Aber auch Irmgard empfand die Verstörung dieses Morgens. »Wo ist die Tochter?« rief der Fürst am Lager des Verwundeten, »daß sie mit ihrer Heilkunst der Mutter helfe.«
Leise, damit kein anderer die Worte höre, antwortete die zornige Fürstin: »Ungehorsam weigert sie, seinem Lager zu nahen.« Herr Answald trat heftig in Irmgards Gemach, die Wange der Jungfrau war erblichen, aber ihr Auge mied nicht den zornigen Blick des Vaters. »Am Lager deines Verlobten ist dein Sitz, du Kaltsinnige!« rief er ihr zu.
»Hassen würde ich mich selbst, hätte ich mein Leben jenem gelobt«, antwortete Irmgard unbeweglich.
»Der Vater tat es für dich, und hätte ich‘s nicht getan, von deinem Geschlecht ist er und mein Waffengenosse. Ehrst du so wenig, was die Sitte von dir heischt?«
»Auch ich gedenke, mein Vater, was deinem Kinde geziemt. Er, der getroffen liegt von wohlverdientem Schlage, hat die Meute gehetzt gegen unseren Gastfreund. Bin ich ein Kind dieses Hauses, so ist er mir fortan ein Fremder und ein Feind.«
»Wie eine Wahnwitzige redest du. Wohl kenne ich den argen Wunsch, der dir den Sinn betört; zu lange habe ich nachsichtig das Unleidliche getragen.« Er hob den Arm gegen die Tochter.
»Töte mich, mein Vater,« schrie Irmgard, »du hast die Macht, aber auf meinen Füßen trete ich nimmer zu dem Bett des argen Mannes.«
»Bist du jetzt so entschlossen,« rief der Fürst außer sich, »so sollst du doch dem Zwange dich beugen. Ich gehe, den Quell abzuleiten, der diesen Jammer in meinen Hof treibt. Du aber lebe gesondert als Gefangene, bis dein trotziger Mut sich fügt.« Drohend verließ er das Gemach und schritt über den Hof nach dem Herdsitz. Dort sammelten sich die Gaugenossen, dorthin wurde auch Ingo von zwei Häuptern des Volkes geleitet.
Das Antlitz des Fürsten war rot vor Zorn und ihm bebte die Stimme, da er an seinem Herdfeuer in der Versammlung begann: »Zum Tode verwundet hast du, Ingo, Ingberts Sohn, meinen Schwertträger Theodulf, einen Edlen des Volkes, den Verwandten meines Ehegemahls, den Sohn, dem ich meine Tochter zur Hausfrau gelobt; geschädigt hast du ihn an Leib und Leben in heimlichem Kampf, den die Sonne haßt; gekränkt hast du meine Ehre, verletzt die Gastpflicht, gebrochen den Eid, darum weigere ich dir fortan den Frieden meines Hauses und Hofes, ich löse das Bündnis, das einst die Väter verband, die Flamme des Herdes tilge ich, die jetzt noch wärmt, und das Wasser verschütte ich, über dem wir einander gastlichen Frieden gelobt.« Er schwenkte den Herdkessel empor und goß ihn in die Flamme, daß der weiße Dampf sich zischend im Hause verbreitete.
Ingo aber rief dagegen: »Eine Nottat verübte ich, bis zum Tode gekränkt an meiner Ehre, wie sie jeder üben muß, der nicht achtlos im Volke leben will. An deinen gastlichen Herd dachte ich, als der arge Mann unter meinem Schwerte lag und ich die Spitze zurückzog. Für das Gute, das ich unter deinem Dach genossen, danke ich dir noch jetzt beim Scheiden; vor dem Argen, das du und deine Freundschaft mir fortan sinnen, werde ich mich bewahren. Wie du die Flamme getilgt, die mir gastlich geleuchtet, so werfe ich das Gastzeichen, das dein Vater meinem Vater übergab, in die kalten Kohlen deines Herdes, ab tue auch ich die Gastpflicht, die mich hier band, als ein Fremder kam ich und als ein Fremder gehe ich; den Göttern, den hohen Schwurzeugen klage ich das Unrecht, das du an mir und meinem Geschlecht verübst, und ihren Segen erflehe ich für jeden, der in diesem Hofe und Lande mir Gutes wünscht.« Er wandte sich zum Abgang, da erhob sich Isanbart und sprach: »Bist du durch eine Nottat verfeindet unserem Häuptling, den wir ehren, so bist du noch nicht verfeindet dem Volk, das dir durch unseren Mund den Frieden gelobt hat. Willst du harren, bis die Gemeinde über deinen Zwist mit Herrn Answald entschieden hat, so bist du willkommen mit deinem Gesinde im Hofe und am Herd eines Alten, der einst im Kampf an der Seite deines Vaters gestanden hat.«
Ingo trat zu dem Greis und neigte sich tief vor ihm: »Segne mein Haupt, o Vater, bevor ich scheide. Denn unrühmlich wäre mir fortan noch im Gaue zu verweilen und Zwiespalt in den Dörfern aufzuregen. Deiner Treue denke ich aber, solange ich atme.«
Der Greis legte ihm schweigend die Hand auf das Haupt, dann trat Ingo auf die Schwelle. Mit Zorn und Sorge sah der Fürst, daß sich ein Teil seiner Landgenossen erhob, den Scheidenden zu geleiten. Isanbart bot dem Fremden die Hand und führte ihn durch die Schar der Hofmannen, welche bewaffnet mit drohenden Gebärden um die Tür drängten; diesen gegenüber hielten auf ihren Rossen die Vandalen, bereit zum Aufbruch und, wenn es not war, zum Kampfe. Aber die Würde der Volkshäupter bändigte den Grimm der Jüngeren; Ingo schwang sich auf sein Roß, das ihm Berthar zuführte, noch einen langen Blick warf er zurück in den Hof, dann trieb er sein Roß zum Sprung durch das Hoftor, ihm folgte ebenso die Schar seiner Mannen. Als die Hofgenossen ihnen Drohworte nachriefen, gebot die zürnende Stimme Isanbarts Schweigen. Der Fürst aber saß stumm in schweren Gedanken an seinem kalten Herde.
Hinter den Reisenden klapperten auf dem gefrorenen Boden Roßhufe, Bero trieb sein Pferd an Ingos Seite und begann, nachdem er eine Weile neben ihm geritten war: »Ich war‘s, der deine Gesellen dir zuführte, heut möchte ich dir guten Willen erweisen; das Dorf, in dem ich hause, liegt auf deinem Wege, laß dir‘s gefallen, Held, bei mir einzukehren und Bauernkost zu versuchen.«
»Ich rate, Herr,« sprach Berthar, »daß du der Ladung des Freien folgst, denn wohlgesinnt habe ich ihn gefunden und von klugem Rat.«
»Du bist nicht der einzige deines Geschlechtes, der es mit uns gut gemeint hat, da wir im Herrenhofe waren«, versetzte Ingo mit trübem Lächeln. Und die Helden verabredeten den Besuch, worauf Bero zufrieden seinen Gaul in einen Seitenpfad lenkte.
Ihm folgte mit lautem Zuruf Rothari. »Eure erste Einkehr sei in meinem Hofe«, rief der runde Mann und streckte seine Hand vom Roß aus, um vielen die Hand zu schütteln. »Wirf die Sorgen hinter dich, Held, und grolle nicht mit uns anderen, weil du in Unfrieden von einem scheidest«, und neben Ingo reitend fuhr er vertraulicher fort: »Auch in unserem Gau wird mancher Mann sich wundern, daß dein Schwert einem Zänker nicht die letzte Ehre vergönnt hat, denn der Mann und sein Geschlecht haben Feinde im Volke, weil sie unbillig sind, und ich bin auch einer davon.« So trabte er mit tröstlichen Worten unter den Gästen, wirbelte zuweilen seinen Speer in der Luft und erzählte lustige Fahrten, bis auch die Fremden zuhörend lachten.
Als am nächsten Morgen der erste Dämmerschein in das dunkle Gemach fiel, erhob sich Irmgard leise vom Lager, damit sie die schlafende Wächterin nicht wecke und sprach bei sich selbst: »Mir träumte, oben am Gießbach steht der eine, der mich erwartet. Vereist ist das Ufer der rinnenden Flut, gelöst ist der Fichtenbaum, der an unserem Boden hing, talab treibt er mit dem Wasser zwischen Eis und Steinen und nimmer sehe ich ihn wieder. Nicht weiß ich, was ich noch im Leben lieben soll, da er von uns wich.« Sie warf eine dunkle Hülle um ihr Gewand, öffnete leise die Tür und schritt über den leeren Hof. »Wer löst mir die Riegel am Tor?« sprach sie an der Pforte, aber als sie daran rührte, fand sie die Holzkeile des Sperrbaumes herausgetrieben. Sie ging durch das Tor und eilte über den Schnee den Bergen zu an die Stelle, wo sie früher den Geliebten gefunden. Als sie aber näher kam und am Gießbach eine hohe Gestalt in der Dämmerung erkannte, erschrak sie und hielt an. Da eilte Ingo ihr entgegen: »Ich dachte dich zu finden an dieser Stelle, die Ahnung trieb mich auf schnellem Rosse durch die Nacht.«
»Unter die Feinde reitet der König,« antwortete Irmgard, »weil mein Geschlecht ihm die Treue brach. Bitter ist der Gedanke, verhaßt ist mir das Leben. Denn auch du wirst uns zürnen, wenn du in der Not an die Halle meiner Väter denkst.«
»Deiner gedenke ich, wo ich auch weile,« rief Ingo, »von dir hoffe ich alles Heil meiner Tage. Die Liebste bist du mir und stark ist dein Mut, darum lege ich heut in deine Hand die Fäden, an denen, wie die Priesterin