»Sprich nicht so! Beruf es nicht!«
»Unsinn! Unsere Stunden sind gezählt, und wir können uns keine zulegen und keine wegnehmen.«
»Doch, doch«, sagte die Frau.
Fünftes Kapitel
Der Förster war unter diesem Gespräch ans Fenster getreten und sah auf die hart an seinem Vorgarten vorüberführende Fahrstraße. Jenseits derselben, dem Blick entzogen, floß die tief eingebettete Lomnitz, und man hörte nur ihr Hinschäumen über das Steingeröll. Opitz öffnete das Fenster, um frische Luft zu schöpfen, nahm ein Kissen und wollte sich‘s eben bequem machen, als er, Lehnerts gewahr werdend, unwillkürlich zurücktrat, aber doch nur so, daß er, von der Straße her, immer noch deutlich gesehen werden konnte. Lehnert sah ihn auch wirklich und hob seinen Zeigefinger nachlässig und wie zu halbem Gruß bis an den Schirm seiner Mütze.
»Wie der Kerl nur wieder grüßt«, rief Opitz seiner Frau zu. »Hast du gesehen, Bärbel? Und das soll ich für einen Gruß nehmen. So grüßt man einen Rekruten, aber nicht einen Vorgesetzten. Und das Gesicht dazu …«
»Du bist nicht sein Vorgesetzter.«
»Ach was. Was weißt du davon. Ich sage dir, ich bin‘s. Und wenn ich es nicht war, ein Mann in Amt und Würden ist allemal eine Respektsperson. Der Gernegroß da drüben kann seinen Gruß lassen und sagen, er habe mich nicht gesehen, aber wenn er mich grüßt, muß er mich grüßen, wie sich‘s gehört, Mütze runter oder den Finger fest an den Streifen, und nicht so wie von ungefähr und wie bloß zum Spaß. Das ist Unordnung und Unmanier.«
Opitz hatte sich unter diesen Worten ausgewettert, und als ihm gleich danach eine behaglichere Stimmung wiederkehrte, trat er auch wieder ans Fenster und lehnte sich hinaus, um sich an den Narzissen und Aurikeln zu freuen, die spärlich in seinem Vorgarten blühten. Dabei blies er Wolken aus seinem Meerschaum in die stille Luft und ließ, unter behaglichen Träumen, alles an sich vorüberziehen, was der Tag gebracht hatte, darunter auch den Diskurs in der Exnerschen Laube mit Grenzaufseher Kraatz und dem alten Förster von der Annakapelle. Was er dann später noch, und schon auf dem Heimwege, zu Lehrer Wonneberger gesagt hatte, darüber unterhielt er nur unklare Vorstellungen und entsann sich bloß, daß es allerhand krauses Zeug über Frauen gewesen sei, Frauen im allgemeinen und Kunstreiterinnen im besonderen. »Ach das verteufelte Bier! Aber Wonneberger war auch schon etwas fißlig und wird nichts gemerkt haben. Und wenn auch, morgen ist alles in den Wind.«
Lehnert, als er an Opitz vorbei war, war auf sein Haus zugegangen, das unmittelbar jenseits der Lomnitz lag, der Försterei so nahe, daß man sich gegenseitig so gut wie in die Fenster sehen konnte. Nichts als Fluß und Fahrstraße trennte beide Gehöfte, deren gesamtes Acker- und Heideland in alten Zeiten ausschließlich Stellmacher Menzsches Eigentum gewesen war, bis man, auf dem diesseits der Lomnitz gelegenen Kusselstreifen, eine Försterei gebaut und nur alles jenseits des Flusses Gelegene bei den Menzes belassen hatte. Das war jetzt runde dreißig Jahr, und fast ebensolange hatte man hüben und drüben ohne Neid und Eifersucht gelebt, trotzdem dazu, wie nun mal die Menschen sind, vielleicht Grund gewesen wäre. Denn wenn einerseits die neue Försterei, mit ihrer Sauberkeit und ihrem roten Dach, die drüben gelegene, hier und da sehr baufällige Stellmacherei weit in den Schatten stellte, so hatte diese dafür die »fette Seite« behalten, während sich die Förstersleute, den kleinen Vorgarten abgerechnet, mit einem Streifen Heideland und einem noch schmaleren Lupinenstreifen begnügen mußten. Aber das alles hatte die ganze Zeit über keinen Arger geschaffen und noch weniger der zufällige Umstand, daß das auf einer Stein- und Geröllinsel, inmitten zweier Lomnitzarme, gelegene Menzsche Wohnhaus, sowenig gepflegt es war, doch kastellartig auf alles unmittelbar Umhergelegene herabsah, und natürlich auch auf die Försterei. Zu keiner Zeit, um es zu wiederholen, war an diesem und ähnlichem Anstoß genommen worden, bis Opitz ans Regiment kam, von dem, ohne daß er es zugab, die Hochlage der Stellmacherei drüben einfach als ein Tort empfunden wurde.
Selbstverständlich unterhielt diese malerische Kastellinsel auch ihre Verbindungen mit dem Festland, und zwar mit Hilfe zweier Brückenstege, von denen der eine beinah unmittelbar nach der Försterei, der andere, nach der entgegengesetzten Seite hin, erst nach dem Menzschen Ackerland und gleich dahinter nach dem schräg ansteigenden gräflichen Forst hinüberführte. Der Ackerstreifen war mit Roggen und Kartoffeln bestellt, von denen der Roggen in diesem Jahre ganz wundervoll stand, auf dem Inselchen selbst aber befand sich, in geringer Entfernung vom Wohnhaus, noch ein Arbeitsschuppen, drin Lehnert die schon von Vater und Großvater her ererbte Stellmacherei betrieb, ein Geschäft, das im Frühjahr und Herbst meist gut ging, im Sommer aber beinah ruhte.
So war es auch heut. Alles ruhte. Freilich sah man einen Pflug und ein paar alte Karren und Wagenachsen unter dem Schuppen stehen, aber all diese Dinge konnten ebensogut zur eignen Wirtschaft gehören wie zur Reparatur abgeliefert sein. In dem abgeschrägten Vorgarten von nur geringer Tiefe, durch den eine Feldsteintreppe zu dem Häuschen hinaufführte, blühten Georginen und Reseda, während ein alter Rosenstrauch von beträchtlicher Stärke neben der Haustür aufwuchs und sein mit gelben Rosen überdecktes Gezweig unter dem Strohdach hin ausspannte. Nachmittagssonne lag auf Haus und Gehöft, und nichts war hörbar als die doppelarmig vorüberschießende Lomnitz und das Meckern einer Ziege vom Stall her. Ein Hahn, ein schönes Tier mit Silberhals, stolzierte den Schuppen entlang, aber er krähte nicht und hatte wenig Aufmerksamkeit für die Hühner, die sich Erdlöcher gemacht hatten, um sich zu kühlen.
Nicht voll so still war es drinnen im Hause, darauf Lehnert, von der Försterei her, eben zuschritt.
Er hatte sich unterwegs nicht beeilt, ebensowenig wie Opitz. Vom Pastorhause war er zunächst nach dem Kretscham hinübergegangen und hatte hier von dem ihn begrüßenden Wirt erfahren, daß Frau Menz, seine Mutter, eben dagewesen sei und gerad an demselben Tisch erst einen »Grünen« und dann einen Ingwer getrunken habe. Das hörte Lehnert nicht gern. Er gönnte der alten Frau die kleine Herzstärkung, denn er liebte sie trotz all ihrer Schwächen, aber er ärgerte sich wieder über die Heimlichkeit, und dieser Arger war noch nicht voll überwunden, als er, über die Schwelle seines Hauses tretend, der am Herde hantierenden Alten ansichtig wurde.
»Guten Tag, Mutter. Pohl läßt grüßen.«
»Welcher?«
»Nu, der aus dem Kretscham unten.«
»So, der. Warst du da?«
»Ja, Mutter. Und kannst du dir denken, ich habe mich just da hingesetzt, wo du gesessen hattest. Und dir zu Ehren hab ich meinen Ingwer aus deinem Glase getrunken. Es stand noch da.«
Die Alte sah verlegen vor sich hin und sagte dann: »Aber nur einen, Lehnert. Mir war so schwach.«
Lehnert lachte. Dann ging er auf sie zu und sagte, während er ihr das graue Haar streichelte: »Gott. Mutter, wie du so bist! Wenn das einer hört‘, so müßt er denken, der Lehnert ist ein Filz und schlechter Kerl und gönnt seiner alten Mutter nicht einmal einen Tropfen Stärkung. Aber wie liegt es denn? Ich gönne dir nicht einen Ingwer, ich gönne dir zwei, und wenn dir‘s nicht zuviel wird, Alte, dann können es auch drei und vier werden. Ich habe dich auch noch eigens gefragt, und da hast du ›nein‹ gesagt, aber freilich, als du nein sagtest, da sagtest du schon ja, und als ich die Klingeltür bei Siebenhaar noch kaum aus der Hand hatte, da bist du schon hinübergegangen. Immer versteckt; du kannst nichts offen tun, auch nicht mal das, was die Sonne gar nicht zu scheuen braucht. Alles muß heimlich sein. Und sieh, Mutter,