajol ihn in die schöne Kunst eingeweiht hatte, Sangaree Versüßter und gewürzter Rotwein mit Wasser und Toddy, Sling und Cocktail zu bereiten, trollte er sich fort.
Es war die erste fröhliche Stunde, die wir in Louisiana genossen. Sie erschien uns gewissermaßen als eine glückliche Vorbedeutung unserer Schicksale in der neuen Welt. Und wahrlich, wir brauchten eine solche Aufmunterung, hilflos wie wir waren, inmitten einer von allen nur einigermaßen achtungswerten Einwohnern verlassenen, verpesteten Stadt, in der nur der Auswurf zurückgeblieben war, um gleich den Carancros über die unglückseligen Opfer herzufallen, die ihnen der Zufall als Beute zuführte.
Noch saßen wir lachend über unserem Bordeaux — wenigstens der gereichte dem Estaminet nicht zur Schande — als Jacques mit einem kleinen klapperdürren Spanier zurückkam. Louisiana war übrigens bei unserer Ankunft noch unter spanischer Herrschaft, es fiel erst ein Jahr später wieder an Frankreich zurück, und drei Jahre später überließ es Napoleon für ganze fünfzehn Millionen Dollar an Uncle Sam.
Der Hidalgo war angetan mit einem braunen Rock, den er noch von seinen Universitätsjahren in Salamanca her haben mußte. Denn die Arme hingen sechs Zoll über die Gelenke aus den Ärmeln heraus, seine Spindelbeine waren in gleichfarbige, sehr zerlöcherte kurze Beinkleider eingehülst. Er griff bei seinem Eintritt mit vieler Amtswürde an seinen dreieckigen Hut, gab uns seinen langen Namen und noch längeren Titel an, von denen ich bloß das Don Henriquez behalten habe, und sah uns dann, eine Antwort erwartend, der Reihe nach an.
Wir waren alle aufgestanden. Vignerolles machte dem Don Komplimente, aber der schien nichts weniger als redselig.
Nach den ersten Begrüßungen fragte der Graf, ob Seine Exzellenz Don Salceda, der Gouverneur, in der Stadt sei.
»Seine Exzellenz, der Zivil- und politische, auch militärische General-Gouverneur der Provinzen von Louisiana und Westflorida sind auf einer Besichtigungsreise der Festungen«, erwiderte der Spanier, der während der Erwähnung der Exzellenz den Hut abgenommen und dann wieder aufgesetzt hatte, mit feierlich erhobener Stimme.
»Perdon — Vergebung!« entschuldigte sich Vignerolles. »Wir haben eine Lettra de Recommendation, ein Empfehlungsschreiben, an Seine Exzellenz und bedauern sehr, Hochdemselben unsere Aufwartung nicht machen zu können.«
Diese Worte besänftigten etwas den beleidigten kastilianischen Stolz, so daß Vignerolles die Frage wagte, ob vielleicht der Oberintendant der königlichen Finanzkammer in der Hauptstadt sei.
»Seine Heiligkeit, der Oberintendant der königlichen Douanen für die Provinzen Louisiana und Westflorida, auch Intendant der Krondomänen, ferner Richter der Admiralität und Chef der Handelskammer besagter Provinzen befinden sich auf dem Land.«
»Perdon!« entschuldigte sich Vignerolles abermals. »Wir haben eine Schenkung über Ländereien in den Attacapas, ausgestellt von Seiner Majestät Louis XV., und wünschen sehnsüchtig, die gesetzlichen Formen zu beobachten, um in den Besitz besagter Schenkung eintreten zu können.«
»Seine Herrlichkeit Don Maria Nicolas Vidal Chavez, Fahavarri de Madrigal, Valdez, bürgerlicher Gobernador Lugorteniente, auch Kriegsauditor in den Provinzen Louisiana und Westflorida, ferner Oberrichter, sind in der Stadt, leben aber zurückgezogen von allen Geschäften.«
Statt der Antwort spielte Vignerolles mit ein paar Goldstücken zwischen den Fingern. Der Spanier verzog keine Miene, schwenkte sich aber mit echt kastilianischer Grandezza dicht an den Grafen heran.
Der ließ einen Louisdor in seine Hand schlüpfen. Der Spanier besah das Goldstück und sprach trocken: »Es bedarf noch einer Bedingung, Seine Herrlichkeit zu sehen.«
Vignerolles ließ ein zweites Goldstück zwischen seine Finger gleiten.
»Muy bien!« meinte der Spanier. »Señores wollen aber auch Ihr Gepäck ans Land haben? Gefällt es Ihnen, die Bedingungen auf einmal zu erfüllen oder ...?«
Vignerolles sah sich abermals genötigt, seine Finger in die Börse zu senden.
»Zwei Bedingungen sind hinreichend«, versicherte der Hidalgo.
Nachdem diese erfüllt worden waren, verneigte er sich, griff an den Hut und schritt mit den Worten: »Venid, Señores — Kommen Sie, meine Herren!« würdevoll durch die Schenkstube des Estaminets der Tür und dann der Levée zu. Wir folgten ihm.
Wir nahmen unser Gepäck in Empfang, das zur Ausschiffung auf Deck bereitlag. Während unsere Leute beschäftigt waren, die Kisten und Ballen mit Hilfe der Neger, die uns Pajol mitgegeben hatte, vor das Estaminet zu schaffen, winkte der Hidalgo dem Grafen, ihm zu folgen.
Er fragte ihn jetzt, ob er der Chevalier de Manzanares sei, was Vignerolles bejahte. Daß einer der Vorfahren des Grafen das spanische Adelsdiplom erhalten, hatte wahrscheinlich am meisten beigetragen, unseren steifen Führer so zuvorkommend zu stimmen. Mir, der sich anschloß, wurde das Mitkommen erst nach wiederholten Beteuerungen gestattet, daß auch ich ein Caballero sei.
Wir gingen durch die mit den ekelhaftesten Abfällen angefüllte und beinahe ungangbar gewordene St.-Louis-Straße hinab der Rue Rempart zu. Der kurze Spaziergang reichte hin, unsere gute Laune so ziemlich wieder zu verscheuchen. Unbegreiflich, wie in solcher Umgebung und einer so verpesteten Atmosphäre ein menschliches Wesen es aushalten konnte. Wir sahen auch keines, aber hinter den zerstreuten Häusern der Rue Rempart krochen in den Gräben Alligatoren und anderes Gewürm herum. Dies waren die einzigen lebendigen Geschöpfe, die wir sahen.
Die Häuser bestanden durchgängig bloß aus einem Erdgeschoß mit breiten vorspringenden Dächern. Vor einem, das einige dreißig Schritte von der Straße zurück lag, machten wir halt. Der Spanier sah uns bedeutsam an und legte den Finger warnend auf den Mund.
»Seine Herrlichkeit erholen sich von den Lasten