»Das ist sehr richtig. Es könnte wirklich auffallen, und so will ich lieber nicht auf das Essen verzichten.«
Als wir wieder aufgebrochen waren, ritten wir drei nebeneinander. Wir hatten Winnetou in der Mitte, und es gelang uns, ihn in kurzen Worten, welche von den vor und hinter uns reitenden Roten in ihrem Zusammenhange nicht verstanden wurden, mitzuteilen, was wir für eine Absicht hegten. Sein schönes, hellbronzenes Gesicht blieb vollständig unbeweglich, als er die frohe Botschaft hörte; dann sagte er leise:
»Frei, ja, doch nicht ohne meine Silberbüchse!«
»Und auch ich nicht ohne meine Gewehre,« stimmte ich in deutscher Sprache und laut, zu Emery gewendet, bei.
»Und wenn das nicht möglich ist?« fragte dieser.
»So hole ich sie mir später. Die Freiheit ist ein kostbares Gut; was thue ich aber hier in solcher Gegend mit ihr, wenn ich keine Waffen habe?«
»Sehr richtig; aber es handelt sich nebenbei auch um das Leben!«
»Das giebt den Ausschlag. Also fort, selbst ohne Waffen! Aber wenn mir das Leben sicher wäre, so würde ich die Gefangenschaft nicht eher verlassen, als bis ich meine Waffen wieder in den Händen hätte.«
Es war vielleicht eine Stunde vor der Dämmerung, als wir an dem Rande des Todesthales anlangten. Wir ritten die steile und schmale Senkung hinab, einer hinter dem andern und langsam wie ein Leichenzug. Wenn wir wirklich da nicht wieder heraufkommen sollten! Ich schüttelte den Gedanken mit den Achseln von mir ab. Nein! Wenn wer bestimmt war, unten zu bleiben, dann die Komantschen, aber nicht wir!
Als wir die Thalsohle erreichten, lenkte der Häuptling nach der Stelle hin, wo das Wasser aus dem Felsen trat. Dort hielt er an und stieg vom Pferde; die andern thaten ebenso, denn hier am Wasser sollte die Nacht zugebracht werden. Als wir abgestiegen waren, wurde der Versuch gemacht, die Pferde zu tränken; sie wollten aber das schwefelhaltige Wasser, welches wie faule Eier roch und schmeckte, nicht nehmen.
Währenddem ließ ich meinen Blick über das Thal hin schweifen. Am nördlichen Rande, da, wo die Felsen am steilsten aufstiegen, befand sich die Spalte, in welcher wir damals den Häuptling begraben hatten. Sie war nicht groß, unten vielleicht nicht ganz sechs Fuß breit, und verjüngte sich so schnell, daß sie in Manneshöhe eine Breite von nur noch zwei Spannen betrug; von da aus ging sie in gleicher Breite in eine beträchtliche Höhe hinauf. Da sie in solcher Höhe unmöglich verschlossen werden konnte, so hatte die Luft Zutritt, und wenn wir wirklich hier eingesperrt werden sollten, so konnten wir zwar verhungern und verdursten, aber doch wenigstens nicht ersticken. Die Steinplatte, welche man vorgelegt hatte, war schwer und unten breiter als der Spalt; ihre Höhe betrug drei Ellen. Trotz ihrer Schwere genügte sie nicht, uns im Grabe festzuhalten, denn wir drei Männer waren stark genug, sie von innen nach außen umzuwerfen und uns dadurch den Weg in die Freiheit zu bahnen. Aber es lagen Steine genug in der Nähe, vor und an der Platte einen so großen Haufen aufzutürmen, daß es uns unmöglich wurde, die Platte auch nur einen Zoll weit zu lüften.
Die Roten führten uns zunächst nach dem Grabe. Sechs von ihnen waren nötig, die Platte zu entfernen. Als dies geschehen war, trat der Häuptling vor die Oeffnung und sagte in feierlichem Tone:
»Hier liegt Atescha-Mu begraben, der große Häuptling der Komantschen. Sein Geist ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen, wo er vergebens auf die Seelen seiner Mörder gewartet hat, die ihn dort bedienen sollen.
Er mag zurückkehren, um zu hören, was ich, sein Sohn und Rächer, ihm zu sagen habe!«
Er wartete eine kleine Weile, jedenfalls um dem Geiste seines Vaters Zeit zu geben, den Weg von den ewigen Jagdgründen bis hierher zurückzulegen, und fuhr dann fort:
»Die »starke Hand« wurde von Winnetou und Old Shatterhand verfolgt und getötet. Die beiden feindlichen Krieger sind jetzt in meine Hand geraten und sollen seinen Tod mit ihrem Leben bezahlen. Jeder Tote geht so in die ewigen Jagdgründe ein, wie er im Augenblicke des Sterbens beschaffen ist. Wollten wir die Mörder quälen und verwunden, so würden sie schwach und blutend zu Atescha-Mu gelangen und ihm nur schlechte Diener sein können; darum werden wir sie nicht beschädigen, sondern sie zu seinen Gebeinen einmauern, damit sie ohne Wunden sterben und er starke Diener bekommt, mit denen er in den ewigen Jagdgründen vor allen Abgeschiedenen prangen kann. Howgh!«
Die Platte wurde wieder vorgelegt, ohne daß es mir möglich gewesen war, einen Blick in das Grab zu werfen. Man führte uns nach dem Wasser zurück, doch durften wir nicht dort bleiben. Ungefähr fünfundzwanzig Schritte davon befand sich ein schmaler Einschnitt in den Felsen, in welchen wir gebracht wurden. Wir mußten uns da niedersetzen, und nachdem man uns an den Füßen gefesselt hatte, blieben zwei Mann zurück, um uns zu bewachen. Die andern gingen wieder zum Wasser, nachdem der Häuptling den beiden Wächtern die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit eingeschärft hatte.
Diese Vorsichtsmaßregel hatte man getroffen, weil der Felseneinschnitt sich außerordentlich gut zur Aufnahme von uns eignete. Wir hatten von drei Seiten Felsen, und auf der vierten saßen die bis an die Zähne bewaffneten Wächter; da waren wir den Roten viel sicherer, als wenn sie uns mit draußen am Wasser behalten hätten.
»Ein verwünschter Einfall, uns hier hereinzustecken!« brummte Emery in deutscher Sprache. »Höchst unangenehm, daß sie auf diesen Gedanken gekommen sind!«
»Warum?« fragte ich.
»Weil wir hier eingesperrt sind und schwerlich herauskommen werden.«
»Meinst du? Mir ist es im Gegenteile sehr lieb, daß sie es gethan haben.«
»Das begreife ich nicht.– Hier sehen wir nichts. Draußen hätten wir alles hübsch beobachten können und hatten nach allen Seiten Raum.«
»Aber wir konnten auch selbst besser beobachtet werden. Laß es erst dunkel werden; dann können uns die Wächter nicht mehr sehen, und wir machen uns frei, ohne daß sie es bemerken. Hier sind nur vier Augen auf uns gerichtet; draußen am Wasser aber wären wir allen Blicken ausgesetzt gewesen.«
»Hm, mag sein! Du hast eben die Eigenschaft, allem Schlechten eine gute Seite abzugewinnen.«
Es wurde dunkel, und man brannte ein kleines Feuer an, doch leider nicht am Wasser, wo die Indianer lagen, sondern vor unserer Spalte. Zu einem großen Feuer, an welchem Fleisch gebraten werden konnte, war kein genügendes Material vorhanden; die dürren Abfälle der Pflanzen, welche es hier gab, reichten aber hin, eine kleine Flamme zu nähren, die unsere Bewachung erleichterte.
Das war freilich höchst unangenehm. Der Felseneinschnitt, in welchem wir uns befanden, bot Raum für nur drei Personen. Das Feuerchen brannte vor demselben, und ungefähr vier Schritte davor saßen die Wächter. Wollten wir sie überwältigen, so mußten wir über das Feuer hinweg, und da fanden sie jedenfalls Zeit, die Waffen zu ergreifen oder wenigstens Hilferufe auszustoßen, durch welche die andern herbeigerufen wurden. Dazu leuchtete der Schein des Feuers, so klein es war, zu uns herein, sodaß es leicht war, uns zu beobachten.
»Da hast du es!« sagte Emery. »Oder giebst du mir auch jetzt noch nicht recht?«
»Nein. Mir ist die Beleuchtung ebenso unangenehm, wie dir; aber es ist trotzdem besser, wir befinden uns hier als draußen. Draußen lägen wir gewiß inmitten der Roten, hier haben wir es nur mit zweien zu thun. Und denkst du etwa, daß das Feuer die ganze Nacht brennen wird?«
»Natürlich! Sie werden sich hüten, es ausgehen zu lassen.«
»Wenn sie genug Holz haben, ja. Aber bis es Tag wird, müssen wenigstens acht Stunden vergehen, und ich glaube nicht, daß das Feuerungsmaterial bis dahin reichen wird. Sieh nur, wie schnell die kleinen Pflänzchen verbrennen, und wie winzig der Haufen ist, den sie davon gesammelt haben!«
Aber man sammelte, wie wir bald sahen, noch weiter; der Haufen wurde größer und größer, doch nicht so groß, daß er bis zum Anbruch des Tages reichen konnte.
Wir bekamen das Abendbrot sehr spät; es bestand wieder aus einem Stück Fleisch. Man nahm uns dazu die Handfesseln ab, welche dann wieder angelegt wurden. Zu unserer Freude glückte es dabei Emery, den, der